Toter Wolf im Jerichower Land Toter Wolf im Jerichower Land: Verbotener Schuss - Kein Blut und keine Munition gefunden

Halle (Saale) - Sie lag mitten auf dem Waldweg zwischen Loburg und Lübars (Jerichower Land), als ein Jagdpächter auf sie aufmerksam wurde. Gut ein Jahr alt war die Fähe - und tot, ganz offensichtlich erschossen. Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Jahren beschäftigt seit Ende vergangener Woche nun ein erschossener Wolf die Polizei im Norden des Landes. „Wir haben vor Ort nichts gefunden. Kein Blut, keine Munition“, sagt deren Sprecher Thomas Kriebitzsch. Für die Ermittler ist damit klar: Das streng geschützte Tier ist offensichtlich nicht vor Ort getötet, sondern lediglich dort abgelegt worden. Darauf deutet auch eine Fahrzeugspur hin, die genau am Wolf endet.
Die Ermittler stehen vor keiner leichten Aufgabe. Offenbar hat es sich um einen Durchschuss gehandelt. Bei der Sektion des Tierkadavers im Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin wurden zwar Munitionsreste eines Teilmantelgeschosses gefunden. Nun muss aber erst geklärt werden, ob sie den Fahndern Hinweise auf einen Schützen und dessen Waffe geben können. Hört man die Erfahrungen von Gesa Kluth vom Lupus-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, dann sind die Chancen, den Täter zu finden, nicht besonders hoch.
In den vergangenen Jahren, sagt die Expertin, seien solche Fälle nur geklärt worden, wenn ein Täter sich entweder selbst gestellt hat oder ein Wolf auf offiziellen Jagden erschossen wurde. Letzteres war 2009 der Fall, als bei Tucheim (ebenfalls Jerichower Land) der bis dato einzige Wolf in Sachsen-Anhalt sein Leben durch eine Kugel aus der Waffe eines Jägers ließ. Die jetzt erschossene Wölfin stammt möglicherweise aus dem 2014er Wurf des Rudels Altengrabow, heißt es im Landesamt für Umweltschutz in Halle. Genau könne das aber nur ein Gentest klären.
18 illegale Tötungen
Bundesweit, sagt unterdessen Kluth, sind in den vergangenen 15Jahren insgesamt 18 Wölfe illegal getötet worden. Auffällig ist dabei nicht nur die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre: Acht Fälle stammen allein aus 2014 und 2015. Ungewöhnlich sei auch eine andere Beobachtung, so Kluth: „Früher wurden die toten Tiere total zufällig gefunden. Heute werden sie auffällig hingelegt.“ Kluth vermutet darin auch ein Signal von ausgesprochenen Wolfsgegnern: Hier, ich schieße die Tiere und präsentiere sie so, dass es jeder sehen kann. „Das ist schon relativ eindeutig“, sagt sie. „Bedenklich“ findet das auch Martin Trost, Wolfsbeauftragter im Landesamt für Umweltschutz in Halle.
In Sachsen-Anhalt leben nach Erkenntnissen vom August dieses Jahres acht Rudel, ein standorttreues Wolfspaar und vermutlich zwei weitere Wolfspaare. „Die Zahl der Rudel und der Tiere insgesamt ist weiter angestiegen“, sagt Klaus Rehda, Präsident des Landesamtes für Umweltschutz.
Zahlen aus dem neuen Wolfsmonitoring will die Behörde voraussichtlich Anfang 2016 verkünden. In zwei Gebieten seien zuletzt Welpennachweise gelungen, womit zwei neue Rudel belegt seien: das Rudel Hoher Fläming und das Rudel Coswig nahe dem Rudel Göritz-Klepzig. Im Fläming, heißt es, bilde sich damit neben der Lausitz ein Schwerpunktgebiet für Wolfsvorkommen in Deutschland heraus.
Das Rudel Altengrabow (Jerichower Land) gilt in Sachsen-Anhalt als stärkstes - es war auch das erste. Im Jahr 2009 wurde dort zum ersten Mal außerhalb der Lausitz Wolfsnachwuchs registriert.
