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Transgender aus Merseburg Transgender aus Merseburg: Papa wird ein Mädchen

Von Steffen Könau 02.05.2015, 13:06
Janice Lea Gruber hat viele Jahre nach sich selbst gesucht - in der kommenden Woche wird die Merseburgerin, die früher Jörg hieß, ihre Operation zur Geschlechtsangleichung haben.
Janice Lea Gruber hat viele Jahre nach sich selbst gesucht - in der kommenden Woche wird die Merseburgerin, die früher Jörg hieß, ihre Operation zur Geschlechtsangleichung haben. Andreas Stedtler Lizenz

Merseburg - Noch eine Woche, dann kommt das Ding da unten weg. Für Jörg wird es der Tag sein, an dem sein Leben endet. „Es wird Zeit“, sagt der 27-Jährige, der seit zwei Jahren auf diesen Augenblick gewartet hat. Sie werden ihn betäuben und sie werden ihn operieren, drüben in Leipzig. „Und wenn ich aufwache, bin ich endlich ich selbst.“

Jörg wird zu Janice

Janice wird die junge Frau heißen, die aus der Narkose aufwacht, Janice Lea. „Mutti, Mutti, Papa wird ein Mädchen“, hat Jörgs fünfjährige Tochter gerufen, als er ihr erzählte, dass sie bald keinen Vater, dafür aber eine zweite Mutter haben wird. Den neuen Namen haben die beiden dann zusammen ausgesucht. „Sie hat das ganz selbstverständlich akzeptiert“, erzählt Jörg, der schon seit zwei Jahren öffentlich als Janice lebt, obwohl er noch immer im Körper eines Mannes steckt. Das ist Deutschland, so sind die gesetzlichen Vorschriften. „du musst den zweijährigen Alltagstest bestehen, ehe du an eine Geschlechtsumwandlung denken kannst.“

Obwohl Geschlechtsumwandlung nicht das Wort wäre, das Janice benutzen würde. Ein Vierteljahrhundert hat sie es selbst nicht gewusst, aber „im Grunde war ich immer schon ein Mädchen“, sagt die junge Frau im enganliegenden Shirt. Die Hormone, die Medikamente, die Epilation, die Operation. Nichts davon wandelt das Geschlecht um, in dem sich Janice zu Hause fühlt. „Es macht bloß den Körper passend.“

„Als Junge hattest du einfach deinen Mann zu stehen, fertig“

Der war schon nicht der richtige, als Janice sieben oder acht war und noch Jörg hieß. „Meine Mutter wollte eigentlich, dass ich ein Mädchen werde“, sagt sie, „und meine frühesten Erinnerungen sind die, dass ich auch immer lieber mit Mädchen gespielt habe.“ Aber Querfurt, die Kleinstadt im heutigen Saalekreis, ist Anfang der 90er Jahre kein Ort, an dem traditionelle Geschlechterrollen in Frage gestellt werden dürfen. „Als Junge hattest du einfach deinen Mann zu stehen, fertig“, lächelt Janice hinter der langen Locke, die ihr links übers Auge ins Gesicht fällt.

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Das geht auch, irgendwie. Jörg ist groß, kräftig und intelligent, er kann laut sein und Zoten erzählen, Bier trinken und sich behaupten in der Männerwelt. „Ich war mehr Mann als viele andere, ich habe mehr getrunken und gerauft“, sagt Janice heute, „ich wollte ja allen zeigen, dass ich ein Kerl bin.“

Ständiges Unwohlsein

Nicht bewusst. Nie habe sie damals darüber nachgedacht, dass „irgendetwas mit mir nicht stimmt“, erinnert sich Janice. Ihre Finger spielen mit der kleinen Silberkette am Hals, der Blick geht für einen Moment ins Leere. Das ständige Unwohlsein, das Gefühl, neben sich zu stehen und eine Rolle zu spielen, hat sie damals mit Alkohol bekämpft. Und wenn der nicht half, mit noch mehr Alkohol.

Falsche Rolle im falschen Film

Bis auch der nicht mehr wirkt. „Ich habe Drogen genommen, Tabletten, ich habe jeden Exzess ausprobiert und es ging mir immer schlechter dabei.“ Janice kann nicht mehr schlafen, unter Menschen bekommt sie Herzrasen und Panikattacken, eine Depression löst die andere ab. Der Kopf tut weh, der Rücken schmerzt, es fühlt sich an, als ob der Körper Krieg führt gegen den Menschen, der in ihm lebt. „Ich wollte nur weg“, sagt Janice, die nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie landet und danach in eine Reha-Einrichtung eingewiesen wird. Sie ist knapp über 20 und hat das Gefühl, ihre falsche Rolle nun auch noch im falschen Film spielen zu müssen.

