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Vor zehn Jahren Vor zehn Jahren: Babys unter Beschuss

25.07.2002, 07:25
Das Archivbild vom August 1994 zeigt bosnische
Das Archivbild vom August 1994 zeigt bosnische ZB

Magdeburg/dpa. - «Ich würde es dennoch wieder tun», sagt Karsten Knolle heute. DerCDU-Europaabgeordnete aus Quedlinburg saß damals im MagdeburgerLandtag und war neben seinem parteilosen Kollegen Jürgen AngelbeckInitiator der Aktion. «Die Kleinen - das jüngste war gerade vierWochen alt - hatten doch im belagerten Sarajevo so gut wie keineÜberlebenschancen», erinnert er sich. «Sie hausten lange im Keller,waren ausgemergelt, krank, unterernährt und vom Tode bedroht. DasWaisenhaus stand öfters unter Beschuss.»

Nach den tödlichen Schüssen standen Knolle und sein Mitstreiter imKreuzfeuer der Kritik. Flüchtlingsorganisationen warfen beidenVerantwortungslosigkeit vor. Die UNO-Truppen vor Ort gaben sichüberrascht und monierten, die Evakuierung sei unzureichendvorbereitet und höchst unvorsichtig gewesen. Der damaligeAußenminister Klaus Kinkel (FDP) sagte, sein Ministerium habe denLandtagsabgeordneten zuvor geraten, derartige Einzelaktionen ohneUnterstützung von UN-Organisationen zu unterlassen. Sachsen-AnhaltsLandesregierung erklärte, allein die beiden Abgeordneten seien fürdie Evakuierung verantwortlich.

«Alle, die uns damals Leichtsinn und Verantwortungslosigkeitvorwarfen, sind angesichts des Todes von 1200 Kindern während derdreijährigen Belagerung von Sarajevo heute hoffentlich eines Besserenbelehrt», sagte Knolle. «Die von uns geretteten Kinder sind heuteselbstbewusst, gesund und glücklich.»

Nach einer längeren Odyssee über Geröllwege und Berge gelangten 42Kinder damals aus Sarajevo in die kroatische Stadt Split.Zwischendurch holten serbische Militärs noch neun Kinder aus dem Bus,weil diese serbischer Nationalität waren. Von Split aus flog einerussische Transportmaschine, die Knolle als klapprig in Erinnerunghat, die Gruppe am 4. August 1992 nach Sachsen-Anhalt. Hier wurdensie auf Heime unter anderem in Sandersleben, Schönebeck und Calbeverteilt, wo sie liebevolle Fürsorge fanden und langsam lachenlernten. 1997 kehrten die Kinder in ihre Heimat zurück.

«Die heute 11- bis 12-Jährigen leben jetzt bei Pflegefamilien oderVerwandten beziehungsweise in einem SOS-Kinderdorf in Sarajevo»,berichtet Knolle. «Zu einigen habe ich noch Kontakt. Nach meinenInformationen geht es allen gut, sie entwickeln sich bestens.»

Das Schicksal von Kriegsopfern in Bosnien lässt Knolle seit denEreignissen nicht mehr los. In Quedlinburg hat er einen Vereingegründet, der Spenden für Hilfsprojekte sammelt. Vor allem werdenmit Hilfe des Geldes Prothesen für Kinder und Jugendliche gefertigt,die durch Minen Arme oder Beine verloren haben. Anfang August weiltKnolle wieder in Sarajevo, um eine Spende zu übergeben.