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Verschrottung Verschrottung: Twingos allerletzte Fahrt

Von HANS-ULRICH KÖHLER 19.08.2009, 17:30

HALLE/MZ. - Den klemmt der Bennstedter Autohändler mehrfach am Tag unter die Scheibenwischer von Autos, die er in seiner Firma verschrottet. "Es jammert den Hund, was für Autos ich in die Presse schicke", so der Unternehmer, der dank Abwrackprämie gute Geschäfte machen kann. Aber viel zu viele Autos könnten noch jahrelang ihren Dienst tun, mutmaßt er.

So stehe ich nun beinahe mit schlechtem Gewissen vor Uhlmanns Büro. Seinen Zettel hat er meinem Twingo schon verpasst. Nichts, aber auch gar nichts hatte ich an dem Wagen auszusetzen. Er lief und lief und lief. Naja, er hatte keine Servolenkung, keine Klimaanlage, keine Fensterheber, und der Lack sah schon frischer aus.

Heute nehme ich an der Beerdigung meines Autos teil. Das ist eher selten in einem Kraftfahrerleben. Meist verkauft man das Teil weiter. Oder gibt es in Zahlung beim Händler. In der Stunde des Abschieds steht mir nur Uhlmann bei. Die Rolle ist auch für ihn neu. Er gibt mir meinen Zündschlüssel und weist nach rechts. Demontagehalle steht da über einer Toreinfahrt. Ich drehe den Schlüssel rum. Ein letztes Mal höre ich den vertrauten Twingo-Sound. Die finale Fahrt führt den Kleinen mit seinen 58 PS über 30 Meter zur Hebebühne. Dort verstummt er für immer - nach elf Jahren und 99 282 Kilometern. Und auf keinem einzigen Kilometer hat er mich jemals im Stich gelassen. Einmal nur hatte er einen Platten - und das in der Garage.

Oliver Weiß und Jürgen Kohlbach machen sich über meinen Twingo her. In eineinhalb Stunden muss das Auto fit für die Presse sein. Zuerst wird es trocken gelegt, wie es im Fachjargon heißt. Alles, was flüssig ist, muss abgelassen werden. Pechschwarz ist das Motorenöl geworden. Dass meine Kühlerflüssigkeit hellgrün ist, habe ich auch nicht gewusst.

Als Kohlbach plötzlich mit dem Hammer auf mein Auto einschlägt, durchzuckt es mich. Der Schwimmer am Tank will sich nicht lösen. Vorsicht bitte, will ich rufen - aber warum noch? Es hat sich ausgemessen im Tank. Der Schwimmer meldete mir all die Jahre, dass der Wagen ein rechter Knauserer war. Manchmal reichten seine 40 Liter für fast 700 Kilometer.

Die Batterie fliegt raus, das Steuergerät auch. Scheinwerfer und Spiegel folgen, alles gut erhalten. Und die Sitze, die mich mehrfach tausende Kilometer bequem - ja, bequem! - nach Europas Süden und zurück getragen haben? Bleiben drin, bescheidet mir Oliver Weiß kurz. Na gut, das grässliche Lila konnte ich noch nie leiden.

Intakte Teile werden ausgebaut

Links von der Hebebühne wächst ein Häuflein Twingo-Reste. Schon nach einer Stunde ist der Wagen ausgenommen wie eine Gans. Aber: Rohe Gewalt wird ihm selten angetan, was mich tröstet in der Stunde des Abschieds. Alles lässt sich irgendwie lösen, schrauben, entspannen. Nur wenn es gar nicht geht, sprüht die Flex Funken und ich leide.

Nun holen Weiß und Kohlbach Drähte und eine Batterie und freuen sich auf die Vorführung, die sie mir gleich bieten: Wir zünden die Airbags! Vorschrift! Es folgt ein dumpfer Knall wie von einem kräftigen Silvesterböller. Schlaff hängt der Luftsack aus dem Armaturenbrett. Den möchte man nicht ins Gesicht kriegen, so rau wie sich der weiße Stoff anfühlt. Schützen musste mich der Airbag nie.

