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Schüler von heute Schüler von heute: Null Bock und «Pille-Palle-Welt»

Von Manuela Bank 14.11.2003, 18:10

Halle/MZ. - Tom schummelt sich so durch. In Klassenarbeiten schreibt er meist eine Vier. Im Unterricht erwarten seine Lehrer schon lange nichts mehr von ihm. Mitarbeit? Hausaufgaben? Fehlanzeige. Dass Tom anwesend ist, merken sie, weil er den Unterricht stört. Die Nachmittage verbringt Tom vor dem

Fernseher oder dem Computer. Solche Schülerprofile sind keine Erfindung, sondern treffen auf viele Kinder und Jugendliche zu. Sie sind heute anders als vor zehn Jahren. "Natürlich gibt es Ausnahmen, viele haben aber die Null-Bock-Stimmung", klagt ein Lehrer. "Es ist schwer, die Klassen bei Laune zu halten, um überhaupt unterrichten zu können", meint eine Kollegin.

Auch Elke Zecha, Psychologin im Schulamt Halle, erlebt in ihrer täglichen Arbeit, dass die Schülerschaft sich verändert hat. "Vor allem die neue, bunte Medienwelt macht ihren Einfluss geltend." Alles werde unterhaltsam dargeboten, alle Informationen seien schnell greifbar. "Dieser grenzenlose Zugriff verändert die Kindheit maßgeblich."

In der Schule, die weder besonders unterhaltsam rüberkommt noch ihre Themen wechselt wie eine Fernseh-Show, schalten die Schüler dann tatsächlich häufiger mal ab. Sie seien durchaus weniger motiviert, sagt Zecha, obwohl sie Generalisierungen scheut. Sie brächten auch weniger Leistung, suchten keine Herausforderungen mehr. "Sie sind es ja eher gewöhnt, Informationen über Bilder aufzunehmen, nicht über Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben."

Die Psychologin umreißt das Problem der jungen Generation mit dem Begriff "Pille-Palle-Welt". Die, so sagt sie, nehme zu. "Der Werteverfall beginnt doch dort, wo ich nicht mehr richtig singen können muss, um Erfolg zu haben", so Zecha. Sendungen, wie "Deutschland sucht den Superstar", täuschten vor, dass ohne Leistung etwas erreicht werden könne. Der eigene Anteil am Leben, so die Schulpsychologin werde nicht erkannt. "Wozu ich etwas in der Schule tue, wird so auch nicht mehr gesehen."

Um die "Pille-Palle-Welt" aus der Schule weitgehend herauszuhalten, meint Zecha, sei der Anteil der Eltern sehr wichtig: "Ein Elternhaus, das Interessen weckt, Halt bietet, aber auch Forderungen stellt, gibt dem Kind eine sichere Orientierung."

Zugleich müsse sich die Schule, um der neuen Schülergeneration gerecht zu werden. Das sehen die Pädagogen ebenso. Für Hartmut Wenzel, Professor an der Uni Halle, liegt die Chance für einen besseren Unterricht in der so genannten Individualisierung, das heißt im stärkeren Eingehen auf jeden einzelnen Schüler. Um das umzusetzen, brauche jeder Lehrer ein großes Repertoire an Unterrichtsmethoden: "Nicht allen Schülern kann man das Gleiche gleich anbieten." Wichtig sei es auch, so Wenzel, dass

Schüler durch das Einbringen lebensbezogener Situationen in den Unterricht überhaupt den Sinn des Lernens begreifen.

Allerdings, nicht alle Probleme der Schüler könnten im Unterricht gelöst werden: "Wir brauchen eine stärkere Kooperation der Elternhäuser mit den Schulen", betont Wenzel. Denn der Erziehungsauftrag gehöre nun mal nicht zum täglichen Lehrbetrieb. Ein Zukunftsmodell sehen beide Pädagogen auch im Einsatz besonders geschulten Personals: "Mehr pädagogische Mitarbeiter, der Einsatz von Schulsozialarbeitern würde die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler in den Mittelpunkt stellen", so Wenzel. "Eine Vernetzung mit der Jugendarbeit, der Jugendhilfe wäre hilfreich", sagt Wenzels Kollege Heinz-Hermann Krüger.

Diese Konzepte existieren schon länger. Teilweise sind sie umgesetzt, bisweilen - wie der Einsatz von Schulsozialarbeitern in Sachsen-Anhalt - wurden sie wieder gekippt. "Es fehlt", klagt Krüger, "die Umsetzung in der Fläche." Eine personelle Neustrukturierung der Schulen, der Einsatz junger, gut ausgebildeter Lehrer bleibt vor dem finanziellen Hintergrund des Landes vorerst fraglich. Bildung, sagen die Pädagogen, gebe es aber nirgendwo zum Billigtarif.

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