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5.000 Tonnen Hoffnung Salzlandkreis ringt um eine stillgelegte Bahnbrücke

Im Salzlandkreis soll erstmals in Sachsen-Anhalt eine stillgelegte Bahnstrecke wieder ans Netz gehen. Warum es nicht nur für den pensionierten Eisenbahner Jürgen Krebs dabei um mehr geht als um ein paar alte Schienen und eine alte Brücke.

Von Alexander schierholz 10.08.2021, 08:00
Was Paris der Eiffelturm ist, ist Barby die Elbbrücke - so sehen sie das zumindest in der Kleinstadt im Salzlandkreis: Jürgen Krebs vor dem Bauwerk, über das bald wieder Züge rollen sollen.
Was Paris der Eiffelturm ist, ist Barby die Elbbrücke - so sehen sie das zumindest in der Kleinstadt im Salzlandkreis: Jürgen Krebs vor dem Bauwerk, über das bald wieder Züge rollen sollen. Fotos: Andreas Stedtler

Barby/MZ - Man kann Jürgen Krebs die Freude am Telefon regelrecht anhören. „Ich sage immer, ich habe den Sekt schon kalt gestellt“, scherzt er gut gelaunt. Hat er natürlich nicht, denn der Sekt müsste dann noch einige Jahre im Kühlschrank ausharren. Aber dass Jürgen Krebs sich freut, das ist ja wohl klar. „Logisch“, sagt er mit sonorer Stimme, „ich habe nie verstanden, warum hier kein Zug mehr fährt.“

Jürgen Krebs (66), passionierter und pensionierter Eisenbahner aus Barby an der Elbe. Der Grund für seine Freude ist eine Nachricht, die die Deutsche Bahn vor wenigen Wochen verbreitet hat: In Barby, 4.000 Einwohner, sollen wieder Züge halten. Der Staatskonzern will die knapp zehn Kilometer lange stillgelegte Strecke von der Stadt im Salzlandkreis nach Güterglück im Kreis Anhalt-Bitterfeld wieder in Betrieb nehmen. Samt der alten Elbbrücke bei Barby. 757 Meter spannt sie sich über den Fluss und die Auenlandschaft. 5.000 Tonnen Stahl, mehr als hundert Jahre alt, mehrfach erneuert. Für Jürgen Krebs ist es seine Brücke. Und seine Strecke. Doch seit 2003 rollt hier kein Personenzug mehr, zwischen der Elbe und Güterglück sind die Gleise abgebaut. Auf der anderen Seite des Stromes fahren nur noch Güterzüge nach Barby.

Reaktivierung von Barby-Güterglück wäre auch gut für das Klima

Die Verbindung Barby-Güterglück steht auf einer Liste der Bahn mit 20 stillgelegten Linien bundesweit, die in den kommenden Jahren wieder in Betrieb genommen werden sollen. Insgesamt geht es um 245 Kilometer. Ein Trippelschritt angesichts der 6.000 Kilometer, um die das bundesweite Schienennetz seit 1994 geschrumpft ist. Allein in Sachsen-Anhalt sind seitdem 660 Kilometer Zugtrassen stillgelegt worden, so viel wie in keinem anderen Bundesland. Kommt nun die Wende? Mit Blick auf das Erreichen der Klimaziele fordern Verkehrsverbände seit Jahren, alte Strecken wieder zum Leben zu erwecken.

Barby-Güterglück: Für Sachsen-Anhalt wäre das die erste Wiedereröffnung einer stillgelegten Strecke, abgesehen von den durch die deutsch-deutsche Teilung unterbrochenen Verbindungen.

Für Experten wie den Verkehrsplaner Tobias Jensch von der Landesnahverkehrsgesellschaft Nasa wäre es die Möglichkeit, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern und das Nadelöhr Magdeburg zu entlasten. Dort gibt es im weiteren Umkreis die einzige Bahnbrücke über die Elbe - ein Engpass, auch wegen des wachsenden Güterverkehrs. „Stau ist da programmiert“, sagt auch der pensionierte Eisenbahningenieur Jürgen Krebs.

Landmarke: die alte Elbbrücke bei Barby
Landmarke: die alte Elbbrücke bei Barby
Stedtler

Die Brücke? Fenster zur Welt

Für viele in Barby wäre die Wiedereröffnung der Strecke samt der Brücke aber noch viel mehr: Hoffnung und Herzensangelegenheit. Jürgen Krebs ist in Barby geboren, mit der Elbbrücke ist er groß geworden. Wenn er davon erzählt, erinnert er sich an seine Schulzeit. Anfang der 70er Jahre, er war 14 oder 15, war die Brücke für ihn ein Fenster zur Welt. Von seinem Klassenraum aus, Zimmer 23, zweites Obergeschoss, konnte er täglich den D-Zug Frankfurt(Main)-Berlin durch Barby fahren sehen, mit Kurswagen aus Rom. Krebs weiß es noch genau: „Die italienischen Waggons waren gut erkennbar, weil sie grau waren. Alle anderen Wagen waren grün.“

Internationale Fernzüge werden wohl nie wieder über die Brücke rumpeln. Schließlich war die Strecke zum Schluss nur eingleisig, so wird sie wohl auch wieder aufgebaut werden. Aber für Regional- und Güterverkehr könnte es reichen.