Jürgen Kohlbach nimmt den Wagen mit einem Gabelstapler auf die Hörner. Räder ab, Felgen für den Schrott, Gummi als Beimischung für den Straßenbau, gut, dass der Twingo noch zu was gut ist. Dann fährt Kohlbach los, ganz langsam. So kann ich gemessenen Schritts nebenher zur Presse schreiten. Keine schattigen Friedhofs-Kastanien stehen hier Spalier, sondern Mauern von Schrott-Mobilen. Fehlt nur noch Händels Largo und ein großes Taschentuch. Es ist fast so, als trüge man einen guten Freund zu Grabe - bilde ich mir ein, um mich gleich zur Ordnung zu rufen: Mach halb lang, es ist nur ein Auto!

Der Totengräber heißt Udo Weißer, ein Bulle von einem Kerl. Schwarze Sonnenbrille, Stiernacken, die Ruhe selbst, der Sachse. Er fährt von Freiberg aus mit seiner Schrottpresse durch die Republik. Das ist ein Ding, das wie ein Riesen-Truck anmutet, nur dass statt eines Auflegers die Presse dranhängt. Heute hat der "MPA Eppendorf Autopressbetrieb" Udo Weißer eben nach Bennstedt im Saalekreis geschickt.

Zeit ist Geld, auch auf dem letzten Weg eines Automobils. Aber Weißer winkt mir zu. Ich solle hoch klettern zu seiner Kanzel. Wegen der guten Sicht ins "Grab". Unten hat indes Jürgen Kohlbach meinen Twingo so unsanft vom Stapler geschupst, dass es mich noch mal durchzuckt. Aber jetzt sieht der Wagen so jammervoll aus, dass der Abschied leichter wird.

In handliches Format gefaltet

Die Greiferarme krallen sich nun in die Scheiben des Autos. Das Geräusch geht durch Mark und Bein. Wie Wasser einer Fontäne steigt ein riesiger Schwall Glassplitter auf. Schwungvoll, ohne eine Bewegung zu viel, schwenkt Weißer den gelben Ausleger über die Presse und setzt ihn - extra für mich? - geradezu behutsam in die Stahlwanne vor sich ab. Von links drücken mächtige Hydraulikzylinder einen riesigen blauen Deckel auf mein Auto. Wie das kracht und knirscht und ächzt - und schreit?! Es wird gefaltet. Erst von links, dann von rechts. Die rechte Seitentür ist das letzte, was ich sehe von meinem Twingo, dann ist er platt. 200 bar - ein Reifen hat im Schnitt zwei bar - formen das Paket der Länge nach.

Weißer öffnet die beiden Deckel. Von vorn und hinten pressen zwei mächtige Stempel das Auto in ein transportfreundliches Format. Keine zwei Minuten sind vergangen und die Überreste des Autos schweben wieder hinab. Ausnahmsweise mal, wie der Pressen-Mann dem Presse-Mann sagt - für ein Abschiedsfoto vom Twingo. Der ist nun nur noch 1,60 Meter lang, kniehoch und einen Meter breit. Das war es also. Keine Blumen, keine Erde, keine Reden. Danke sollte ich dem kleinen Flitzer wenigstens sagen: Gut gemacht! Dann packt sich Weißer das Blechpaket, aus dem noch die Reste der lila Polster blitzen. Über einem roten Container löst der Kranfahrer die Greiferarme und mein Auto plumpst hinein. Ruhe sanft kann ich nicht hinterher rufen. Denn gleich geht es weiter nach Espenhain bei Leipzig. Dort wird das Paket handlich geschreddert. Am Ende gibt es ein Häufchen faustgroßer Metallklumpen. Armer Twingo. Tschüss!