Abgeordnete im Stress Abgeordnete im Stress: Sind die Arbeitsbedingungen im Bundestag zu hart?

Berlin - Nach zwei medizinischen Notfällen im Plenum des Deutschen Bundestags beklagen mehrere Parlamentarier die hohe körperliche und psychische Belastung mancher Abgeordneter in Sitzungswochen. „Wer an entscheidender Stelle mitarbeitet und zum Beispiel Sitzungen leiten muss, hat eine Arbeitsbelastung, die weit über das übliche und gesundheitlich unbedenkliche Maß hinausgeht“, sagte SPD-Gesundheitsexperte und Arzt Karl Lauterbach der MZ.
Abgeordnete stünden unter der Dreifachbelastung, sich auf aktuelle Veranstaltungen zu konzentrieren, Folgetermine vorzubereiten und gleichzeitig die sozialen Medien im Auge behalten zu müssen, so Lauterbach. Gerade für die Vorbereitung bleibe häufig zu wenig Zeit. „Stress und Druck werden dann schnell zu hoch“, sagte der SPD-Abgeordnete aus Köln.
Politiker kollabiert bei Rede im Bundestag
Im Plenum hatte es am Donnerstag zwei dramatische Situationen gegeben. Der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer erlitt während seiner Rede einen Zusammenbruch. Später hatte eine Politikerin der Linken einen Schwächeanfall. Lauterbach, der nach eigenen Angaben an der Erstversorgung beider Notfälle beteiligt war, beklagte die mangelhafte Ausstattung des Bundestags mit Material zur medizinischen Notfallversorgung.
„Die Medikamente lagen im Koffer verstreut, nicht mal Sauerstoff war da.“ Er forderte Konsequenzen: „Die Sitzungswochen müssen entzerrt werden“, sagte er. Den Mittwoch zum vollständigen Sitzungstag zu machen sei ein Anfang, reiche aber nicht aus. „Ich schlage vor, ein allgemeines Sitzungsende um 23 Uhr einzuführen“, sagte Lauterbach.
Er kritisierte, dass der Bundestag seit dem Einzug der AfD in das Parlament zu viel Zeit mit überflüssigen Debatten und Symbolentscheidungen verliere. „Es ist leider Teil der AfD-Politik im Bundestag, die Abgeordneten zu schikanieren“, klagte Lauterbach und führte häufigere Hammelsprungentscheidungen und Debatten an, die nur der Profilierung der Partei dienten. Auch die Größe des Bundestags führe zu einer Arbeitsverdichtung, sagte Lauterbach.
Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warb Abend nach den Vorfällen am Rednerpult dafür, Konsequenzen zu ziehen. „Vielleicht sollten wir mal ein bisschen darüber nachdenken, wie wir manchmal miteinander umgehen“, sagte er. „Und vielleicht wird auch manche Häme gegenüber Politikern angesichts dessen, was heute passiert ist, auch etwas demütiger.“
Auf Twitter bezeichnete Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die Arbeitsbedingungen im Bundestag als „menschenfeindlich“. „Wir sitzen zum Beispiel stundenlang und häufig bis weit nach Mitternacht im Plenum, dürfen dort aber nicht einmal trinken“, so Domscheit-Berg.
Änderungen angekündigt
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) kündigte am Freitag erste Konsequenzen an. Die Parlamentsärztin im Haus brauche in Notfällen zwei bis drei Minuten, um den Plenarsaal zu erreichen, sagte Kubicki. Sauerstoff, Defibrillator und Notfallkasten würden künftig gut erreichbar im Plenum platziert.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte, es sei geplant, den Mittwoch künftig zu einem regulären Sitzungstag zu machen. Bisher kommt das Plenum mittwochs meist erst nachmittags zur Regierungsbefragung und Fragestunde zusammen. Vor allem donnerstags reicht die Tagesordnung oft bis weit in die Nacht hinein.
Dem CDU-Abgeordneten Matthias Hauer, der am Donnerstag während seiner Rede zusammengebrochen war, geht es nach Angaben Kubickis besser. Auch der Kollegin aus der Fraktion der Linken, die einen Schwächeanfall gehabt habe, gehe es wieder gut. (mz)