Thüringen Thüringen: Einzigartiges Wohngefühl auf der Erfurter Krämerbrücke

Erfurt/dpa. - Enge Treppen, niedrige Decken, kleine Zimmer undschiefe Wände, all das nimmt der Maler und Grafiker Egon Zimpel seitfast 40 Jahren gern in Kauf. Dafür lebt er in einer außergewöhnlichenWohnlage. Das schmale Fachwerkhaus steht auf der 1325 erbautenKrämerbrücke in Erfurt, der einzigen bebauten und bewohnten Brückenördlich der Alpen.
Durch die geöffneten Sprossenfenster im «Haus zum bunten Löwen»dringt das Gemurmel der Touristen, die über den mit 32 Häusernbeidseitig bebauten Flussübergang wandeln. Rund 125 Meter spannt ersich über die Gera. Kunst-, Antiquitäten- und Schmuckläden reihensich an kleine Geschäfte mit eigenen Pralinen-Kreationen oder Weinender Region. Selbst die berühmte Brücken-Schwester Ponte Vecchio inFlorenz kann dieses Flair nicht bieten: Dort haben Juweliere dasMonopol.
In den Wohnungen über den Läden ist für besonderen Komfort keinPlatz. Aber den vermisst Zimpel auch nicht. Ihn hat es nach demKunststudium in Heiligendamm nach Erfurt verschlagen. Die 60Quadratmeter große Wohnung - ein durch offenes Fachwerk getrenntesWohn-, Arbeits- und Schlafzimmer, Küche und Bad - verrät den Künstlerund Kunstliebhaber.
Die Regale biegen sich unter der Last der Bücher. An jeder freienFläche hängen Musikinstrumente, Masken, Fotos, Bilder. Einhandbemalter Bauernschrank von 1810, Truhe, Tischchen, zwei kleineSessel - für viel mehr ist in dem gemütlichen Wohnzimmer nicht Platz.Zum «Atelier» avanciert der helle Treppenabsatz vor der Wohnungstür.Die große Sanierung ist nach der Wiedervereinigung ausgeblieben. «Anden alten Häusern ist immer etwas zu reparieren. Man hat dieHandwerker quasi im Bett.»
Allein der Erhalt der Brücke an der Via Regia, der wichtigstenHandelsstraße des Mittelalters zwischen Ost- und Westeuropa, hatjedoch jede Menge Geld gekostet. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutzunterstützte die Arbeiten an Häusern und Brückenbögen mit mehr alseiner Million Euro. Die Sanierung hat zum Glück nicht dazu geführt,die Krämerbrücke in ein Puppenhaus zu verwandeln.
Vor dem Fenster von Zimpel rankt Kresse in die Höhe. Er kannseiner Nachbarin gegenüber ins Zimmer sehen, aber neugierig ist hierniemand. «Ab und an stellt einer von uns Tisch und Stühle auf dieStraße, dann wird gemeinsam zu Abend gegessen», sagt der 66-Jährige.Bis vor wenigen Jahren feierten die Bewohner jedes Jahr ein Fest -als Ergebnis des erfolgreichen Kampfes gegen den geplanten Verkaufder Brückenhäuser an gut betuchte Privatleute. «Nach 1990 rietenExperten aus dem Westen den Stadtoberen: "Verkauft die alten Häuser,damit werdet ihr nie glücklich."», erinnert sich Zimpel. «Wir aberwollten alle bleiben, weil wir uns hier wohlfühlten.»
Außerdem fürchteten die Anwohner in der Privatisierung desstädtischen Eigentums um den Bestand des Denkmals. «Wir suchten nacheinem schützenden Dach und fanden es in einer Stiftung.» Nach heißenDebatten willigte die Stadt ein. 1996 wurde die Stiftung Krämerbrückegegründet, mit im Boot neben der Stadt auch die Deutsche StiftungDenkmalschutz.
Zimpel sieht darin die Gewähr, dass sich nicht etwa Ramschlädenauf dem Denkmal breitmachen. Mehrere Jahre entschied er im Vorstandmit, wer den Zuschlag für ein Geschäft oder eine Wohnung bekommt, wasdenkmalgerecht saniert oder repariert werden muss. «Früher gab eshier kaum Kinder, das hat sich geändert», freut er sich.
Jedes Jahr kommen aber auch mehr Touristen. Beim Krämerbrückenfestund Weihnachtsmarkt findet der 66-Jährige wie all die Bewohner nachtskaum Ruhe. «Von "La Paloma" bis zur deutschen Nationalhymne ist allesdabei.» Aber wie an die Enge hat er sich auch daran gewöhnt. «Manmuss dies mögen oder wegziehen», sagt er und seine Mine lässt keinenZweifel daran, dass er bleibt.
