Wenn jeder Sechste weg ist Wenn jeder Sechste weg ist: Sachsen-Anhalts Bevölkerung schrumpft am meisten

Magdeburg - Wachsende Metropolen, aber zunehmende Leere auf dem Land: Von diesem Trend wird Sachsen-Anhalt besonders stark betroffen sein. Zumindest wenn es nach der neuesten Studie des renommierten Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung geht, das unter anderem mit der EU-Kommission und dem Bundesfamilienministerium zusammenarbeitet.
Bis 2035 soll Sachsen-Anhalt demnach fast 16 Prozent seiner Einwohner verlieren - es wäre der anteilig höchste Rückgang aller Bundesländer.
Zugleich bescheinigt die Studie dem Raum Halle-Leipzig gute Voraussetzungen für die kommenden Jahre. Indirekt stellen sich die Forscher auch gegen den Vorschlag des Wirtschaftsinstituts IWH in Halle, bevorzugt Ballungsräume zu unterstützen. Es sei „sinnvoller, das Schrumpfen zu gestalten und die Versorgung der meist schon stark gealterten Restbevölkerung zu sichern“.
Viele Kreise in Sachsen-Anhalt vom Bevölkerungsschwund betroffen
Laut Institut werden die Bevölkerungszahlen in allen fünf ostdeutschen Flächenländer schrumpfen. In Thüringen soll der Rückgang 14 Prozent betragen, in Sachsen neun. Noch höher sind die lokalen Verluste aus Sicht der Forschern teilweise, wenn man einzelne Kreise analysiert.
„Weite Regionen zwischen Rügen und dem Erzgebirge werden mehr als jeden fünften Einwohner verlieren“, heißt es in der Studie. In Sachsen-Anhalt könnte dies die Landkreise Mansfeld-Südharz, Anhalt-Bitterfeld, den Salzlandkreis und den Harz treffen. Die Vorhersagen bis 2035 ergeben sich aus der Geburtenentwicklung, der Lebenserwartung sowie der Zu- und Abwanderung.
Zu den wenigen „Leuchttürmen in den fünf ostdeutschen Flächenländern zählen Potsdam, Dresden, Erfurt, Jena, Rostock, Halle und Magdeburg“, bilanzieren die Autoren für das Institut. Die zwei sachsen-anhaltischen Großstädte sind die einzigen Standorte im Bundesland, in denen laut Studie eine stabile Bevölkerungsentwicklung oder sogar ein leichtes Wachstum zu erwarten sind.
Ganz anders Leipzig, nur 40 Kilometer von Halle entfernt: Die Stadt in Sachsen darf - oder muss - bis 2035 mit einem Bevölkerungswachstum von 16 Prozent rechnen. Laut Studie ist das der bundesweit höchste Wert. Für die gesamte Republik gehen die Forscher von einer weitgehend stabilen Entwicklung aus: Die aktuelle Rekordmarke von 83 Millionen Menschen dürfte „kaum schrumpfen und 2035 bei etwa 82,3 Millionen“ liegen.
Wachstum und Schrumpfung liegen dicht beieinander
Manuel Slupina, Mitautor der Studie, sagt mit Blick auf die gegenläufigen Trends: Wachstum und Schrumpfung liegen dicht beieinander, „beides muss gestaltet werden“. Dies sei keine leichte Aufgabe für die Politik. „In den Wachstumsregionen mangelt es an Wohnraum, Kitas und Schulen. Wo aber die Einwohnerzahlen massiv zurückgehen, sind neue, unkonventionelle Ideen zur Daseinsvorsorge nötig, um die stark gealterte Bevölkerung gut zu versorgen.“
Ein Ungleichgewicht zwischen attraktiven Großstädten und schrumpfenden ländlichen Regionen sehen die Autoren auch in den westdeutschen Bundesländern, „allerdings deutlich weniger ausgeprägt“.
Die Studie warnt: „Ausgerechnet jene Gebiete der Republik, die oft heute schon als ‚abgehängt‘ bezeichnet werden und als Brutplätze für populistische Parteien gelten, werden es in Zukunft noch viel schwerer haben.“ Allerdings gebe es für diese Regionen „bislang kaum Konzepte, wie sie ihre Daseinsvorsorge regeln könnten oder wie sie wiederzubeleben wären.“ Vorschläge nennen die Autoren nicht.
„Die Politik sollte sich vor falschen Versprechungen hüten“
Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte jüngst auf das im Grundgesetz verankerte Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse hingewiesen - um Lösungsansätze zu sammeln, startete er seine Deutschlandreise in Bernburg (Salzlandkreis). Die Studienautoren sind skeptisch: „Die Politik sollte sich vor falschen Versprechungen hüten, denn wo sich keine Gleichwertigkeit erreichen lässt (die ohnehin kein Politiker definieren wird, weil sie dann einklagbar würde), können aus Versprechungen nur Enttäuschungen werden.“ Der Frust gegen die Politik „von oben“ und der Zulauf populistischer Parteien würden sich so verstärken.
(mz)