Im vergangenen Jahr hatten insbesondere zwei Fälle aus Brandenburg für Aufsehen gesorgt, in denen Wölfe erschossen und anschließend geköpft wurden - in beiden Fällen schaltete sich selbst das Landeskriminalamt ein. Eines der toten Tiere war provokant direkt unter einem Naturschutz-Schild abgelegt worden. Die Tötung eines Wolfes kann in Deutschland mit bis zu fünf Jahren Haft und 50.000 Euro Geldstrafe geahndet werden.
Wie sich die Beziehung Mensch-Wolf in den vergangenen Jahren entwickelt hat, lesen Sie auf Seite 2.
Der Wolf und der Mensch - eine gänzlich unproblematische Beziehung ist das seit der Rückkehr des einst in Deutschland ausgerotteten Raubtieres ohnehin nicht. Zuletzt machten Wölfe vor allem in Niedersachsen mehrfach durch Annäherung an den Menschen Schlagzeilen. Dass sie insgesamt auffälliger werden, sei aber „definitiv nicht so“, sagt Kluth. In Niedersachsen habe es sich vor allem um ein auffälliges Tier gehandelt, das offenbar schon als Welpe positive Erfahrungen mit Menschen gesammelt habe.
Es ist aber nicht nur diese Angst vorm angeblich bösen Wolf, die das Verhältnis belastet. Insbesondere Nutztierhalter beklagen Schäden, wenn sich Isegrim an ihren Herden bedient. In Sachsen-Anhalt wurden in diesem Jahr bis Ende November laut Umweltministerium 19 Nutztier-Risse registriert, die sicher oder sehr wahrscheinlich dem Wolf zuzuordnen sind. Ihnen fielen 53 Schafe, drei Rinderkälber und sechs Damwildtiere im Gehege zum Opfer. 2014 gab es neun Fälle mit 36 betroffenen Schafen, einem Kalb und dreimal Rotwild. Eine steigende Zahl von Fällen habe aber nicht nur mit mehr Wölfen im Land zu tun, sagt Kluth.
In Sachsen gebe es etwa ein Rudel mit 13 Welpen, das nicht ein Schaf geholt habe, ein kleineres Rudel dafür sehr viele. Erfahrungsgemäß steige die Zahl der Risse mit der Ansiedlung von Rudeln in neuen Gebieten, sinke dann aber wieder, sobald sich die Nutztierhalter darauf eingestellt haben, sagt die Wolfsexpertin. In Sachsen-Anhalt ist in den vergangenen Jahren die Zahl derer gestiegen, die für Schutzmaßnahmen wie mobile Zäune Fördermittel beim Land beantragt haben. Rund 115000 Euro wurden 2015 bisher bewilligt.
Auch bei Jägern trifft der Wolf längst nicht nur auf Befürworter. Sie kritisieren unter anderem, dass sich das Verhalten anderer Wildtiere ändere und es so lokal beträchtliche Wildschäden gebe. Dennoch: „Der Landesjagdverband Sachsen-Anhalt (LJV) und der Deutsche Jagdverband verurteilen die Tat und fordern eine konsequente Strafverfolgung“, hieß es jetzt in einer Pressemitteilung zu dem bei Loburg erschossenen Tier. Und: „Das Ansehen der gesamten Jägerschaft leidet durch illegale Tötungen, dabei unterstützen viele Jäger das Wolfsmonitoring aktiv.“
Ehrenamtliche Beobachter
Rund 40 Ehrenamtler aus den Reihen der Jäger sind laut Verband ausgebildet, Wolfshinweise zu erkennen und zu dokumentieren. „Illegale Tötungen von Großraubwild“, heißt es in dem Statement weiter, „lassen sich nach Auffassung der beiden Jagdverbände nur wirksam vermeiden, wenn betroffene Interessensgruppen noch stärker in die Entwicklung einbezogen werden.“ Gerade mit Jägern, heißt es dazu aber aus dem Landesumweltamt, werde sehr intensiv gesprochen. „Auch das hat uns vor diesem Fall nicht bewahrt.“
In Sachsen-Anhalt sind im Übrigen seit 2008 elf tote Wölfe gefunden worden. Mit acht Tieren kam die überwiegende Mehrheit davon bei Verkehrsunfällen ums Leben, in einem Fall konnte nach einem Knochenfund die Todesursache nicht mehr geklärt werden. Wie hoch die jeweiligen Dunkelziffern sind - niemand weiß es. Immer wieder verschwinden auch Wölfe aus dem Radar der Beobachter - aus ungeklärten Gründen. (mz)