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Tatortreiniger aus Köthen Tatortreiniger aus Köthen: Pfützen aus Leichenwasser, Fäkalien, Maden und Blut

Von Christiane Rasch 26.06.2017, 10:00
Das Ehepaar in seinem Transporter: Darin haben sie alles verstaut, was es für Tatortreinigungen braucht.
Das Ehepaar in seinem Transporter: Darin haben sie alles verstaut, was es für Tatortreinigungen braucht. Andreas Stedtler

Köthen - Meist schlägt er ihnen schon im Treppenhaus entgegen. Dieser schwere, stechend süße Geruch. Gar nicht angenehm, sondern ekelerregend süß. Ein Geruch, der sich mit nichts vergleichen lässt. Und den man nicht vergisst. Für Antje und Carsten Liebner gehört er zum Alltag. Das Ehepaar reinigt Orte, an denen kurz zuvor noch Leichen lagen. Pfützen aus Leichenwasser, Fäkalien, Maden und Blut - all dies ist für sie ein gewohnter Anblick.

Liebners sind Tatortreiniger. Ihre Aufgabe: alles verschwinden zu lassen, was an Tod und Verbrechen erinnert. Blutspritzer an Wänden, Gewebereste im Teppich, Verwesungsgeruch, der in jedem Spalt sitzt.

Eine weiße Schutzhülle

Dass der Beruf körperlich und psychisch kräftezehrend ist, war Antje Liebner schnell klar. Für Aufträge ist die 41-Jährige mit ihrem Mann bereits durch halb Deutschland gefahren. Je nachdem, wo ihre Dienstleistung verlangt wurde. Sobald das Telefon klingelt und der nächste Auftrag beginnt, verschwinden ihre auffälligen Tattoos und Piercings, ihre pinken Haarsträhnen im selben Ton wie die langen, spitzen Kunstnägel, unter Schutzanzug und Atemschutzmaske. Es ist der Moment, in dem sie die Emotionen ausschaltet, die Konzentration nur auf die bevorstehende Arbeit richtet. Wohl auch, um sich vor dem zu schützen, das zu verdrängen, was sich noch kurz zuvor an diesem Ort abgespielt hat.

Nicht immer gelingt das. Wie neulich in einer Wohnung in Naumburg: „Da waren diese kleinen blutigen Fußtapsen auf dem Boden“, sagt Antje Liebner. Überall hätten Schuhe und Sachen eines Kindes gelegen. Sie zwingt sich, ihren Job zu erledigen. Sprühen, wischen, sprühen, wischen. Immer wieder, bis kein Blut mehr zu sehen ist. Gegen die Bilder in ihrem Kopf gibt es kein Mittel. Die Fußtapsen lassen Antje Liebner nicht los. Was ist dort passiert? Im Internet findet sie die Antwort: Eine Mutter hat ihren 14 Monate alten Sohn erstochen. Selbst dann hört das Grübeln nicht auf. Auch wenn sie sagt: „Auftrag ist Auftrag.“

Unspektakulär erscheint im Rückblick ihr erster Einsatz. Anfang 2016, eine Wohnung in Wittenberg. „Ein normaler Leichenfund“, sagen die Liebners heute, 20 Einsätze später. Normal, weil es ein natürlicher Tod war. Friedlich und ohne Gewalt. So wie sich die meisten Menschen das Sterben vorstellen. Das, was danach kommt, hautnah mitzuerleben und die Reste eines Toten mit den eigenen Händen zu beseitigen, dürfte für die meisten dennoch einem Albtraum gleichkommen. Für Liebners gehört das zum täglichen Geschäft. Einsätze anderer Art sind es, die sie an ihre Grenzen bringen.

Vermittelt wurde ihnen dieser erste Auftrag von einem Freund und Geschäftspartner, der seinen Lebensunterhalt mit Tatortreinigungen und wie Liebners mit Entrümpelungen und Haushaltsauflösungen verdient. Normalerweise aber sind es Hinterbliebene, die Tatortreinigungen in Auftrag geben. Lassen sich keine Angehörigen des Verstorbenen ausfindig machen, wenden sich für gewöhnlich Hausverwaltungen an die Spezialisten.

