Andacht für Lea-Sophie: Jugendamt in der Kritik
Schwerin/dpa. - Gedenken an die kleine Lea-Sophie: Etwa zweihundert Menschen haben am Samstagabend in einem Gottesdienst in Schwerin an das verhungerte fünfjährige Mädchen erinnert.
Die Trauernden waren in das evangelische Gotteshaus im Stadtteil Lankow gekommen, wo das Mädchen mit ihrer Familie wohnte. Die städtischen Behörden waren auch von hochrangigen Politikern scharf kritisiert worden, weil das Jugendamt bereits vor dem Tod von Lea- Sophie über Probleme in der Familie informiert war. Das Mädchen war am vergangenen Dienstag gestorben. Laut Staatsanwaltschaft hatten die Eltern das Kind monatelang nicht versorgt. Der 26-jährige Vater und die 23-jährige Mutter sitzen in Untersuchungshaft.
Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) zeigte sich nach der Andacht betroffen: «Es sind viele Menschen wütend, und ich habe viele Tränen gesehen.» Es sei aber wichtig, nicht einen Schuldigen zu suchen, sondern zu erreichen, dass alle Menschen wieder mehr aufeinander achten. Claussen appellierte, nicht leichtfertig in dem Fall Lea-Sophie zu urteilen. «Wenn da nichts vorzuwerfen ist, dann kann ich auch nichts vorwerfen», betonte er.
Während der Andacht hatte der Geschäftsführer der Evangelischen Jugend, Thomas Ruppenthal, Kritik an den Kürzungen in der Kinder- und Jugendpolitik geübt. «Alle haben es gewusst», sagte Ruppenthal, der auch Mitglied im Jugendhilfeausschuss der Stadt ist. Das Wort Betroffenheit habe derzeit «Hochkonjunktur». Er forderte «weniger politisches und soziales Geschachere, damit das Bestmögliche für Kinder und Jugendliche» erreicht werden könne.
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung»: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Jugendamt vorschriftsmäßig gehandelt hat.» Die Eltern Lea- Sophies seien als auffällig bekannt gewesen. Da hätte man nachhaken müssen. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Sozialminister Erwin Sellering (SPD) kritisierte das Vorgehen der städtischen Behörden. «Wenn das Jugendamt zweimal Kontakt mit einer Familie hatte und anschließend ist ein Kind tot - da kann man nicht sagen, man habe alles richtig gemacht», sagte Sellering am Samstag.
Jetzt solle der Schweriner Oberbürgermeister einen vernünftigen Untersuchungsbericht vorlegen, der Grundlage weiterer Aufklärung sein müsse. So ein Fall müsse auch Konsequenzen nach sich ziehen. Damit kritisierte Sellering vor allem Äußerungen der Stadt, denen zufolge dem Jugendamt keine Fehler vorgehalten wurden. «Hier muss man sich doch fragen, wo hätte ich eingreifen, wie hätte das Kind gerettet werden können», sagte der Minister.
Von der Leyen beklagte eine mangelnde Verzahnung von Gesundheitsvorsorge und Jugendhilfe und sprach sich für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen aus. Komme eine Familie der Einladung zu einem Untersuchungstermin nicht nach, müsse sich das Jugendamt einschalten. «Wir müssen alles tun, Familien in kritischen Situationen ausfindig zu machen, und wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren», sagte die Ministerin. Im Gespräch mit dem Audio-Dienst der dpa hatte die Ministerin Länder gelobt, die «zügig und unideologisch» ein verbindliches Einladewesen zu Vorsorgeuntersuchungen geschaffen hätten. Eine bundesweite Pflichtuntersuchung hält sie jedoch für «verfassungsmäßig sehr fragwürdig».