Ukraine-Krieg Hallescher IHK-Präsident Keitel: „Mehr über Frieden sprechen“
IHK-Präsident Steffen Keitel mischt sich in politische Debatten ein: „Wir sind nicht Kriegspartei.“ Im MZ-Interview spricht er auch über die Anspruchshaltung von Unternehmern und die Intel-Ansiedlung.

Halle/MZ - Infolge der stark gestiegenen Energiepreise ist die Stimmung in der Wirtschaft Sachsen-Anhalts abgestürzt. Von der staatlichen Strom- und Gaspreisbremse, die auch Unternehmen finanziell stark entlastet, hält Steffen Keitel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, dennoch nicht viel. Vor dem am Montag stattfindenden IHK-Neujahrsempfang in Dessau-Roßlau sprach MZ-Wirtschaftsredakteur Steffen Höhne mit Keitel über Fehler in der Energiepolitik, ständige Hilferufe nach dem Staat und seinen Appell, mehr über Frieden zu sprechen.
Herr Keitel, die hallesche IHK hatte zusammen mit drei anderen Kammern Ende des vergangenen Jahres eine ganzseitige Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschaltet. Eine wesentliche Forderung war: Politik und Gesellschaft müssen mit Blick auf den Ukraine-Krieg mehr über Frieden sprechen. Wie war die Reaktion der Unternehmer darauf?
Steffen Keitel: Zunächst möchte ich vorwegschicken, ich bin über unseren Mut sehr froh, eine solche Anzeige zu schalten. Das zeigen die Reaktionen aus einer breiten Unternehmerschaft: Das geht von einfacher Zustimmung bis zu fast jubelnder Zustimmung. Es gab wenig Kritik. Ich sehe eine große Übereinstimmung, wieder mehr über Frieden zu sprechen – auch wenn wir diesen nicht selbst herbeiführen können. Das soll auch nicht die Unterstützung für die Ukraine schmälern.
Die aktuellen Entscheidungen der Bundesregierung zu Panzerlieferungen gehen aber in eine ganz andere Richtung.
Ich halte das für problematisch. Wir sind nicht Kriegspartei. Es ist sicher richtig, dass wir eine Seite unterstützen. Doch wir dürfen uns nicht diktieren lassen, welche ihrer Wünsche die Ukraine wie umsetzt. Ich persönlich zähle nicht zu den Kritikern, die Kanzler Scholz Zögerlichkeit vorwerfen. Ich finde es klug, nicht vorschnell zu handeln.
Sie haben betont, Sie persönlich sehen das so. Ist es Aufgabe der Kammer, sich zu solch schwierigen außenpolitischen Entscheidungen zu äußern?
Sich zum Frieden äußern darf jeder Mensch und natürlich auch die Kammer. Frieden ist für uns alle existenziell. Und rein wirtschaftlich betrachtet, kann man auch sagen: Krieg hilft einer Nation, die vom Export von Waren lebt, überhaupt nicht.
Wie würden Sie die aktuelle Stimmung in der Unternehmerschaft zum Jahresbeginn beschreiben?
Wir haben Ende 2022 Umfragen zur Wirtschaftslage gemacht, die sind schlecht ausgefallen – Tendenz eher sinkend. Nun ist die Zeit vorangeschritten. Über Weihnachten haben sich die Gemüter beruhigt. Die Menschen waren mit ihren Familien zusammen. Die Situation hat sich auch deswegen entspannt, weil aufgrund des milden Winters eine Gasmangellage wohl nicht mehr zu erwarten ist. Wir sind aber noch nicht über den Berg – möglicherweise wird der Winter 23/24 noch schwieriger. Doch Gas ist nur ein Faktor – in fast allen Wirtschaftsbereichen steigen wenig kalkulierbar die Preise. Da kann es keine gute Stimmung geben.

Die Bundesregierung stellt für die Gas- und Strompreisbremse 200 Milliarden Euro bereit, damit auch kleine und mittelständische Unternehmen bestehen können. Warum sagen Sie nicht: Danke Herr Habeck, jetzt schauen wir, dass es aus unserer eigenen, unternehmerischen Kraft vorangeht.
