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Schloss Ballenstedt Schloss Ballenstedt: Spleen eines Sechsjährigen wird zu Filmmuseum

Von Sabrina Gorges 25.10.2012, 07:55
Die Museums-Mitarbeiterin Birgit Schewe besichtigt im Filmmuseum die Kameras. (FOTO: DPA)
Die Museums-Mitarbeiterin Birgit Schewe besichtigt im Filmmuseum die Kameras. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Ballenstedt/dpa. - Der etwa zwei Meter hohe Apparat hat die Weltmeere bereist und die Gäste eines Kreuzfahrtschiffs unterhalten. Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Seinen Ruhestand verbringt der „maritime“ Filmprojektor im Ballenstedter Schloss. Und er ist in bester Gesellschaft: Projektoren in allen Größen säumen den von großen Fenstern erhellten, 60 Meter langen Flur des Nordflügels. Die Geräte mit ihren charakteristischen Rollen wirken wie Dekoration. Auch Filmplakate und Geräte in Vitrinen schmücken den Flur. Die Exponate sind Teil eines Filmmuseums. Es hat seinen Ursprung im Spleen eines Sechsjährigen. Der bekam 1935 einen Filmapparat - und wurde „Film-Fritze“.

„Der Sechsjährige war Heinz Stammer“, sagt Detlef Heydecke (54), Geschäftsführer des Vereins Schloss und Schlosspark Ballenstedt, dem Träger des Museums. Mit dem Apparat führt Stammer zunächst auf dem Dachboden Filme vor, später arbeitet er in diesem Beruf. „Er lebt erst in Lüchow und dann in Hameln“, sagt Heydecke. „Und er sammelt alles, was irgendwie mit Film und Kino zu tun hat.“ Auch seine Schwester Irmgard Kulp steckt er mit seiner Leidenschaft an. Doch ihr Traum, ein Filmmuseum zu eröffnen, erfüllte sich zunächst nicht. Dafür musste sie der Zufall im hohen Alter nach Ballenstedt führen.

Ein Zufall, der sich vor etwa zehn Jahren in einem Hamelner Restaurant zugetragen hat. Der damalige Ballenstedter Bürgermeister Wolfgang Gurke bekommt mit, dass eine große kino- und filmhistorische Privatsammlung einen Raum und eine Art Nachlassverwalter sucht. Gurke ist fasziniert und denkt sofort an das Schloss. „Er hat nicht lange gezögert und alles nach Ballenstedt geholt“, sagt Heydecke. „Er wollte etwas Lebendiges schaffen, was Publikum lockt.“ Doch allein mit den vielen Sammlerstücken ist es nicht getan. Auch Stammer und Kulp werden Ballenstedter. Der Verein kümmert sich auch um sie.

Eigenhändig baut das Paar 2002 die Sammlung auf. Film- und Bildprojektoren, Kameras, Objektive, Plakate und Hefte ziehen aus einer einsturzgefährdeten Scheune in den damals teilsanierten Nordflügel des Schlosses. 800 Quadratmeter stehen zur Verfügung. Stammer gestaltet alles auf seine ganz eigene Weise. „Er hat alles mit einfachsten Materialien zusammengenagelt oder geschraubt“, erinnert sich der Vereinsvorsitzende Bernd Tiedeken. „Fotos von Filmstars aus Zeitungen hat er einfach an die Türrahmen geklebt und Buchstaben für Beschreibungen irgendwo ausgeschnitten.“ Noch heute sind Stammers Schilder im Museum teilweise erhalten.

2004 stirbt Stammer, 2009 seine Schwester. „Das war Anlass, eine Stiftung zu gründen“, sagt Tiedeken. Sie trägt den Namen der beiden Filmverrückten. Das Ziel: Die Sammlung komplett zu erhalten. „Mit dem Tod eines Sammlers löst sich meistens alles auf, weil die Filetstücke verschwinden“, sagt Heydecke. Stücke, wie der Diaprojektor „Laterna Magica“ von 1890, ein „Kurbelkino“ von 1920, ein mannshoher 35-Millimeter-Tonfilmprojektor von 1936 aus dem Filmmuseum Babelsberg oder eine Original-Kamera von Tierfilmer Heinz Sielmann. Geräte von Film- und Technikpionieren wie Thomas Alva Edison oder Charles Pathé begeistern heute Cineasten.

Neben dem Flur gibt es weitere Ausstellungsräume. Immer wieder werden dem Museum neue Geräte geschenkt oder geliehen. Mittlerweile ist die Sammlung auf 3000 Exponate angewachsen. Im Monat kommen etwa 250 Besucher. Der gemeinnützige Verein um Heydecke und Tiedeken arbeitet ehrenamtlich und hat in der Vergangenheit viel Herzblut und Arbeitsstunden in das Erbe von Stammer und Kulp gesteckt. Besonders stolz sind die auf das Herzstück des Museums: ein eigenes Kino mit 52 samtig-weichen, blauen Kinosesseln. Und was läuft so? „Digitalisierte 16-Millimeter-Schmalfilme aus DDR-Zeiten“, sagt Heydecke. „Kurze Unterrichtsfilme ohne Ton, die von Schulklassen angesehen werden.“ Längst ist das Museum auch zum außerschulischen Lernort geworden.

Das Filmmuseum Schloss Ballenstedt im Landkreis Harz beherbergt Exponate aus über 100 Jahren. Alte Technik, vergilbte Plakate und eine Kulisse wie gemacht für Filmgeschichte: (FOTO: DPA)
Das Filmmuseum Schloss Ballenstedt im Landkreis Harz beherbergt Exponate aus über 100 Jahren. Alte Technik, vergilbte Plakate und eine Kulisse wie gemacht für Filmgeschichte: (FOTO: DPA)
dpa-Zentralbild