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Schicksal Schicksal: Ein langer Weg zur Wahrheit

Von Steffen Drenkelfuss 25.05.2007, 19:31

Halle/MZ. - Hannes Gehritz schiebt den runden Esstisch in seinem Reihenhaus im halleschen Süden frei und verteilt jede Menge Dokumente und Fotos. Ein Buch legt er obenauf - es ist ihm besonders wertvoll. "Es beschreibt, was mit meinem Vater geschah." Jahrzehntelang wussten der heutige Pensionär und seine beiden Geschwister nicht genau, was mit ihrem Vater Adalbert Gehritz Anfang der fünfziger Jahre passiert war. Letzte Antworten für die Kinder des Postangestellten Adalbert Gehritz gab erst jenes Buch "Erschossen in Moskau. Die deutschen Opfer des Stalinismus", das der Sohn kürzlich entdeckte.

Es war in den frühen Morgenstunden des 13. Oktober 1952 in der halleschen Lindenstraße Nummer 89 (heute Philipp-Müller-Straße). Damals verschwand Adalbert Gehritz. "Gegen sieben Uhr morgens hat ein Stasi-Trupp zusammen mit einem Russen unseren Vater verhaftet." Das war alles, mehr war damals nicht zu erfahren über das Schicksal von Adalbert Gehritz. Sohn Hannes erinnert sich noch genau, wie unglücklich die Mutter war. "Uns allen schwante nichts Gutes." Erst ein halbes Jahrhundert später wurden alle Details bekannt. Der 1907 in Pommern geborene Adalbert Gehritz, Berufssoldat in Reichswehr und Wehrmacht, lebte mit seiner Familie schon in den 30er Jahren in Halle. Er nahm am Krieg teil, geriet 1945 in britische Gefangenschaft und räumte für die Briten bis Ende 1946 Bomben in Hamburg. Später kehrte er nach Halle zurück und arbeitete bei der Bahnpost auf dem Hauptbahnhof. Die Russen interessierten sich für den einstigen Fallschirmjäger. "Er war in allen Arten des Sprengens ausgebildet. Solche Männer brauchte die Besatzungsmacht damals", erzählt Hannes Gehritz.

Sein Vater wurde 1950 als Sprengmeister in den Uranbergbau bei Johanngeorgenstadt zwangsverpflichtet, wo Stalin unter Hochdruck Uran für die ersten sowjetischen Atomwaffen abbauen ließ. Bis 1952 musste er dort arbeiten. "Zwischenzeitlich machte er Besuche bei uns und auch bei Bekannten in West-Berlin. Was er in Berlin tat, wussten wir nicht." Die Russen meinten zu wissen, was Adalbert Gehritz dort tat - westlichen Geheimdiensten über Truppenbewegungen der Roten Armee berichten und Kontakt zur "Vereinigung Politischer Flüchtlinge" pflegen. So jedenfalls lautete die Anklage, die ein sowjetisches Militärgericht später erheben sollte.

"Für uns alle, besonders für meine Mutter, begann ein nervenzerrendes Versteckspiel. Ob ostdeutsche oder sowjetische Behörden - keine gab korrekt Auskunft." Sie schalteten den Schwager ein, den 1950 aus sowjetischer Gefangenschaft zurückgekehrten Generalmajor Erhard Berner. Der schrieb an den Obersten Sowjet der Sowjetunion. Man antwortete ihm immerhin - ohne Fakten zu nennen.

Erst 1957 schrieb das DDR-Justizministerium, dass die "erbetenen Feststellungen zum Verbleib" von Adalbert Gehritz erfolglos geblieben seien. "1959 teilte das Moskauer Rote Kreuz dann mit, dass unser Vater am 2. Februar 1955 gestorben sei. Woran, wieso und wo beerdigt - keine Hinweise." Das Todesdatum war gefälscht. Das korrekte Sterbedatum und der Ort, an dem Gehritz beerdigt wurde, sollte seine Familie erst durch das Totenbuch auf dem Esstisch erfahren. Adalbert Gehritz, tatsächlich erschossen am 2. März 1953, ist einer von 927 Deutschen, die zwischen 1950 und 1953 von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt wurden. Sie alle wurden nach Moskau gebracht und im Butyrka-Gefängnis exekutiert. Sie wurden verbrannt und die Asche auf dem Moskauer Friedhof Donskoje verscharrt.

Hannes Gehritz, einst DDR-Meister im Mannschaftskanadier des Vereins "Aufbau Halle", SED-Mitglied und Ex-Betriebsdirektor der Technischen Gebäudeausrüstung in Halle, hat mit der Geschichte Frieden geschlossen. Er sei seinen Weg gegangen, aber er habe seinen Vater nie vergessen. "Ich bin glücklich, dass die Russen ihn voll rehabilitierten." Und mit den Fakten aus dem Totenbuch sei der größte Schmerz endlich überwunden: das Nichtwissen um die Wahrheit.