An sich, sagt Carsten Liebner, lief das eigene achtköpfige Unternehmen mit Sitz in Elsdorf, einem Köthener Ortsteil, nicht schlecht. Doch trotz guter Auftragslage warf das Geschäft nur das Nötigste ab. Der Anruf des Freundes kam da gelegen. Schon früher habe man sich gegenseitig geholfen. Dem anderen Aufträge weitervermittelt, wenn mal wieder viel zu tun war. So ähnlich wie dieses Mal. Nur ging es nun nicht ums Ausmisten einer Wohnung, sondern ums Verschwindenlassen von Leichenspuren. Wie es geht, zeigte der Freund dem Paar in Wittenberg. Danach beschlossen Liebners, ihr Unternehmen um Tatortreinigungen zu erweitern.

In der Regel werden damit spezialisierte Reinigungsfirmen beauftragt. Um die zu finden, genügt eine einfache Online-Suche mit den Stichworten „Tatortreiniger“ und der jeweiligen Stadt.

In den meisten Fällen sind es Angehörige, die die Tatortreiniger rufen. Der Anruf befreit sie von der Last, die Wohnung des Verstorbenen noch einmal betreten und säubern zu müssen. Und selbst wenn sie sich dazu durchringen: Mitunter ist eine Reinigung ohne Hilfe schlicht nicht möglich. Dann, wenn das Leichenwasser innerhalb weniger Tage Kleider, Möbel, Teppich und Linoleum durchdrungen hat und ins Betonfundament gesickert ist.

Mit Aufwischen ist es nicht getan

Weil man dagegen nicht mit einfachem Putzen ankommt, ließen sich Carsten und Antje Liebner an einem Hygieneinstitut im sächsischen Klingenberg zu Desinfektoren ausbilden. Innerhalb von drei Wochen lernten sie etwa, Räume vor dem Betreten mit Wasserstoffperoxid zu vernebeln - zum Schutz vor ansteckenden Krankheitserregern. Aber auch, um diesen schweren Geruch zu bekämpfen, der im Zersetzungsprozess der Leichen entsteht. Sie lernten, dass es mit dem Aufwischen menschlicher Überreste nicht immer getan ist. Der Prüfung zum Desinfektor folgte eine Schulung zum Tatortreiniger. Auch wenn die gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. „Was der Beruf alles beinhaltet, haben wir bis dahin nicht gewusst“, gesteht Antje Liebner. Und sagt, dass man ihn erst am Tatort richtig lernt.

Eine Leiche bekommen die Liebners dort nie zu Gesicht. Die Reinigung beginnt erst, wenn die Toten abtransportiert sind und die Spurensicherung abgeschlossen wurde. Was bleibt, sind die Spuren. „Man erkennt genau, ob der Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist, oder ob es sich um einen Kriminalfall handelt“, sagt Carsten Liebner.

Selbst wenn ein Mensch unter tragischen Umständen sein Leben verloren hat - nah geht ihm das nicht. „Ich habe keine Fälle, die mich beschäftigen. Ich mache da einen Haken dran, nehme es nicht mit nach Hause.“ Es ist, wie der 45-Jährige sagt, eine bewusste Entscheidung. Eine Einstellung, die ihm hilft, mit den Bildern klarzukommen.

Der groß gewachsene Mann mit den breiten Schultern und kräftigen Händen will nicht wissen, wer die Opfer der Verbrechen waren und was ihnen zugestoßen ist. Wenn sich der Kontakt mit den Auftraggebern auf das Nötigste beschränkt und Informationen rar sind, bleiben ihm die Tragödien fern. Anders ist es, wenn er zu prominenten Fällen gerufen wird - wie kürzlich bei einem Ehedrama in Brachstedt. Dort soll ein Jäger seine Frau erschossen und danach versucht haben, sich das Leben zu nehmen.

Eine Geschichte, die vielen einen Schauer über den Rücken jagt. Nicht Carsten Liebner. Er gibt sich hart. Psychologische Beratung? Braucht er nicht. Für den Beruf ist man gemacht, oder eben nicht. Aber selbst Liebner hat einen Fall, der ihn beschäftigte. Es war eine Leichenfundortreinigung in einem Mehrfamilienhaus in Leipzig. „Schon als wir die Tür zum Treppenhaus aufgemacht haben, haben wir es gerochen“, erzählt er. Im obersten Stockwerk war ein älterer Mann verstorben. Entdeckt wurde die Leiche erst acht Monate später. Der Mann habe allein gelebt. Niemand habe sich gekümmert, selbst als der Briefkasten längst überquoll. „Wie kann das kein Nachbar gemerkt haben?“, fragt Liebner.

Trotz der Fragen erfüllte er seinen Auftrag, beseitigte, was an den Tod erinnerte. Wie am Ende aller Reinigungen mit zwei Stößen aus einer Spraydose. Süßlich frischer Pfirsichduft. (mz)