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Zivilcourage Zivilcourage: Nienhagen legt sich mit Neonazis an

Von Alexander Schierholz 11.12.2012, 19:17

Nienhagen/MZ. - Der Mann scheint einen Sinn für martialisch anmutende Szenarien zu haben: In seinen Vorgarten in Nienhagen bei Halberstadt hat er sich einen Adler aus Stein gestellt. Auch das, womit der vor einigen Jahren aus Niedersachsen zugezogene Mittdreißiger sein Geld verdient, hat eine martialische Komponente - er organisiert in dem 380-Einwohner-Dorf Rechtsrock-Konzerte. Mehrmals im Jahr strömen Neonazis in Scharen in die "Alte Hopfendarre", ein ehemaliges Lagerhaus am Ortsrand. Bullige Ordner marschieren dann durch das Dorf, auf ihren T-Shirts das Logo des Neonazi-Netzwerks "Honour & Pride" und das Bild einer Handgranate.

Doch Nienhagen will nicht länger braun sehen. Das liegt an Hans-Christian Anders und den anderen Männern und Frauen vom "Bürgerbündnis Nienhagen rechtsrockfrei". Sie haben eine Umfrage organisiert, bei der sich vor kurzem 80 Prozent der Einwohner gegen weitere Neonazi-Konzerte in ihrem Heimatdorf ausgesprochen haben. Der Besitzer der "Hopfendarre" will dem Votum folgen und sein Grundstück der braunen Szene nicht mehr zur Verfügung stellen. Für ein Interview ist der Mann nicht erreichbar.

Nienhagen zeigt: Man kann sich wehren gegen Neonazis. Auch in Ostdeutschland, wo nach einer kürzlich veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung jeder sechste ein rechtsextremes Weltbild hat. Wenige Tage später kam der Sachsen-Anhalt-Monitor zu einem anderen Ergebnis: Demnach ist zumindest Fremdenfeindlichkeit in Sachsen-Anhalt auf dem Rückzug. Seitdem wird gerätselt, wer Recht hat. Die Antwort: beide Studien. Denn sie stellen zum Teil verschiedene Fragen und werten die Antworten anders. Auch die Datenbasis ist unterschiedlich.

Getarnt als private Feiern

Den Nienhagenern dürfte es egal sein. Hans-Christian Anders ist ein eloquenter Mann mit kleinen wachen Augen. Schwarzer Rollkragenpullover, braune Anzughose, Steuerberater mit eigener Kanzlei. Was er nicht mag: jetzt als Linker etikettiert zu werden, weil er sich gegen Rechts wehrt. "Wir sind keine linken Ideologen", sagt der 42-Jährige. "Uns liegt unser Dorf am Herzen. Wir wollen friedlich leben, etwas für unsere Kinder schaffen und kein Nazi-Hort sein." Frieden und Ruhe hatten sie lange nicht in Nienhagen. Jedenfalls nicht in der warmen Jahreszeit. Zehn Rechtsrock-Konzerte fanden seit 2007 statt, allein drei davon in diesem Jahr. Anders hat die Auftritte, soweit bekannt, im Internet dokumentiert. Zu der Liste dürften mehrere als private Geburtstagsfeiern getarnte Konzerte kommen. Häufig dabei: die Bremer Hooligan-Band "Kategorie C", deren Bassist in Nienhagen wohnt und sich laut der Dokumentation auch als Organisator betätigt hat.

Stets erlassen die Behörden Auflagen, untersagen etwa bestimmte Songs. Doch ein Konzert zu verbieten, das ist bisher nur selten gelungen. Als die Auftritte begannen, dachten viele im Dorf noch, es gehe nur um ein paar Jungs, die Spaß haben wollten. Doch mittlerweile herrscht in Nienhagen regelmäßig Ausnahmezustand. 380 Einwohner, 500 Polizisten, 1 800 Neonazis - so sah das Szenario etwa am Pfingstsamstag dieses Jahres aus, bei der "European Skinhead Party" mit fünf Bands aus Deutschland, Italien, Belgien und den USA. An solchen Wochenenden fuhren viele Nienhagener lieber weg.

Diejenigen, die zu Hause blieben, "hatten sich mit der Situation arrangiert", sagt Gudrun Schuster, die wie Anders zum harten Kern des Bürgerbündnisses zählt. So war es, bis der 12. April kam: Der Verein "Miteinander " lud zu einer Diskussion über Rechtsrock nach Nienhagen. Der Filmproduzent Peter Ohlendorf zeigte seine Dokumentation "Blut muss fließen" über die Neonazi-Musikszene. Der Innenminister kam und 60 bis 70 Bürger. Vielleicht ein Zehntel davon aus Nienhagen. Für die aber, erinnert sich Hans-Christian Anders, der dabei war, "war es die Initialzündung".

Seitdem hat Anders sich reingekniet: Er kann über die Strategien der Rechtsextremisten ebenso dozieren wie über diverse Neonazi-Bands. Er hat in einer Petition an den Landtag angeregt, Gesetze und Verordnungen so zu ändern, dass Rechtsrock-Konzerte einfacher verboten werden können - "das war ein Hilferuf". Die Antwort hat ihn nicht befriedigt: "Man sieht dort viel zu sehr den verwaltungstechnischen Akt. Nach dem Motto: Wenn die Auflagen erfüllt sind, können wird nicht viel tun." Er hat trotzdem nicht locker gelassen.

Mit Erfolg: Im Sommer erklärt der Eigentümer der "Hopfendarre" im MDR, wenn die Einwohner gegen die Konzerte seien, werde er an Nazis nicht mehr vermieten. Daraufhin organisiert das Bürgerbündnis die Umfrage. Sie verschicken Wahlbriefe, jeder kann anonym antworten. "Wir konnten nicht mit einer Liste rumgehen", sagt Gudrun Schuster. Viele hätten Angst, öffentlich gegen die Neonazis Stellung zu beziehen.

Die versuchen es mit Druck. Einmal, erzählt Anders, sind sie zu viert in einem dunklen BMW vor seinem Haus vorgefahren, haben seine Frau und seine Schwiegermutter fotografiert. Ein anderes Mal hat ihm einer brieflich eine Klage angedroht, falls er dessen Namen nicht von der Homepage des Bündnisses entferne. Er sehe einer Klage mit Interesse entgegen, hat Anders geantwortet. "Seitdem ist Ruhe. Man darf sich eben nicht einschüchtern lassen."

Doch noch ein Hintertürchen?

Wie es weitergeht in Nienhagen im nächsten Sommer, das ist völlig offen. "Für mich ist die Umfrage ein Teilerfolg", sagt Christina Brehmer, Bürgermeisterin der Stadt Schwanebeck, zu der das Dorf gehört. Auch Hans-Christian Anders hält es für möglich, dass die Neonazis ein Hintertürchen finden. Indem etwa jemand aus der Szene die "Hopfendarre" kauft. Oder noch mehr Konzerte als private Feiern getarnt werden. Und falls nicht? "Dann", befürchtet Christina Brehmer, "verlagert sich das Problem einfach auf eine andere Ortschaft."