65 Jahre Kriegsende 65 Jahre Kriegsende: Sechs Wochen «Freie Republik Schwarzenberg»
Halle/MZ. - Auf den ersten Blick unterscheidet sich Jörg Beiers Pass nicht von einem Pass. Der von dem Künstler aus Schwarzenberg (Erzgebirge) entworfene Ausweis trägt auf der Vorderseite in einem Kreis die EU-Sterne - aber ein Stern ist durch eine kleine Fichte ersetzt. Und das Land, das als Ausgabeort genannt ist, findet sich in keinem Atlas: die "Freie Republik Schwarzenberg".
Mit dem Pass erinnert Beier an ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Stadt. Als Deutschland vor 65 Jahren von Truppen der Alliierten befreit und besetzt wurde, blieb das Gebiet um Schwarzenberg ausgespart. Die Rote Armee drang bis Annaberg-Buchholz vor, die US-Streitkräfte bis ins Vogtland. Für Schwarzenberg interessierte sich zunächst niemand. Erst am 24. Juni 1945 rückten sowjetische Truppen in das Gebiet vor. Damit endete ein Intermezzo, das seither viel Raum für Forschungen und Spekulationen bietet.
Der Schriftsteller Stefan Heym (1913-2001) griff in seinem 1984 erschienenen Roman "Schwarzenberg" genau diesen Aspekt auf und entwarf auf der Basis der historischen Fakten eine gesellschaftliche Utopie. Die dort skizzierte "Republik Schwarzenberg" ist ein Gedankenspiel darüber, wie "auf befreitem Boden, aber ohne Druck von Seiten fremder Mächte" ein politisches Gebilde entstand, in dem versucht wurde, "Demokratie und Sozialismus miteinander zu verknüpfen", wie es im Buch heißt.
Den DDR-Oberen galt der Roman damals als zu kritisch. Er erschien nur im Westen. Nach 1989 knüpften Jörg Beier und seine Mitstreiter von der Künstlergruppe "Zone" an die Idee Heyms an und riefen die virtuelle "Freie Republik Schwarzenberg" aus.