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  7. Virologe Alexander Kekulé von der Uni Halle vor die Tür gesetzt

Vorläufige Dienstenthebung Uni Halle wechselte Schlösser aus: Wie Kekulé der Stuhl vor die Tür gesetzt wurde

Alexander Kekulé ist Virologe, Corona-Erklärer und Stammgast in vielen Talkshows. Nun stellt sich die Frage: Hat er darüber seine Uni-Arbeit vernachlässigt? Über einen Mann, der polarisiert

Von Walter Zöller und Alexander Schierholz Aktualisiert: 25.12.2021, 14:34
Anfang März 2020, zu Beginn der Pandemie in Deutschland, erklärt Virologe Alexander Kekulé in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“, wie gefährlich das Coronavirus ist.
Anfang März 2020, zu Beginn der Pandemie in Deutschland, erklärt Virologe Alexander Kekulé in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“, wie gefährlich das Coronavirus ist. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Halle (Saale)/MZ - Wenn Alexander Kekulé sein Büro im Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universitätsmedizin Halle betreten will, steht er seit Kurzem vor verschlossener Tür. Die Leitung der Unimedizin hat die Schlösser auswechseln lassen.

Der Institutschef Kekulé muss draußen bleiben. Es ist eine Konsequenz aus einem Vorgang, der seit Dienstag bekannt ist. Unirektor Christian Tietje hat im Rahmen eines Disziplinarverfahrens eine vorläufige Dienstenthebung für den Virologen ausgesprochen. Damit eskaliert eine Ausandersetzung, in deren Mittelpunkt Kekulé steht.

Uni Halle: Disziplinarverfahren gegen Virologen Alexander Kekulé

Hier der Virologe, der seit Ausbruch der Pandemie in vielen Talkshows Fragen zum Coronavirus beantwortet. Da der Wissenschaftler und Institutsleiter, dem seit langem mangelhafte Leistungen in Forschung und Lehre vorgehalten werden - auf Kosten des Steuerzahlers. Was er bestreitet.

Nun haben neue Vorwürfe zu dem Disziplinarverfahren geführt. So geht es, wie am Mittwoch ergänzend zu erfahren war, jetzt nicht nur um Kekulés Lehrtätigkeit. Ihm wird offenbar auch vorgeworfen, wichtige technische Entwicklungen im Labor blockiert zu haben. Dadurch sei der Betriebsablauf gefährdet gewesen.

Kekulé hat eine sehr hohe fachliche Kompetenz.

Klaus Stöhr, Virologe

Wer ist dieser Mann? Geht es um Corona-Experten, nennen viele den Namen Kekulé im gleichen Atemzug mit Christian Drosten oder Hendrik Streeck. Alle drei Virologen sind auch medial unterwegs. Drosten und Streeck forschen intensiv zu Corona.

Von Corona-Forschungsaktivitäten ist bei Kekulé nichts bekannt

Das sieht bei Kekulé anders aus, von Corona-Forschungsaktivitäten ist zumindest nichts bekannt. Andere Wissenschaftler in der Unimedizin Halle sind da engagierter: Andrea Sinz, Professorin für Pharmazeutische Chemie, entwickelte mit Hilfe der Massenspektrometrie einen neuen Corona-Schnelltest, die Onkologin Mascha Binder sucht nach Immunantworten gegen Sars-CoV-2 , Stefan Moritz, Leiter der Klinischen Infektiologie, will Hallenveranstaltungen trotz der Pandemie sicher machen.

Kekulé ist dagegen Stammgast in vielen Talkshows. Fast seit Anfang der Pandemie beantwortet er zudem im Radioprogramm vom MDR mehrfach in der Woche Fragen zu Corona. Im Juli vermeldete der MDR nicht ohne Stolz, dass der Podcast „Kekulés Corona-Kompass“ mehr als 50 Millionen Abrufe erzielt habe. Was Kekulé zu Coronatests, Impfstoffen oder Testkonzepten sagt, taucht oft auch in den Nachrichten auf. Was aus dem Podcast jetzt wird, da die Uni Kekulé den Stuhl vor die Tür gesetzt hat? Ein MDR-Sprecher erklärt am Mittwoch knapp, der Sender äußere sich grundsätzlich nicht zu Verträgen und Dienstverhältnissen zwischen Dritten.

