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Absturz über dem Bodensee Absturz über dem Bodensee: Fluglotse kämpfte mit technischen Problemen

05.07.2002, 14:02
Ein Fahrwerk und andere Trümmer der TU 154 werden
Ein Fahrwerk und andere Trümmer der TU 154 werden dpa

Braunschweig/Überlingen/dpa. - Die BFU in Braunschweig begann am Freitag mit der Auswertung derMagnetaufzeichnungsbänder der Flugschreiber. Am Bodensee wurden bislang nur 4 der 69 gefundenen Todesopfer identifiziert. Neben den beiden Piloten der Frachtmaschine konnten zwei Opfer ihren Familien zugeordnet werden. Bei der Kollision der russischen Passagiermaschine mit einem Frachtflugzeug waren am späten Montagabend 71 Menschenumgekommen.

Wie die BFU am Freitag mitteilte, musste der skyguide-Fluglotsezum Unfallzeitpunkt allein zwei Radarschirme kontrollieren: Auf einemleitete er den Anflug einer Maschine auf den FlughafenFriedrichshafen, auf dem anderen beobachtete er vier Flugzeuge,darunter die beiden Unglücksmaschinen. Das Haupttelefonnetz war lautBFU zu diesem Zeitpunkt wegen Wartungsarbeiten ebenso abgeschaltetwie das Radarwarnsystem, das bei der gefährlichen Annäherung zweierFlieger ein akustisches Signal gibt. Der Lotse konnte also vomComputer keine Warnung über die gefährliche Situation am Himmelerhalten.

Auf einer Reservetelefonleitung habe er versucht, mit demFlughafen Friedrichshafen Kontakt aufzunehmen, um eine dortanfliegende Maschine zu übergeben. Doch zwischen 23.25:43 Uhr und23.33:11 Uhr bekam er laut BFU keine Telefonverbindung. Um 23.34:49Uhr gab er dann zum ersten Mal die Anweisung an die über dem Bodenseefliegende Tupolew-Maschine, in den Sinkflug zu gehen. Die Besatzungreagierte nicht sofort, also wiederholte er die Anweisung 14 Sekundenspäter. Die Tupolew-Crew folgte dann der Anordnung. Fast zeitgleichging auch die Boeing-Frachtmaschine in den Sinkflug, mit großerWahrscheinlichkeit hatte das Kollisions-Warngerät TCAS der Boeing dieentsprechende Anweisung gegeben.

Bereits am Donnerstag hatten deutsche Ermittler erste gesicherteErkenntnisse über den Ablauf vor der Kollision präsentiert. DieSpanne von 44 Sekunden sei sehr kurz, ein sanfter Sinkflug erfordere90 Sekunden, hieß es. skyguide hatte danach versucht, den Berichtenüber ein Versagen oder mögliches Fehlverhalten entgegenzuwirken. Esgebe keine festen Vorschriften über eine Mindestzeit, nach der einPilot bei einem drohenden Zusammenstoß gewarnt werden müsse, sagteein Sprecher.

In Braunschweig begann am Freitag die BFU mit der Auswertung dervier Flugschreiber. Bislang konnten die Experten jedoch noch nichtsagen, ob die Daten komplett erhalten sind, oder wesentliche Teilezerstört wurden. Die Ermittler müssen nun ein schwieriges Puzzlezusammensetzen. «Ein Ergebnis ist voraussichtlich nicht vor Mittenächster Woche zu erwarten», sagte BFU-Sprecher Frank Göldner. DieUntersuchungskommission besteht neben der federführenden BFU ausVertretern der Staaten Bahrein, Russland, Schweiz, der USA sowieweiteren aus Deutschland. In Braunschweig sei bislang ein russischerExperte eingetroffen.

Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) plädierte für dieRatifizierung eines Fluglärm-Vertrages mit der Schweiz. EinMinisteriumssprecher hob in Berlin hervor, dass bei einem Scheiterndes Staatsvertrages die Flugkontrolle im südwestlichen Grenzgebietaus verfassungsrechtlichen Gründen wieder von Deutschland übernommenwerden müsste. Die bisherige Überwachung des süddeutschen Luftraumesdurch die Schweizer Flugsicherung skyguide verstößt laut einemRechtsgutachten gegen das Grundgesetz.

Karte zur Flugzeugkollision über dem Bodensee
Karte zur Flugzeugkollision über dem Bodensee
dpa
Mindestabstände im Luftraum
Mindestabstände im Luftraum
dpa