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Ungewöhnliche Auktion Ungewöhnliche Auktion: Schnäppchenjagd im Justizapparat

Von Steffen Könau 08.05.2003, 15:18

Halle/MZ. - Kurt Schafft zuckt nicht einmal. Vorn zählt Gerichtsvollzieher Hendrik Mantek in Zweierschritten hoch. Rechts zeigt ein Herr im bunten Hemd lässig seine Nummer 77. Der Profi im weißen Shirt steigt aus. Die 77 wankt. Dann hat Schafft es geschafft. "Zum Dritten", sagt Mantek. Kurt Schafft lächelt und stiefelt nach vorn, um seinen neuen Computer zu bezahlen. "Sechzig Euro", sagt der Rentner aus Landsberg, "da muss man doch zugreifen."

Erst recht, weil es Spaß macht, wie Gisela Müller meint. Zum vierten Mal ist die Versicherungsvertreterin zur Schnäppchenjagd in den Justizapparat gekommen. Etwa einmal im Jahr räumt die Staatsanwaltschaft ihre Asservatenkammer. Gestohlene Waren, deren Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sind, landet auf langen Tischen in einem Verhandlungssaal, in dem sonst Mörder und Vergewaltiger abgeurteilt werden.

Jetzt sprechen hier Lehrlinge auf Shoppingtour, reisende An- und Verkäufer oder Heimwerker auf der Suche nach günstigen Bohrhämmern ihr Urteil über Tüten voller Zigaretten und Autoradios ohne Gebrauchsanleitung. "Eigentlich, weil ich ein neues Handy suche", sei sie hier, sagt Gisela Müller. Aber natürlich auch, "weil man immer was findet, was man für wenig Geld mitnehmen kann."

Neben Gisela Müller liegen inzwischen drei Handys. Eine Edelstahl-Thermoskanne und etliche andere Kleinigkeiten bringt ihr Mann gerade zum Auto. Ein erfolgreicher Vormittag. "Wenn es auch ein bisschen dumm ist, dass die Handys alle nicht das sind, was wir wollten." Also weiter lauern. "Irgendwann muss es ja klappen." Das hat sich auch Enrico Pester gesagt. "Letztes Mal war ich auch schon hier", erzählt der Computertechniker, "und dann habe ich mich so geärgert, dass ich nicht richtig zugeschlagen habe." Diesmal allerdings hat der Hallenser mehr Entschlossenheit mitgebracht: Einen Premiere-Decoder hat er ersteigert, dazu gab es einen CD-Wechsler und ein Autoradio. "Den Wechsler und das Radio brauch ich nicht", sagt Pester, "aber irgendwo im Internet finde ich bestimmt jemanden, der mir das abkauft." Es sind auch in Halle längst nicht mehr nur Hobby-Bieter, die Gerichtsvollzieher Mantek mit Poker-Miene und lässigem Winken mit ihrer Nummer zum Zuschlag bewegen wollen. Links hinten steht der Mann im weißen Shirt, der eigens einen Gehilfen mitgebracht hat, der die ersteigerte Ware im Fünf-Minuten-Takt zum Transporter vor der Tür trägt. "Ist alles privat", sagt er, "ist alles für uns und ein paar Freunde."

Kurt Schafft mag das nicht glauben. "Diese Typen", schimpft der grauhaarige Herr, während er ein schmuckes Kinderfahrrad fortschiebt, "treiben doch nur die Preise hoch." Achselzucken auf der anderen Seite: "Wer kein Geld hat, soll halt zu Hause bleiben."

Vorn fräsen sich Hendrik Mantek und sein Kollege Ralf Pult derweil unberührt vom leisen Zwist im Volk durch den bunte Warenberg. 14000 Euro brachte ein Versteigerung mal ein. Heute werden es wohl so um die 4000 sein. Beachtlich, für Schnellkochtöpfe, ehemals 299 Mark, ab 10 Euro. Ein Paket Waschmittel. Ein Bündel Angeln. Staubige Fernseher. Und Hifi-Anlagen ohne Fernbedienung.

Doch vom Mindestgebot schaukeln sich die Preise flott in die Höhe. Zwei Minuten, und aus der Billig-Kamera ist ein gar nicht mehr so günstiger Risiko-Kauf geworden.

Denn Garantien gibt es nicht. "Kann sein, das Ding funktioniert gar nicht", schaut Enrico Pester zweifelnd auf seinen leicht derangiert aussehenden CD-Wechsler. "Ach, eigentlich kommen da nie Klagen", sagt einer der Beamten aus der Asservatenkammer. Und wenn doch, ist die gute Tat getan: "Das Land braucht Geld, also Leute, legt ruhig noch einen Euro drauf."