„Wir versprechen uns eine Menge von einer Wiederinbetriebnahme“, sagt Frank Bläsing. Er ist der Chef im ältesten Haus am Platz, dem „Gasthof zum Rautenkranz“. Mehr als 300 Jahre Geschichte auf zwei Etagen. Bläsing (61) lebt wie die anderen Wirte in Barby von Radtouristen. Unweit der Stadt mündet die Saale in die Elbe, der Saaleradweg endet hier. Der Elberadweg führt durch Barby und weiter über die Elbbrücke. An einer Brückenseite können Radfahrer und Fußgängerinnen einen schmalen Weg nutzen. „Ich hoffe natürlich, dass der bei einer Sanierung erhalten bleibt“, sagt Bläsing. Elf Doppel- und zwei Einzelzimmer vermietet er. „Am vergangenen Wochenende war alles voll.“ Fast wie vor der Pandemie.

So soll es bleiben, geht es nach Bläsing. Und es darf noch mehr werden. Der Wirt hofft auf einen weiteren Zuwachs an Gästen, wenn Barby erst einmal wieder mit dem Zug erreichbar sein wird. Radurlauber, die hier ihre Tour beginnen oder beenden und bei ihm einkehren.

"Barby ohne Brücke ist wie Paris ohne Eiffelturm“
"Barby ohne Brücke ist wie Paris ohne Eiffelturm“
MZ/Büttner

Sanierung oder Neubau?

Wie Eisenbahner Krebs ist auch Gastwirt Bläsing Mitglied in einer Arbeitsgruppe, die sich für den Erhalt der Elbbrücke einsetzt. 2014 drohte deren Abriss. Sie gingen an die Öffentlichkeit, mobilisierten Politiker, schrieben eine Petition an den Landtag. Alljährlich feiern sie ein Brückenfest, nur in diesem und im vorigen Jahr fiel es aus, der Pandemie wegen. Das Fest ist auch eine Botschaft: Das ist unsere Brücke! „Barby ohne Brücke ist wie Paris ohne Eiffelturm“, sagen sie hier. Und Krebs stellt selbstbewusst fest: „Ohne uns gäbe es die Brücke vielleicht nicht mehr.“

Doch ob sie, mehr als 100 Jahre alt, noch Züge trägt, weiß niemand. Daher wollen die Nahverkehrsgesellschaft Nasa und die Deutsche Bahn noch in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Darin sollen Experten nicht nur den Bauzustand der Brücke klären - kann sie saniert, muss sie neu gebaut werden? Sondern auch die Frage beantworten: Rechnet es sich überhaupt, die Strecke wieder aufzubauen?

Und wenn die Antwort nein wäre? Tobias Jensch glaubt das nicht. „Es ist ein starkes Signal, dass die Strecke in der Liste der Bahn zur Reaktivierung auftaucht“, sagt der Nasa-Planer. Bei der Nasa wie auch in der Politik habe seit 2003, als der letzte Personenzug durch Barby rollte, ein Umdenken eingesetzt. „Wir wollen mehr Verkehr auf der Schiene haben“, beteuert Jensch. Sachsen-Anhalt strebt einen landesweiten Stundentakt im Schienennahverkehr an, auf den Hauptachsen soll sogar ein Halbstundentakt Standard werden. „Dafür wäre die Strecke eine wichtige Ergänzung“, sagt der Verkehrsplaner. In Fahrplanentwürfen wird der Regionalexpress Magdeburg-Leipzig künftig über Barby geführt, nicht mehr über Gommern (Jerichower Land).

Der Sekt? Muss noch warten

Das freut auch Markus Bauer. Für die Entscheidung, die Strecke zu reaktivieren, „haben wir lange gekämpft“, sagt der Landrat des Salzlandkreises. Damit werde der Schienenverkehr grundsätzlich leistungsfähiger. Bauers Kreis ist der einzige im Land, in dem nicht nur eine stillgelegte Strecke wieder ans Netz gehen, sondern auch eine neue gebaut werden soll. Bei Calbe, unweit von Barby, will die Bahn unter dem Titel „Salzlandbahn“ ein neues Gleis errichten, um die Fahrzeit der Regionalzüge zwischen Bernburg und Magdeburg zu verkürzen. Sozialdemokrat Bauer will seinen Landkreis als Wohn- Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort zwischen Halle und Magdeburg profilieren - neue Verbindungen kommen ihm dabei wie gerufen.

Wird der Zeitplan eingehalten, soll die „Salzlandbahn“ Ende 2028 in Betrieb gehen. Bis es auch in Barby so weit ist, werden aber wohl noch einige weitere Jahre vergehen. Verkehrsplaner Jensch rechnet mit mindestens zehn Jahren, bis wieder Züge über die Elbbrücke rollen können. „Wenn wir es bis Anfang der 30er Jahre schaffen, sind wir schnell.“ Ein Teil der alten Strecke sei bereits entwidmet. Das bedeutet: Rein rechtlich betrachtet ist die Trasse keine Bahnanlage mehr. Das mache das Planungsverfahren aufwendiger.

Der Sekt also wird wohl noch etwas warten müssen. Auf den ersten Zug aber freut Jürgen Krebs sich schon jetzt.