Spitzengastronomie Spitzengastronomie: Der Herr der Töpfe
Halle (Saale)/MZ. - Still sitzen? Höchstens für ein paar Minuten am Schreibtisch, wenn es denn unbedingt sein muss, aber das bereitet Thomas Barth, Chefkoch des Landhauses "Zu den Rothen Forellen" Ilsenburg, sichtlich Unbehagen. Eigentlich ist er immer in Bewegung: vom winzigen Büro neben der Küche schnell in den Lagerraum, dann mal eben zur Warenannahme, kurz schauen an der Patisseriestrecke, wo Desserts und Kuchen entstehen, ein paar Handgriffe hinter dem Herd. Wer ihn beobachten will, hat es schwer mit dem umtriebigen Kochkünstler. Ja, so kann er genannt werden, denn wer sich am Gastronomenhimmel mit einem Stern schmückt, ist nicht nur ein ausgezeichneter Handwerker, sondern mehr. Er beherrscht sein Metier mit traumwandlerischer Sicherheit, denkt sich immer wieder Neues aus, ist neugierig und kreativ - ein Künstler eben.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Wenn der erste Mann der Küche durch sein Reich fegt, ist das nicht etwa Ausdruck von Hektik, sondern genau das Gegenteil. Gerade weil er - salopp gesagt - seinen Laden im Griff hat, kann er sich so sicher und geschwind um alle Dinge gleichzeitig kümmern, ohne dass er Sorge haben muss, dass daraus Chaos entsteht. Er gibt den Anstoß und behält den Überblick - dank eines eingespielten Teams und strikter Hierarchien. So kann sich der Küchenchef darauf verlassen, dass die nachfolgende Arbeit wie am Schnürchen läuft. Das freut den Herrn der Töpfe. Vor allem aber bestätigt es ihn.
Erst vor gut einem Jahr ist Thomas Barth in die "Forelle" zurück gekehrt. Eine Herausforderung, denn dieser Küche wurde schon vor mehr als sieben Jahren ein Michelin-Stern verliehen. Der erste und einzige in Sachsen-Anhalt. Als Thomas Barth sozusagen den Kochlöffel übernahm, wollte er natürlich auch den Stern verteidigen. "Niemand hat das von mir verlangt", sagt er und spart sich selbst dabei aus, denn so ehrgeizig ist er schon, dass er die Ehrung gern behalten wollte.
Der neue Küchenchef hat sich ein Team geformt - seinen Stellvertreter Ronny Abel mitgebracht, mit dem er sich blind versteht, und auch seinen "kleinen" Bruder Martin, einen ebenfalls ausgebildeten Koch. So rastlos, wie Thomas Barth in der Arbeit wirkt, so zuverlässig, ruhig und überlegt führt er seine Mannschaft. Da fällt kein lautes Wort, gibt es keinen Krach oder herrische Ansagen. Wer glaubt, in der Sterne-Küche müsse es so zugehen - oft genug wird dieses Klischee ja auch bestätigt -, sieht sich enttäuscht. Unter Barth hörte das Kommen und Gehen, das im Küchenbereich des Hotels jahrelang an der Tagesordnung war, einfach auf. Die hohe Qualität und Meisterschaft - die blieb. Und so ist er nicht umsonst im vergangenen Herbst nachts aufgestanden, um im Internet nachzuschauen, ob der Stern noch da ist, als die entsprechenden Listen veröffentlicht wurden.
Er war noch da und der Chef de Cuisine fühlte sich erleichtert und geehrt. "Ich bin zwar nicht der erste, der in Sachsen-Anhalt einen Stern geholt hat", scherzt er, "aber ich bin der erste Sachsen-Anhalter." Die kleine Episode verrät, was Thomas Barth wichtig ist: sein Metier zu kennen, fachlich Erstklassiges zu leisten, Erfolg zu haben und dennoch nicht abzuheben. Einen Stern zu verteidigen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Leistung am Limit. Täglich. Spitzengastronomie ist kein Kuschelgeschäft.
Den 30-Jährigen interessierte das Kochen schon während der Schulzeit. Allerdings aus einem schnöden Grund: "Weil ich sonst nichts zu essen gehabt hätte", witzelt er und erinnert sich an sein jugendliches Selbstversorgerdasein. Genauso gern denkt er an die Kochkünste seiner Oma zurück. Und weil er mindestens ebenso lecker kochen wollte wie sie, war es für ihn klar: "Ich werde Koch." Heute weiß der gebürtige Hallenser: "Eigentlich hatte ich vom Kochen zu der Zeit keine Ahnung." Die kam mit den beruflichen Herausforderungen.
