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Vollsperrung am Leipziger Hauptbahnhof Vollsperrung am Leipziger Hauptbahnhof: Logistik des Stillstands

Von Alexander Schierholz 25.09.2014, 06:30
Großbaustelle Bahnhof: In Leipzig werden Bahnsteige fit gemacht für die schnellen ICE-Züge.
Großbaustelle Bahnhof: In Leipzig werden Bahnsteige fit gemacht für die schnellen ICE-Züge. dpa Lizenz

Leipzig - Um 12.16 Uhr an diesem Mittwoch dreht ein Techniker einen Schlüssel in einem Schaltkasten, ein Rolltor rasselt herab und versperrt den Zugang zur Tunnelstation des Leipziger Hauptbahnhofs. Vier Minuten vorher hat der letzte IC, leer, den Bahnhof verlassen, Richtung Abstellgleis. Nun dreht sich endgültig kein Rad mehr im Bahnknoten Leipzig, bis zum kommenden Sonntag, 12 Uhr. Insgesamt 96 Stunden bleibt der Hauptbahnhof einschließlich des City-Tunnels für die S-Bahnen komplett gesperrt. In dieser Zeit soll die neue ICE-Strecke aus Richtung Halle mit dem Gleisnetz verbunden werden. 50 neue Signale und 35 Weichen müssen getestet werden, das elektronische Stellwerk bekommt eine neue Software.

60 000 Reisende im Regionalverkehr, die täglich in Leipzig ein-, aus- oder umsteigen, wollen trotzdem transportiert werden. Nimmt man den Großraum Halle/Leipzig, sind laut Bahn sogar 100 000 Pendler betroffen. Im Fernverkehr kämen noch einmal 15 000 dazu, rechnet Christian Schulz.

Der Leipziger Bahnhofsmanager gehört zu den Experten, die seit Monaten an einem Ersatzkonzept für vier Tage Vollsperrung gearbeitet haben. 40 Busse haben sie bestellt, aus dem Umland, aus Berlin, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, überwiegend von Tochterunternehmen der Bahn. Die Busse pendeln zwischen dem Hauptbahnhof und zehn Vorortbahnhöfen. Dort beginnen und enden sechs S-Bahn- und mehrere Regionalzuglinien, für die Fahrplanexperten komplett neue Fahrpläne entworfen haben. Vier sogenannte Dispatcher sollen den Busverkehr in einer Leitstelle zentral steuern - ein riesiger logistischer Aufwand.

Endstation Messe

Eine Stunde, nachdem der letzte Zug den Hauptbahnhof verlassen hat, steht Christian Schulz in orangefarbener Warnweste an Gleis 3 des Leipziger Messe-Bahnhofs - ein zentraler Knoten während der Sperrung, weil dort auch Fernzüge halten, die um den Hauptbahnhof herumgeleitet werden. Schulz will sich überzeugen, wie es läuft. Allein hier hat er zusätzlich acht Mitarbeiter im Einsatz, die Reisenden auf der Suche nach dem richtigen Gleis helfen sollen. Auch im Hauptbahnhof und in anderen Stationen will die Bahn bei Bedarf mehr Personal einsetzen.

Auf der nächsten Seite: Logistische Herausforderungen und die Reaktionen der Händler am Bahnhof.

„Wir sind besser vorbereitet als im Vorjahr“, sagt der Manager. Da war der Hauptbahnhof schon einmal vier Tage lang dicht, um den City-Tunnel an das Gleisnetz anzuschließen. Dabei lief nicht alles wie geplant: Ersatzbusse und die Wege zu den Bushaltestellen zum Beispiel waren nicht ausreichend gekennzeichnet. „Daraus haben wir gelernt“, sagt Schulz. Am Messe-Bahnhof etwa haben seine Leute an den Aufgängen zu den Bahnhöfen jetzt große Schilder angebracht. Sie zeigen, von welchem Gleis Züge in welche Richtung fahren. Mobile Toiletten stehen bereit und ein Ticket-Verkaufswagen.

Dennoch läuft nicht alles glatt am ersten Tag der Vollsperrung. So hatte die Bahn angekündigt, die Ersatzbusse seien diesmal nicht nur mit dem Hinweis „Ersatzverkehr“, sondern auch mit dem jeweiligen Fahrtziel gekennzeichnet. Am Mittag aber ist das nur bei etwa jedem zweiten der Busse der Fall, die vom Hauptbahnhof aus die verschiedenen Vorortbahnhöfe ansteuern. Erst am Nachmittag klappt das Umsteigen besser.

Norweger auf Weg nach Halle

„Es hieß, der Bus fährt zur Messe, es steht aber nichts dran“, sagt Hugo Torgersen. „Ich hoffe, dass ich richtig bin.“ Der Norweger, 57, ist auf Europareise, besucht Freunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nun will er nach München, vorher aber noch in Halle Station machen, wo sein Großvater in den 1920er Jahren studiert hat. Von der Bahnhofssperrung und der entsprechend längeren Fahrzeit hat er erst in Leipzig erfahren. „Nun wird mir für Halle wohl nicht mehr viel Zeit bleiben.“ Am MesseBahnhof muss Torgersen noch eine halbe Stunde warten, ehe er mit dutzenden anderen Pendlern in eine S-Bahn nach Halle steigen kann.

Im Leipziger Hauptbahnhof haben derweil die Bauleute die Regie übernommen. In Spitzenzeiten müssten mehr als 200 von ihnen koordiniert werden, sagt Michael Menschner von der Bahn-Tochter DB Netz. Sie schließen Oberleitungen an, stellen Entwässerungen fertig oder Bahnsteige, die eigens für den ICE verlängert wurden. Auch Menschner und seine Leute stehen dabei vor logistischen Herausforderungen - etwa der Frage, wie der Mörtel zum Verlegen von Bahnsteig-Platten auf die Baustelle kommt? Schließlich fahren keine Züge. Antwort: Vermutlich wird der Baustoff per Auto über den Querbahnsteig angeliefert, also quasi durchs Bahnhofsgebäude.

Im dortigen Einkaufszentrum, das weiter geöffnet hat, sehen Einzelhändler der mehrtägigen Sperrung mit Bangen entgegen. „Es werden definitiv weniger Kunden kommen“, sagt eine Verkäuferin in einem Modeladen. „Im vorigen Jahr war das auch so.“ Die Betreiberin eines Crêpes-Standes direkt an den Bahnsteigen schließt ihr Geschäft für die vier Tage gleich ganz.

Während sie die Rollläden herunterlässt, bereiten Arbeiter auf den Gleisen vor der Bahnhofshalle den nächsten Bauabschnitt vor. Bis zum September 2015 sollen weitere Gleise erneuert und Bahnsteige für den ICE fit gemacht werden. Leipzigs Hauptbahnhof bleibt eine Großbaustelle. Die nächste Vollsperrung kommt bestimmt. „Bei dem, was wir hier zu tun haben, sind 72 Stunden das Minimum“, sagt Projektleiter Andreas Stuhr.

Blick in den Leipziger Hauptbahnhof während der Sperrung
Blick in den Leipziger Hauptbahnhof während der Sperrung
dpa Lizenz