Da ist die Freundin, da ist die kleine Tochter, da sind alle Versprechungen eines ganz normalen Lebens. „Aber ich konnte das nicht, ich war völlig gefühlskalt, ich habe immer bloß gegrübelt, was ist nur mit mir los, was ist nur los.“

Weder Janice noch all die Psychologen und Fachärzte kommen auf die richtige Antwort. „Es hieß bei dem einen Spezialisten Tiefendepression, der nächste meinte dann, so etwas gibt es gar nicht.“ Janice ist Jörg und Jörg ist ein Wrack mit Thrombosen, Hautproblemen, Verhaltensstörungen und einem Alltag, der sich nur mit Hilfe starker Schmerzmittel durchstehen lässt.

Schalter hat sich umgelegt

Bis zum Silvesterabend vor zwei Jahren, der in eine Zeit fällt, in der Jörg überhaupt nicht mehr aus dem Haus geht. „Da hat es auf einmal Klick gemacht, als würde ein Schalter umgelegt.“ Was, wenn du im falschen Körper lebst? Was, wenn du eigentlich eine Frau bist? Jörg liest im Internet Berichte von Leuten, die unter ähnlichen Symptomen leiden und ähnliche gesundheitliche Probleme haben. „Ich bin dann zu meiner Freundin und habe gesagt, Schatz, ich lass das jetzt mal nachgucken.“

Das allein habe schon geholfen, sagt Janice heute. „Als würde man nicht mehr oben auf dem Zehnmeterbrett stehen, sondern gesprungen sein.“ Die Angst ist weg, die ständige Übelkeit, das Herzrasen, die Rückenschmerzen.

Trennung von der Freundin

Es ist wie das Ende einer langen Reise und der Beginn einer anderen. Jörg ist jetzt dauernd bei Ärzten, aber diesmal sind es Spezialisten für Fälle wie ihn, der eine Sie ist. Er trennt sich von der Freundin, oder sie sich von ihm oder von ihr, das ist selbst in der Beschreibung nicht so einfach, „es ging nicht mehr“. Der Kontakt aber bleibt, schon wegen der Kleinen.

Wegzugehen aus Merseburg, wo Janice bei jedem Brötchenkauf die Blicke anzieht, seit sie ihren gesamten Kleiderschrank ausgeräumt und mit schicken Klamotten aus der Damenabteilung wieder gefüllt hat, ist keine Option. „Ich will nicht weglaufen, nur weil einige gucken.“ Oder blöde Bemerkungen machen. Oder rempeln.

Freunde haben sich abgewendet

Janice ist stärker als Jörg, der nur immer stark getan hat. Sie hat in den Monaten, seitdem es sie „nur noch so gibt, wie ich bin“, jeden Tag für ihr Ziel gekämpft. „Es ist viel kaputtgegangen, Freunde haben es nicht akzeptiert und man muss sich dran gewöhnen, dass es niemanden gibt, der nicht über einen redet“, sagt sie.

Selten nur wird sie direkt angesprochen. Und noch seltener kann sie dann erklären, „dass man sich das nicht aussucht, sondern damit klarkommen muss“. Ihr Vater hat Rotz und Wasser geheult, ihre Mutter hat wenig gesprochen. „Es ist schwer für sie, aber ich bin immer noch ihr Kind.“

Ein Kind, das aufrecht geht trotz aller Schwierigkeiten und Erniedrigungen, die der sogenannte Alltagstest mit sich bringt. „du trägst Frauensachen, wirst aber beim Arzt noch mit deinem Männernamen aufgerufen“, erzählt Janice. Als sie sich um eine Stelle beworben hat, musste sie das als Mann tun, weil alle Zeugnisse auf einen Mann ausgestellt sind. „Und als ich zum Vorstellungsgespräch kam, hieß es bloß, sorry, Sie können wir nicht auf die Kunden loslassen.“

Tagtäglicher Kampf

Aber es ist gut so. „Seit ich mich entschlossen habe, ich selbst zu werden, lasse ich mich von niemandem mehr ärgern.“ Der Kampf mit den Krankenkassen, der Behördenmarathon, die dummen Sprüche in der Disco, die Traube Neugieriger, die ihr beim Shoppen nachgafft - „ich genieße das“, sagt Janice. Sind ja nur noch ein paar Tage: Kommende Woche ist OP-Termin, dann kommt das Ding da unten weg. Janice schließt die Augen und lächelt. Ein paar Tage noch, dann ist Jörg Geschichte. „Und ich kann endlich leben.“ (mz)