Jedes Problem wird aktuell von der Politik mit viel Geld zugedeckt. Damit verletzen wir eine politische Kernaussage der letzten Jahre: Wir wollen nicht auf Kosten der jüngeren Generationen leben. Ich halte von den 200 Milliarden Euro nicht viel, weil sie nicht nur Härtefälle abmildern, sondern mit der Gießkanne verteilt werden.
Aber es waren doch Wirtschaftsverbände von den Bäckern bis zu Chemiekonzernen, die die Bundesregierung aufgefordert haben, etwas Wirksames zu tun – oder nicht?
Etwas zu tun, heißt aber nicht unbedingt, per Milliardenpaket an den Symptomen zu doktern. Es geht eher darum, die Energieknappheit zu beseitigen, die ursächlich zu steigenden Gas- und Strompreisen führt. Es ist widersinnig, erst die Atommeiler abzustellen und dann den teuren Strom zu subventionieren. Und ich finde es bedenklich, dass unsere Außenministerin Baerbock sagt, wir würden „nie wieder“ Gas aus Russland beziehen.
Dennoch: Viele Wirtschaftsverbände kritisieren häufig eine Anspruchsmentalität in Deutschland, wenn es um soziale Maßnahmen geht. Selbst rufen sie aber auch immer lauter nach der Politik.
… nach besseren Rahmenbedingungen! Aber ich stimme zu meinem Bedauern zu: In der breiten Öffentlichkeit ist es mittlerweile gang und gäbe, bei jedem Problem nach Staatshilfe zu rufen. Das mag bisweilen abfärben. Aber in der kritischen Lage in den vergangenen Monaten sehe ich vor allem viele Unternehmer, die mit einem enormen Verantwortungsbewusstsein handeln. Im Mitteldeutschen Chemiedreieck wird hart daran gearbeitet, die Betriebe irgendwie am Laufen zu halten.
Es gibt einige energieintensive Branchen, die arg gebeutelt sind. Doch andere Branchen haben nicht solche Belastungen.
Richtig, es stehen nicht alle Unternehmen mit dem Rücken an der Wand. Wir können auch stolz darauf sein, die vergangenen Krisen wie etwa die Pandemie gut gemeistert zu haben. Die niedrigen Insolvenzzahlen zeigen das. Generell sollte das Augenmerk wieder stärker auf Wertschöpfung liegen.
Was meinen Sie damit?
Die Verwaltung in unserem Land wächst weiter und immer weiter. Die Zahl der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst in Deutschland ist inzwischen wieder auf mehr als fünf Millionen gestiegen. Wenn man dessen Aufgaben konsequent digitalisiert und sich der Personalbedarf halbieren ließe, könnten 2,5 Millionen gut ausgebildete Arbeitnehmer in den privaten Unternehmen arbeiten. Auch den Bundestag würde ich halbieren. Das wäre das richtige Signal.
Das klingt jetzt etwas sehr nach Stammtisch.
Was ich sagen möchte: Wir müssen die Arbeit besser verteilen – hin zu produzierenden Tätigkeiten. Zudem benötigen wir Zuwanderung von Menschen, die bereits ausgebildet sind oder eine Ausbildung anstreben. Mit dem dualen Ausbildungssystem haben wir die Möglichkeit, auch junge Menschen aus dem Ausland sehr schnell zu qualifizieren. Das muss gestärkt werden. Bei der Ansiedlung von Intel in Magdeburg werden 70 Prozent der Beschäftigten Facharbeiter sein. Die sind heute aber nicht einfach da, sondern müssen ausgebildet oder angeworben werden.
Intel ist nicht die einzige Großinvestition. In Leuna, Bernburg und Bitterfeld gibt es mehrere Großansiedlungen. Woher sollen die Mitarbeiter für diese Unternehmen kommen?
Ich glaube, das wird vor allem über die Löhne und Gehälter geregelt. Die Ansiedler rekrutieren – da muss man sich nichts vormachen – ihre Mitarbeiter natürlich auch über die Gehälter. Kleinere und mittelständische Unternehmen aus der Region können sich dem nicht entziehen und müssen ihrerseits Mitarbeitern dann auch mehr zahlen. Natürlich ist das für einzelne Firmen eine Herausforderung. Aber der gesamte Wirtschaftsstandort gewinnt an Attraktivität. Insgesamt muss es unser Ziel sein, dass unsere Region ein starkes wirtschaftliches Zentrum wie München, Frankfurt oder Hamburg wird und Menschen von überall anzieht.