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Amoklauf 2002 Amoklauf 2002: Kampf gegen die Bilder im Kopf

25.04.2012, 09:42

Erfurt/dpa. - Psychische Spätfolgen nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium sind nach Auffassung der Psychotherapeutin Alina Wilms nicht ungewöhnlich. Etwa bei einem Viertel der Betroffenen solcher Ereignisse komme es zu einer verzögerten Reaktion, sagte Wilms. „Möglicherweise erscheinen sie nach dem Ereignis sogar besonders nervenstark, und erst ein Auftauen der betäubten Psyche hat peu à peu die traumarelevanten Symptome ausgelöst.“ Zehn Jahre nach dem Massaker befinden sich noch sechs Augenzeugen der Bluttat in Therapie.

Am 26. April 2002 hatte ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten erschossen, bevor er sich selbst tötete. Den Betroffenen möglichst schnell ein funktionierendes Netz von kompetenten Helfern an die Seite zu stellen, ist für Wilms eine der wichtigsten Lehren aus den damaligen Ereignissen. „Es geht darum, ihnen nach dem Chaos des Ereignisses Ruhe und Sicherheit zu vermitteln.“ Die Erfurter Therapeutin leitete die psychologische Betreuung der Schüler und Lehrer.

Am Gutenberg-Gymnasium standen den Schulklassen ein Jahr lang jeweils zwei Therapeuten als feste Ansprechpartner zur Verfügung, bei weiterem Behandlungsbedarf wurden sie an niedergelassene Psychotherapeuten vermittelt. Bei fast jedem zweiten der mehr als 700 Schüler, die die Morde erlebt hatten und teils stundenlang in Todesängsten schwebten, war nach dem Massaker eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Unter den heute noch Behandelten sind vier Schüler, die unmittelbar nach der Tat eine psychologische Betreuung abgelehnt hatten.

Bei traumatherapeutischen Interventionen komme es auch auf den richtigen Zeitpunkt an, sagte Wilms. „Beispielsweise bin ich gegen Trauerrituale auf dem Schulhof unmittelbar nach einem solchen Ereignis.“ Betroffene könnten erst dann trauern, wenn die Angst bewältigt sei. „Das ist wie ein Naturgesetz.“ Kurz nach der Tat dominiere aber die Angst. Auf die Rückkehr in das umgebaute Gutenberg-Gymnasium waren die Schüler monatelang behutsam vorbereitet worden, um eine erneute Traumatisierung zu vermeiden.