Wasserschloss Reinharz Wasserschloss Reinharz: Neue Herren und alte Legenden
Reinharz/MZ. - Manchmal, wenn es ganz still ist im Reinharzer Wasserschloss und niemand außer Simone Hönicke in dem Gemäuer noch Dienst schiebt, dann - pst! - kann man sie hören: Schritte. Na, wohl eher Schrittchen. Denn die Dame, die da geht, war noch sehr jung, als ihr Herr Vater sie wegen einer unstandesgemäßen Liaison einmauern ließ. "Lebendig", betont Hönicke und sagt augenzwinkernd: "Man kann hier schon das Gefühl bekommen, dass man nie ganz allein ist."
Ob Thomas Helm, Architekt aus Leipzig und einer von insgesamt drei neuen Schlossherren, weiß, dass sie da eine Untote miterworben haben, als sie das Barockensemble vor Jahren bei einer Auktion ersteigerten? Er antwortet nicht, er lacht. Dann sagt er, dass sich diese Legende genauso hartnäckig hält wie jene von den 52 Sälen. Auch werde erzählt, der Bau habe so viele Fenster wie Tage im Jahr. Es sind aber weit weniger und übrigens auch nur 36 Räume. Helm, 33, sagt tatsächlich "nur". Der Mann hat Humor. Den benötigen er und seine Kompagnons auch, denn das Wasserschloss befindet sich - zumindest aus der Sicht des Laien - in einem bedauernswerten Zustand. Draußen bröckelt der Putz und drinnen, in den Obergeschossen, kämpft man mit Schwammbefall.
Anderseits seien die Sicherungsmaßnahmen abgeschlossen, so Helm. Man stehe zudem kurz davor, ein Beheizungskonzept mit Erdwärme umzusetzen, eine Kleinkläranlage soll gebaut und der Schlossvorplatz wiederhergestellt werden. Und, bitte sehr, Dach und Dachstuhl sind schon nagelneu. Dafür gab es 260 000 Euro vom Land und der Europäischen Union, nicht zu vergessen die 70 000 Euro Eigenmittel der Eigentümer. Das Beste aber ist, dass es im Schloss nur selten so gemächlich zugeht. Stattdessen werden durch den Förderverein, den Simone Hönicke managt, in zwei fein herausgeputzten Sälen werden kulturelle Veranstaltungen angeboten, deren Strahlkraft bis nach Leipzig reicht. Und wer heiratswillig ist und etwas auf sich hält, der lässt sich im Schloss trauen.
Dass es den reizvollen Barockbau inmitten der Dübener Heide gibt, ist Heinrich Löser (1665 bis 1705)
zu verdanken. Weil dem Grafen und Hofgerichtsassessor einiges daran lag, die Blaublütler während der Jagdsaison würdig zu beherbergen, schickte er sich 1690 an, das Schloss zu bauen. Riesige Mengen Erdreich mussten entfernt werden, eingerammte Eichenstämme und daraufliegendes Erlenrostgeflecht bildeten ein stabiles Fundament.
Eine Mischung aus Bewunderung und Ratlosigkeit stellt sich ein, betrachtet man den Schlossturm. Mit seinen 68 Metern überragt er das Gebäude um Längen. Ja, litt der Bauherr denn an Geschmacksverirrung, dass er so ein Ungetüm in den Himmel wachsen ließ? Oder war es Größenwahn? Ganz im Gegenteil, wehrt Thomas Helm ab. "Die Höhe war notwendig, weil der Sohn des Erbauers, Hans Löser, als Allgemeingelehrter unter anderem Astronomie betrieb." In der Werkstatt des Schlosses entstanden unter seiner Regie wissenschaftliche Geräte von so hohem technischem und künstlerischem Wert, dass noch heute einige davon im Dresdener Zwinger zu sehen seien.
Zurück ins Schloss und zu Simone Hönicke. Einmal, nur für einen Tag, möchte die junge Frau in die Zeit derer von Lösers zurückversetzt werden. Dass das Leben damals in Wahrheit wenig kommod, die Hygiene eher rückständig gewesen ist, was macht's. Die Zeit, schwärmt Hönicke, war trotzdem schön. Und in einem prächtigen Gewand durchs Haus oder den angrenzenden Park zu schreiten, das würde ihr gefallen. Eine kleiner Hang zur Romantik dürfte es auch sein, der die neuen Herren von Schloss Reinharz antreibt. Dass es sich um ein Fass ohne Boden handeln könnte, weist Thomas Helm jedenfalls weit von sich. Er spricht stattdessen von "der Liebe zum Objekt", an dem man "nach und nach" das Erforderliche tun werde.