Gelernt hat Thomas Barth in Leipzig, danach begannen seine "Lehr- und Wanderjahre". Die führten ihn zunächst nach Berlin. Der Name "Käfer" ist in Deutschland DIE Adresse für Feinkost, Party Service und Restaurants. An diesem Ruf hat auch der heutige Sternekoch einen kleinen Anteil. Ein Jahr lang arbeitete er immerhin daran mit. Hoch über den Dächern von Berlin, im Dachgartenrestaurant direkt neben der Glaskuppel des Reichstages. Von dort ging es in den Harz, denn schon einmal hat er in den "Rothen Forellen" gekocht, als Verantwortlicher für das Wintergartenrestaurant. Mit 24 Jahren war er dann bereits Küchenchef. Bei "Alberto", einem angesagten Italiener in Hannover. Zu dieser Zeit wuchs so langsam ein Plan in seinem Kopf. Immerhin stand "Alberto" mit 14 Punkten im Gault Millau - eine gute Hausnummer. "Hier habe ich die Hinterhof-Küche Italiens gelernt", sagt Thomas Barth und umschreibt damit eine sehr ursprüngliche, bodenständige Küche, die Wert auf frische Produkte und sorgfältige Zubereitung legt. Eine gute Schule, aber jetzt war sich der junge Koch sicher: Er wollte und musste weiter, die Spitzenklasse seiner Zunft erreichen. So kehrte er zurück in die "Forellen".
Keine leichte Entscheidung, denn hier Chef zu sein, erforderte einen gestandenen Fachmann. Und trotz seines Ehrgeizes und einem gerüttelt Maß Erfahrung fühlte sich der junge Mann noch auf der Suche nach seinem Stil. Den beschreibt er so: "Ich versuche, alles, was regional hier im Harz gekocht worden ist, neu zu interpretieren."
Doch jetzt verlangt erst einmal der Alltag seinen Tribut. Ein Küchenchef kocht nicht nur, sondern er muss auch mit Lieferanten telefonieren, Bestellungen abschicken, E-Mails kontrollieren, die Tagesbestellungen mit dem Restaurantleiter durchgehen. Eine Sparkasse führt in einem der Konferenzräume eine Beratung durch - was muss für den Mittag vorbereitet werden? Bei einer Außer-Haus-Bestellung wurde die Obstplatte vergessen - präzise gibt Thomas Barth Anweisung, was zu tun ist. Der Kunde wird nicht merken, dass nicht alles glatt lief. Jetzt noch schnell ein paar vorbereitete Entenbraten entbeinen, zwischendurch ein Blick auf den Kalender - ein Kollege möchte freie Tage beantragen. Immerhin 17 Leute gehören zur Küche.
Dann kommt der junge Chef noch einmal auf seine Küchenphilosophie zurück und bricht eine Lanze für die Qualität der regionalen Angebote. Spricht von Harzer Höhenvieh, Forellen und vielen anderen Spezialitäten. Erzählt von den Erfahrungen, eine Menükarte aus der Harzregion zu etablieren auf der zum Beispiel Drübecker Brägenwurst mit Apfelschwein offeriert wird. "Eine rustikale, harztypische Küche kann dennoch anspruchsvoll sein", kommentiert er.
Im winzigen Büro wartet inzwischen Susann Thielicke mit einem Sortiment der Erzeugnisse des Brockenbauernhofes aus Tanne. Würde das nicht zu seiner Küche passen? Thomas Barth nimmt sich Zeit, kostet, fragt, überlegt. Er wird sich das Angebot durch den Kopf gehen lassen. Nicht weniger sorgfältig prüft er später ein neues Dessert, das die Karte zieren soll und vom Patissier zubereitet wurde. "Ich frage mich, wie schmeckt es, was wird dazu kombiniert, welche Möglichkeiten etwas Regionales einzubinden gibt es", erklärt er.
Fantasie, davon kann er nicht genug haben. Auf einem Zettel in der Küche finden sich zahlreiche Vorschläge. Entweder von ihm selbst oder von seinen Mitarbeitern - nach und nach entstehen daraus Menüs, Vorschläge für die Karte. Immer wieder heißt es dabei, Neues zu kreieren. Das fällt Thomas Barth nicht schwer, "denn wenn ich koche", erzählt er, "fällt mir immer noch etwas anderes ein, egal ob hier auf Arbeit oder zu Hause". Kochen, das ist für den jungen Familienvater Leidenschaft. Der Gedanke daran hört nicht auf, auch nicht in der Freizeit, in der er - natürlich - gern essen geht. "Das läuft bei mir unter Fortbildung", sagt er und verrät, dass seine Frau ihm dabei an der Nasenspitze ansieht, dass er in Gedanken doch schon wieder in der Küche ist.