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Tierzucht Tierzucht: Ärger auf dem Hühnerhof

Von STEFFEN HÖHNE 20.10.2010, 20:20

BAASDORF/MZ. - Ralf Renker liebt Hühner. Er züchtet Rassegeflügel und ist Preisrichter in Sachsen-Anhalt. Mit dem Federvieh kennt sich der Mann aus Riesdorf bei Köthen (Kreis Anhalt-Bitterfeld) aus. Dennoch - oder gerade deswegen - wehren er und viele andere Riesdorfer sich gegen den geplanten Bau einer großen Geflügelfarm in der Nachbarschaft. "Wir werden der Hühnerstall Sachsen-Anhalts", befürchtet Renker. Die negativen Folgen für Mensch und Tier würden nicht beachtet.

Der Protest richtet sich gegen die Anlagen des Agrar-Unternehmens Wimex, das insgesamt neun Geflügelfarmen in der Region erweitern oder neu bauen will. Wimex gehört in Europa zu den Hauptproduzenten von Bruteiern. Die 1985 in Bayern gegründete Firma ist seit Anfang der 90er Jahre in der Region Köthen aktiv und hat dort auch in Baasdorf ihren Sitz. In atemberaubendem Tempo haben die beiden Gründer Gerhard und Ulrich Wagner mittlerweile rund 100 Geflügelfarmen aufgebaut, ein Großteil davon in Sachsen-Anhalt. Rund 300 Millionen Bruteier verkauft Wimex pro Jahr.

Die Anlagen von Wimex - wie in Kleinpaschleben - sind mehr oder minder abgeschirmt. Von außen ist nur ein leises Surren der Lüftungsventilatoren zu hören. Selbst wenn man nur wenige Schritte entfernt von der großen, weißen Halle der Geflügelfarm steht, gibt es kaum Hinweise, dass im Inneren 35 000 Hühner leben. Kein Dreck, kein Geruch, kein Lärm. Durch ein Fenster ist ein Einblick möglich. Es handelt sich um eine sogenannte Elterntiere-Anlage. Die Tiere kommen dabei als Küken in die Farm. Aus gelben Trögen wird dort automatisch Futter verteilt.

"Die Tiere sind so gezüchtet, dass sie nicht aggressiv sind", sagt der Leiter der Tierproduktion, Stephan Klaasen-van Husen. Die Hühner legen ihre Eier in Boxen ab, die Nestern ähneln. Über ein Förderband werden die Eier gesammelt, auch dies erfolgt automatisiert. Die Eier werden für rund 20 Cent pro Stück an Brütereien geliefert und dort ausgebrütet. Die Küken wiederum werden an Mastbetriebe verkauft.

"Etwa 60 Wochen befinden sich die Elterntiere in unserer Anlage - danach werden sie geschlachtet", erklärt Klaasen-van Husen. Die Hühner gelangen in den Schlachthof, werden dort verwertet, sind aber keine klassischen Masthähnchen. Massentierhaltung ist für ihn nichts anrüchiges: "Die Tiere werden so gehalten, dass sie gesund und vital sind." Die Lebensqualität der Anwohner werde zudem kaum berührt.

Dies sehen viele Menschen in der Region anders. Fast immer gibt es Protest gegen den Neubau von Anlagen - so in Brambach, Baasdorf und aktuell auch in Riesdorf / Lennewitz. Während der Bau von großen Schweinemast-Anlagen wegen befürchteter Umweltbelastungen seit Jahren regelmäßig zu Bürgerprotesten im Land führt, ist der Widerstand gegen Geflügelställe relativ neu. Die Riesdorfer führen eine ganze Reihe von Argumenten an, die ihrer Meinung gegen den Bau der Anlage mit 84 000 Tieren sprechen: Geruchsbelästigung, Abgase durch mehr Verkehr, Lärm, zunehmende Seuchengefahr, Verschmutzung des Grundwassers.

"Es geht nicht allein um eine Anlage, sondern um die Vielzahl, die hier bereits stehen und noch gebaut werden sollen", sagt Ortsbürgermeister Olaf Behr und führt dies an einem Beispiel aus. So würden die Ställe mit Wasser gesäubert, das danach auf die Felder kommt. "Bei einer Anlage ist dies kein Problem, doch bei Dutzenden schon", sagt er. So könnte das Grundwasser belastet werden. Rassegeflügelzüchter Renker führt aber auch den Tierschutz an: "Schon bei der Planung der Projekte gibt es genaue Angaben, wie viele Tiere verenden." Unterstützung erhalten die Gegner dabei auch von Tierschutz-Vereinigungen. Wenn zehntausende Elterntiere in kurzer Zeit zum Schlachten abtransportiert werden, so die Argumentation, bleibe der Tierschutz auf der Strecke.

An diesem Wochenende wollen die Riesdorfer entscheiden, ob sie gegen die erteilte Genehmigung des Projektes durch das Landesverwaltungsamt klagen. Die Behörde prüft vor dem Bau, ob alle Genehmigungs-Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei werden auch Belange wie Geruch, Staub, Lärm, Natur- und Tierschutz berücksichtigt, erklärt Behördensprecherin Denise Vopel. "Und erfüllt der Investor die strikten Auflagen, dann wird auch genehmigt. Es gibt keinen gesetzlichen Entscheidungsspielraum", so Vopel. Dieser Automatismus wird von Gegnern kritisiert. "Es wird immer nur das einzelne Vorhaben geprüft, ohne die bestehenden Anlagen mit einzubeziehen", bemängelt Riesdorfs Bürgermeister Behr.

Bei Wimex kann man die Vorwürfe nicht nachvollziehen. "Wir haben in unseren Anlagen höchste hygienische Standards. Tierkrankheiten wollen wir auf ein Minimum reduzieren", betont Betriebsleiter Claus Möllmann. Das Unternehmen setze zudem auf einen geschlossenen Produktionskreislauf. Das Futter für die Tiere werde zum großen Teil auf eigenen Feldern in der Region angebaut, der Geflügelmist in Biogas-Anlagen veredelt. Wimex versucht auf die Anwohner zuzugehen: "Wir laden alle Kritiker ein, unser Unternehmen zu besuchen und sich selbst ein Bild zu machen", sagt Möllmann. Nach seiner Ansicht steht hinter dem Protest vielfach eine generelle Ablehnung von Tierzucht. "Die Menschen wollen zwar Geflügel günstig im Supermarkt kaufen, die Produktion möchte jedoch niemand vor der Haustür haben", sagt der Betriebsleiter. Für Wimex sei es ökologisch und ökonomisch sinnvoll, die Anlagen in einer Region zu haben. Dies erspare lange Fahrwege.

Trotz der Proteste hat der Konzern bisher alle geplanten Projekte realisieren können. Oft wurden Bürgereinwände berücksichtigt. "Wir rechnen damit, dass wir auch weiter in der Region investieren können", sagt Möllmann. Kritiker Renker hält dem entgegen: "Oft nicken Gemeinderäte Vorhaben einfach ab, ohne die Folgen zu bedenken. Doch der Protest wird lauter."