Modellprojekt Verhütung: Bund testet kostenlose Pille für Frauen mit wenig Einkommen

Halle (Saale) - Frauen, die wenig bis gar kein Geld verdienen, verhüten kurzfristiger und somit unsicherer. Das ergab eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem vergangenen Jahr. Jetzt testet der Bund ein Modellprojekt, um die Kosten der Verhütung zu übernehmen und ungewollte Schwangerschaften bei ärmeren Frauen zu verhindern.
In Zusammenarbeit mit der Sexualberatungsstelle Profamilia bezahlt das Bundesministerium für Familien in sieben deutschen Städten die Kosten, unter anderem auch in Halle. Die Zielgruppe: Hartz-IV-Empfängerinnen, Wohngeldberechtigte, Asylsuchende, Studentinnen mit Bafög-Anspruch sowie Auszubildende.
Seit Januar dieses Jahres gibt es das mit 3,5 Millionen Euro angesetzte Projekt „biko - Beratung, Information und Kostenübernahme von Verhütungsmitteln“. Bis Ende 2019 soll der Test laufen. „Wir möchten eine Einschätzung abgeben können, wie hoch der Bedarf ist“, erläutert Franziska Rehwald, Biko-Beraterin bei Profamilia in Halle.
Frauen mit geringerem Einkommen verhüten "aus der Situation heraus"
Doch inwiefern verhüten Frauen anders, wenn sie weniger verdienen? Jene Frauen handelten mehr aus der Situation heraus, erklärt Ulrike Busch, Sexualwissenschaftlerin an der Hochschule Merseburg. Zu den meist genutzten Verhütungsmethoden gehören dann unter anderem das Kondom und der natürliche Zykluskalender. Bei Letzterem ermittelt die Frau durch eine Prognoserechnung oder ein spezielles Thermometer, ob sie sich gerade um einen unfruchtbaren Zyklustag handelt oder nicht.
Doch beide Methoden sind im Vergleich zur Pille weniger sicher. Zu den langfristigen Verhütungen zählen unter anderem die Spirale, das Diaphragma oder das Stäbchen. Dabei wächst die Bandbreite der Methoden mit jedem Jahr: ob das Kondom für die Frau, Gel, Spritze oder Zäpfchen. Gerade die langanhaltenden Mittel, die über Jahre wirken, kosten oft mehrere hundert Euro und sind somit für Frauen mit geringem Einkommen ein finanzielles Problem.
Aus ihrem Arbeitsalltag kennt Profamilia-Beraterin Rehwald das Dilemma. „Viele sagen: Ich könnte mir das sonst nicht leisten.“ Deswegen nutzen Frauen das Biko-Projekt, um teurere Verhütungsmethoden wie die Spirale ermöglicht zu bekommen: Im Vergleich zur Pille ist das eine hormonfreie Verhütungsmethode mit einer Wirksamkeit bis zu fünf Jahren. Kostenpunkt: 120 bis 300 Euro. Zum Vergleich: Eine Pillenpackung für drei Monate kostet zwischen 20 und 40 Euro, Kondome zwischen 20 Cent und 1,20 Euro das Stück. Kurzfristig sind sie somit günstiger, auf lange Sicht hingegen teurer als eine Spirale.
„Es ist peinlich zu einer Institution zu gehen und zu sagen: Ich habe Sex und brauche Geld für die Verhütung“
Um die Ausgaben erstattet zu bekommen, muss eine zusätzliche Hürde genommen werden: Die Frauen müssen der Beratungsstelle einen Nachweis vorlegen, dass sie zur Zielgruppe gehören. „Es ist peinlich zu einer Institution zu gehen und zu sagen: Ich habe Sex und brauche Geld für die Verhütung“, meint Sexualwissenschaftlerin Busch. Trotzdem sei das Projekt immer noch besser als gar keine Finanzhilfe.
Sie hofft, dass das Modell zu einer bundesweiten Lösung führt. Besser wäre ihrer Meinung nach jedoch eine durch die Krankenkassen gedeckte Verhütung, nicht durch eine staatliche oder kommunale Regelung. Buschs Forderung: „Kostenfreie Verhütung für alle, unabhängig vom Einkommen.“ (mz)