Stasi-Verstrickungen Stasi-Verstrickungen: Unvergessene Katastrophen
Leipzig/MZ. - Gestern morgen um elf lud der Mitteldeutsche Rundfunk zu einem besonderen Termin. Bei einer Tasse Kaffee präsentierte die Anstalt ihr jüngstes und Erfolg versprechendes Projekt. Die neue Staffel von "Vergessene Katastrophen" beleuchtet Unglücke, die in der DDR oft totgeschwiegen wurden. Fragen zu den aufwendig recherchierten Folgen, die sich auch auf Stasiakten stützen, beantwortete auch der zuständige Redakteur Martin Hübner. Keine schlechte Wahl des Senders. Denn der 46-jährige Hübner, von der Staatssicherheit über viele Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter "Karl" geführt, kennt sich aus mit Katastrophen.
Da ist zum Beispiel Egon Linde. Der 45-Jährige, der den zu DDR-Zeiten freiberuflich tätigen Filmemacher Hübner als seinen Freund wähnte, las nach der Wende die eigene Stasi-Akte. Überwacht in der Operativen Personenkontrolle "Bildhauer", stieß der studierte Historiker Linde immer wieder auf denunzierende Details - geliefert von seinem Spitzel "Karl" alias Hübner. Zu "Karl" hat die Gauck-Behörde inzwischen Berichte und Quittungen für "operative Ausgaben" über mehrere hundert Mark gefunden.
Linde, der im März vergangenen Jahres die Unterlagen der MDR-Personalchefin zugänglich machte, wurde ein klärendes Gespräch mit Hübner angeboten: Linde fand es gut, über die unvergessenen Katastrophen zu diskutieren. "Doch nichts tat sich", klagt er. Neun Monate später, im Dezember 2000, schrieb Personalchefin Gabriele Gruber erneut an Linde. "Aufgrund der Weigerung von Herrn Hübner" werde es ein Gespräch nicht geben. "Als Arbeitgeber" könne der MDR "eine Teilnahme von Herrn Hübner nicht einfordern".
Fälle wie diese sind symptomatisch für die derzeitige Situation im MDR. Die Opfer von einst treffen auf Täter von einst und stellen mit Erschrecken fest, dass die in festen Positionen sitzen. Die Anstaltsleitung gibt immer nur so viel nach, wie sie gerade muss. Die Stimmung in den Redaktionen des Senders schwankt zwischen Resignation und Aufbegehren, zwischen Angst und eisigem Schweigen. Und das nicht erst, seit in der vergangenen Woche verbitterte Mitarbeiter vor dem MDR-Hochhaus einem Schneemann das Pappschild "IM Snow" um den Hals hängten.
Der MDR und die Stasi: Das ist schon lange keine Debatte mehr um die Verstrickung einzelner Journalisten. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Branche. Zwar bemühte sich der Chef des Politmagazins "Fakt", Wolfgang Fandrich, nach der Enttarnung von Moderatorin Sabine Hingst als Stasi-Mitarbeiterin "Christine" um Schadensbegrenzung und erklärte, dass die "Glaubwürdigkeit davon nicht betroffen" sei. Tatsächlich wissen alle: Mit jedem Tag weiteren Aussitzens mausert sich die Anstalt mit Sitz in Leipzig zum Absurdistan des Fernsehens.
Beispiel Frank Liehr. Nachdem die jahrelange IM-Tätigkeit von Vorzeige-Moderator Oliver Nix öffentlich geworden und der deshalb von der Moderation der Sendung "Hier ab vier" entbunden worden war, moderierte Liehr, 40, eine Sondersendung zum Thema. "Während die einen Aufklärung bis zur letzten Akte verlangen, fordern andere - darunter auch Sie, liebe Zuschauer - die Akten endgültig zu schließen", war einer der verständnisvollen Sätze für den Kollegen. Und dann wollte Liehr von seinem Studiogast, dem als integer geltenden früheren Leipziger Superintendenten Johannes Richter noch wissen, ob man das Thema nicht in Ruhe und ohne es gegen den MDR zu verwenden aufarbeiten könne.