Alzheimer Alzheimer: Die unheimliche Krankheit
KÖLN/MZ. - So groß war seine Furcht vor der Erkrankung, dass er nicht einmal ihren Namen auszuschreiben wagt: Alzheimer. Und dass er sich offenbar nicht erst von einem Arzt bestätigen ließ, überhaupt an ihr zu leiden - er erschoss sich augenscheinlich nach einer Selbstdiagnose, auf Verdacht hin.
Für Professor Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München, ein "prekäres Signal": "Gedächtnisstörungen können viele Menschen an sich beobachten. Daraus lässt sich keine Diagnose ableiten." Seinen Patienten kann er sogar oft Entwarnung geben: Rund ein Drittel von ihnen leiden nicht unter Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz, sondern an etwas ganz anderem. Etwa an Depressionen, wie viele ältere Menschen - auch sie können alzheimerähnliche Symptome hervorrufen.
Gleichzeitig leidet ein Viertel der Demenzpatienten im frühen Stadium an Depressionen. "Nach meiner Kenntnis ist Gunter Sachs immer mal wieder wegen Depressionen behandelt werden. Das wird auch der Hauptgrund für seine Handlung gewesen sein - Menschen begehen Suizid, weil sie depressiv sind, ein rationaler Suizid ist mir noch nicht begegnet", sagt Neurologe Förstl. Allerdings: Lebenslange Depressionen sind auch ein Risikofaktor für Alzheimer.
Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurde die Erkrankung von dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer diagnostiziert. Eiweißablagerungen zerstören dabei die Nervenzellen des Gehirns, Gedächtnis, Orientierung, Sprache und Urteilsvermögen werden nach und nach so weit beeinträchtigt, dass der Alltag irgendwann nicht mehr zu bewältigen ist (siehe Grafik). Andere Krankheiten ziehen ähnliche Symptome nach sich, zusammengefasst werden diese Beeinträchtigungen unter dem Stichwort Demenz. 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leiden zurzeit darunter, Tendenz: stark steigend. 60 Prozent der Demenzen sind auf Alzheimer-Erkrankungen zurückzuführen.
Das Problem, sagt Förstl, sei die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit - viele haben Angst. Dabei, sagt Förstl, lasse sich die Erkrankung inzwischen mit Medikamenten und Therapieangeboten deutlich verzögern. Auch im fortgeschrittenen Stadium müsse die Lebensqualität der Betroffenen nicht zwangsläufig gering sein: "Auch Menschen mit Demenz empfinden Freude an ihren Sinneswahrnehmungen, an eigenen Gedanken."
Auch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft ringt um die Akzeptanz eines solchen Lebens. "Die Diagnose ist grausam, es ist furchtbar, seinen eigenen Kopf zu verlieren", sagt Vorsitzende Heike von Lützau-Holbein. Dennoch: Sachs sei ein Einzelfall. Lützau-Holbein begegnet bei ihrer Arbeit mit Betroffenen und ihren Angehörigen bis heute oftmals große Angst vor der Diagnose - und genauso große Scham, öffentlich zu der Krankheit zu stehen. "Aber wenn man ganz allein versucht, damit fertig zu werden, macht es das nur schlimmer", sagt sie. "Wir müssen die Menschen unterstützen, mit diesem Leben zurechtzukommen. Das könne durchaus ein zufriedenes Leben sein - "es ist nur ganz anders."
Der Schriftsteller Arno Geiger beschrieb kürzlich, wie er durch seinen alzheimerkranken Vater eine neue Sicht auf das Leben bekommt, wenn auch in einem schmerzhaften Prozess. Bald soll auch die Sicht der Betroffenen dazukommen. Peter Wißmann, Geschäftsführer des Zentrums "Demenz Support Stuttgart" schreibt mit Christian Zimmermann daran. Zimmermann ist an Alzheimer erkrankt - und auch er, erzählt Wißmann, habe anfangs vor der Wahl gestanden: "Springe ich jetzt vom Balkon, oder nehme ich die Krankheit an?" Er nahm sie an. Heute besucht er Kongresse und Fernsehsendungen und berichtet von seinem Leben mit Alzheimer. Vor drei Jahren bekam er die Diagnose, er ist jetzt 60 Jahre alt. Bis heute ist es ein lebenswertes Leben.
"Ich finde es erschreckend, dass die Angst immer noch so groß ist", sagt Wißman. "Dargestellt werden nur völlig abgebaute Leute, überlastete Angehörige, düstere Heimszenen - das ist nur ein Teil der Realität. Die Betroffenen können sehr lange ein vernünftiges Leben führen. Und sie tun es zu Hundertausenden - man sieht sie nur nicht." Die meisten von ihnen, sagt der Sozialpädagoge, hätten vor allem Angst vor würdeloser Behandlung, und die gebe es durchaus. "Aber es wird immer so getan, als müsste das so sein - dabei ist das ja etwas, was wir beeinflussen können."