"Pflegenest" statt Heim "Pflegenest" statt Heim: Ein Konzept aus der Not heraus geboren

Bernburg - Im Salzlandkreis fehlen Pflegefamilien. Parallel dazu steigt die Zahl der hilfebedürftigen Kinder. Insbesondere die Fälle mit Kleinkindern und Säuglingen im Alter von null bis sechs Jahren hätten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, heißt es in einer Mitteilung aus der Kreisverwaltung.
Abhilfe schaffen sollen „Pflegenester“. Das neue Konzept soll nicht nur eine Alternative zur Heimunterbringung sein, sondern verspricht auch, Pflegeeltern finanziell besser zu stellen und mehr Beratungsangebote zu liefern. Außerdem spart es dem Kreis Geld.
Emotionaler Verkümmerung und einer verzögerten Entwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern
„Die Kapazitäten an Pflegefamilien und Erziehungsfachstellen sind momentan ausgeschöpft“, heißt es aus der Verwaltung des Salzlandkreises. Die Folge: Immer mehr Kleinkinder müssen in Heimen untergebracht werden. Eigentlich nur eine Notlösung vom Gesetzgeber, denn die Situation in den Heimen kann für die Kleinsten schädlich sein.
Bedingt durch die Arbeit im Schichtbetrieb wechseln die Betreuungspersonen dort ständig. Für Kleinkinder und Säuglinge kann das zu emotionaler Verkümmerung und einer verzögerten Entwicklung führen.
Eine Alternative zur Heimunterbringung könnten „Pflegenester“ sein. Ähnlich wie in herkömmlichen Pflegefamilien auch, haben die Kinder hier konstante Bezugspersonen und ein festes Umfeld.
Im Unterschied seien Familien in „Pflegenestern“ aber finanziell besser versorgt, erklärt Klaus Roth, Vorsitzender der Stiftung Evangelische Jugendhilfe. Das soll helfen, mehr Freiwillige für Betreuung von Kleinkindern und Säuglingen zu gewinnen.
Anstellung auch ohne eine pädagogische Ausbildung
Der Clou der „Pflegenester“: Die betreuenden Eltern werden bei der St. Johannis GmbH, einer Tochtergesellschaft der Stiftung Evangelische Jugendhilfe, sozialversicherungspflichtig angestellt. Auch ohne pädagogische Ausbildung.
Privatpersonen in „Pflegenestern“ sollen so für ein Kind ein halbes, für zwei Kinder ein ganzes Erziehergehalt bekommen. „So können die berufstätigen Eltern zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern“, sagt Roth. Gerade bei den Null- bis Sechsjährigen sei das entscheidend. Reguläre Pflegeeltern seien gezwungen, für die Betreuungszeit bei ihrem Arbeitgeber Urlaub zu nehmen.
Der andere Vorteil, den „Pflegenester “ bieten, sei eine bessere Betreuung durch pädagogische Fachkräfte. „Aktuell kümmert sich im Schnitt ein Mitarbeiter um 120 Pflegefamilien“, sagt Roth. Beim Pflegenest liege der Betreuungsschlüssel bei eins zu zehn. Pflegeeltern in „Pflegenestern“ hätten außerdem eine Anbindung an ein Netzwerk von pädagogisch-therapeutischer Begleitung und Beratung, heißt es von der Kreisverwaltung.
Zehn Familien bilden eine Pflegenester-Gruppe und werden fachlich betreut
Bewerben kann sich für die „Pflegenester“ jeder, der die nötigen Rahmenbedingungen erfüllt, die auch für Pflegefamilien gelten. Neben der persönlichen Eignung geht es hier um grundlegende räumliche Bedingungen.
Es stehen bis zu zwei Plätze pro Pflegenest, in Ausnahmen, beispielsweise bei Aufnahme von Geschwisterkindern, auch drei Plätze zur Verfügung. Dabei bilden immer zehn Familien eine „Pflegenester Gruppe“, die von einem Sozialpädagogen oder einer Psychologin individuell begleitet und unterstützt wird.
Wer Interesse hat, kann auch im dualen Studium an der Fachschule der Stiftung den Beruf des Erziehers erlernen, heißt es auf der Internetseite der Jugendhilfe.
Klaus Roth: „Wir haben das Konzept aus der Not heraus erfunden“
Für Klaus Roth sind „Pflegenester“ längst überfällig. „Wir haben das Konzept aus der Not heraus erfunden“, sagt er, „Wir haben in den Wohngruppen daran gelitten, dass wir so viele Kinder aufnehmen müssen.“ Viele Kinder auf engem Raum seien zwar finanziell attraktiver, aber fachlich eine Katastrophe.
Für den Salzlandkreis seien die „Pflegenester“ laut Klaus Roth außerdem eine finanzielle Entlastung. Im Vergleich zu einem Heimplatz spart der Kreis nach seinen Angaben etwa 100 Euro pro Betreuungstag. „Wir möchten nicht, dass es ums Kostensparen geht, aber wenn es vernünftig ist und Kosten spart, sind wir natürlich gerne dabei.“
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Wer Interesse hat, selbst in einem Pflegenest aktiv zu werden, kann sich beim Hauptsitz der Stiftung in der Dr.-John-Rittmeister-Straße 6 in Bernburg informieren sowie unter Telefonnummer 03471/3 74 00. (mz)