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Wasser Wasser: Gigant in den besten Jahren

Von DOROTHEA HECHT 04.09.2009, 19:18

RÜBELAND/MZ. - Er befindet sich etwa 15 Meter tief in der größten der sechs Talsperren im Bodetal, der Rappbode-Sperre. 1959 standen hier zum ersten Mal Ingenieure wie er und nahmen die Talsperre in Betrieb. Am Sonntag wird das 50-jährige Bestehen der Rappbodetalsperre im Harz gefeiert.

Den tiefsten Punkt in der Mauer hat Kruse noch längst nicht erreicht. Eine Treppe nach der anderen führt weiter nach unten. Mit jedem Schritt werden die Stufen feuchter, die Luft kühler. "Jetzt haben wir ungefähr acht Grad", sagt der Herr der Talsperren und zieht den Reißverschluss seiner orangefarbenen Regenjacke hoch. "Ganz unten sind es nur noch vier." Ganz unten heißt 98 Meter unter der Straße, die über die Staumauer führt. Ganz unten heißt in unmittelbarer Nähe von 100 Millionen Kubikmetern Wasser. Zum Greifen nahe, wären da nicht die meterdicken Betonmauern, die die Fluten im Staubecken zurückhalten.

Ob Kruse jemals Angst hat, dass etwas passieren könnte? "Nein", sagt er, "so eine Mauer bricht nicht einfach weg." Sollten die geringen Mengen Sickerwasser, die gleichmäßig durch den Beton dringen, zum Beispiel plötzlich stärker sprudeln, löst ein Messgerät Alarm aus. "Die Alten haben ziemlich gut gebaut", sagt Kruse.

"Die Alten" - das sind die Architekten, Planer, Techniker und Bauarbeiter, die über Jahrzehnte für die und an der Staumauer gearbeitet haben. Schon 1891 gab es erste Überlegungen, den regenreichen Harz zur Trinkwasser- und Energiegewinnung zu nutzen. Schnell führten sie zur Idee einer künstlichen Barriere. Oberhalb der Stadt Thale sollte eine 150 Meter hohe Bogenmauer entstehen. Treseburg und Altenbrak wären dabei komplett überflutet worden.

Widerstand regte sich, neue Pläne wurden entwickelt und wieder verworfen. Erst ein verheerendes Hochwasser 1926 machte den Anwohnern klar, dass etwas geschehen musste. Ein Talsperrensystem als Mehrzweckanlage - dieses Konzept setzte sich schließlich durch, ein riesiges Projekt stand bevor.

So begannen 1938 die Aushubarbeiten, 16 Meter tief sollte das Fundament im Boden verankert sein. 1941 war die Baustelleneinrichtung fertig. 600 Arbeiter waren ständig vor Ort, schufteten in Sechs-Tages-Schichten und übernachteten in Baracken am Hang. Französische Kriegsgefangene wurden eingesetzt, um die Stollen für die Flutung des Tals auszuheben. 1942 dann der Stillstand. Stahl wurde für den Krieg benötigt, alle beweglichen Geräte abgezogen, die Baustelle lag brach.

Erst 1952 ging man wieder ans Werk - mit allen verfügbaren Ressourcen. Nach der Gründung der DDR sollte das Projekt ein "Großbau des Sozialismus" werden. Am 3. Oktober 1959 schließlich, sieben Jahre, nachdem der Grundstein gelegt worden war, ging die Rappbodetalsperre in Betrieb.

Wasserversorgung ist seitdem kein Problem mehr für viele Orte im Harz. Darüber hinaus erhalten Haushalte bis Torgau, Zeitz und Halle per Fernleitung Bode-Wasser. Sogar Leipzig ist ans System angeschlossen.

"Das Tolle ist, da muss kein Liter Wasser in die Staubecken hochgepumpt werden, das fließt ganz von alleine", sagt Burkhard Henning, Leiter des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt. Er zapft sein Wasser täglich aus der Leitung. Ohne Bedenken könne man es trinken, sagt er. Das Bode-Wasser sei beliebt und extrem weich. "Wir müssen es sogar künstlich aufhärten", sagt Henning, "das ist Top-Qualität."

Neben der Trinkwasserversorgung erfüllt das Talsperrensystem zwei weitere Zwecke. Zum einen wird kontrolliert Wasser aus der Sperre abgelassen und durch Turbinen geleitet, die Generatoren eines Pumpspeicherwerks antreiben. Zum anderen sind etliche Städte im Harz vor Hochwasser geschützt. Nur einmal waren die Staubecken bisher nicht groß genug, um die Fluten zu halten. Das Hochwasser 1994 überstieg die mit 106 Metern höchste Staumauer Deutschlands und traf tiefer liegende Orte wie Blankenburg und Thale - abgeschwächt, aber dennoch heftig. "Da waren selbst wir machtlos", sagt Henning.

Höher kann und will der Talsperrenbetrieb die Mauer aber nicht bauen. Stattdessen konzentriert er sich auf die Instandhaltung der Anlage. "In den vergangenen 13 Jahren haben wir 22 Millionen Euro investiert", so Henning. Dennoch finden sich heute noch Originalteile aus den 50er Jahren in der Sperre. Im Servo-11-Raum zum Beispiel - dem "Herzstück der Sperre", wie Andreas Kruse sagt. Riesige blaue Zylinder regulieren dort die Wasserabgabe. Kruse schließt die Servo-11-Tür wieder ab und nach zahlreichen Gängen und Treppen eine andere auf. Fast tropisch warme Luft strömt in "die größte meiner sechs Talsperren", wie Kruse sie nennt. Wird sie weitere 50 Jahre stehen? "Noch viel länger."