2001, eine Szene aus dem Labor:  Alexander Kekulé untersucht   bakterielle Proben von Patienten.
2001, eine Szene aus dem Labor: Alexander Kekulé untersucht bakterielle Proben von Patienten.
(Foto: dpa)

Dem Publikum fällt es leicht zuzuhören, wenn Kekulé redet. Er kann mit der Sprache umgehen und als Mann vom Fach auch schwierige Sachverhalte verständlich erklären. Dabei stößt der Virologe schon mal auf Widerspruch. Als er das Corona-Vakzin von Astrazeneca als „Impfstoff zweiter Klasse“ bezeichnete, war Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) verärgert. Auch mit Virologen Christian Drosten geriet er aneinander.

Kekulé ist, im Gegensatz zu vielen seiner Kolleginnen und Kollegen, schon lange auf Sendung. Im Berliner „Tagesspiegel“ etwa hatte er über Jahre eine Kolumne. 2013 beschrieb er dort das Mers-Virus, eine Atemwegserkrankung, die sich damals im Nahen Osten ausbreitete. Zehn Jahr zuvor äußerte er sich in einem Gastbeitrag für die MZ zum Sars-Virus, das seinerzeit vor allem in Asien wütete. Kekulé schrieb von mangelnden Einreisekontrollen, von Gesundheitschecks, Infektionsketten und der Gefahr einer Einschleppung in Altenheime oder Kitas. Aus heutiger Sicht, mit dem Wissen um Corona, liest sich das wie eine Prophezeiung.

Für Klaus Stöhr steht Kekulés fachliche Expertise außer Frage. Der Virologe und Epidemiologe, der bei der Weltgesundheitsorganisation Leiter des globalen Influenza-Programms war, kennt Kekulé seit Jahren. „Aus meinem Blickwinkel verfügt er wie nur sehr wenige in Deutschland über eine sehr hohe fachliche Kompetenz auf dem Gebiet der nationalen und internationalen Pandemiebekämpfung und des Krisenmanagements bei Infektionserkrankungen“, sagt Stöhr.

Kekulé füllt seinen Lehrstuhl nicht aus.

Stefan Hüttelmaier, Zellbiologe

Dennoch: Die Kritik an Kekulé (62), der seit über 20 Jahren eine Professur in Halle hat, ist vielfältig: So hielt Dekan Michael Gekle ihm in einem Artikel im Spiegel Ende 2020 vor, seine Wissenschaftsleistung sei „äußerst gering“. In der Datenbank PubMed waren laut Magazin für die Zeit von 1999 bis 2020 etwa 20 Beiträge von Kekulé gespeichert, Drosten habe mehr als 400 Artikel veröffentlich.

Kekulé konterte damals, er habe sich im Laufe der Jahre auf „angewandte und interdisziplinäre Forschungsfelder verlegt“. In der Medizinischen Fakultät wird auch moniert, Kekulé sei so gut wie nie in Halle, sondern agiere fast nur von seinem Wohnsitz München aus. Schon alleine für einen funktionierenden Laborbetrieb brauche es einen Chef, der oft vor Ort ist. Kekulé sagte dem Spiegel, er habe „in über 20 Jahren noch nie einen dienstlichen Termin in Halle abgesagt, weil ich nicht in der Stadt gewesen wäre.“

Wie geht es jetzt weiter? Die Konfliktparteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. Rektorat und Spitze des Uniklinikums treiben das Disziplinarverfahren voran, wegen des laufenden personalrechtlichen Verfahrens geben sie keine Stellungnahme ab. Der Ärztliche Direktor Thomas Moesta sagt nur: „Die Universitätsmedizin unterstützt die Position der Universität vollständig.“

Für Kekulé-Anhänger steht fest: Da soll ein Kritiker mundtot gemacht werden

Kekulé, der am Mittwoch für eine ergänzende Stellungnahme nicht zu erreichen ist, hat am Tag zuvor die vorläufige „Dienstenthebung“ in einen direkten Zusammenhang mit seiner Kritik an der angeblich mangelhaften Ausstattung seines Lehrstuhl gestellt. Die Uni habe über Jahre Zusagen nicht erfüllt. Dekan Gekle bestreitet das: Kekulés Institut werde nach den gleichen Regeln wie alle Einrichtungen finanziert.

Ähnlich äußerte sich Stefan Hüttelmaier, Professor für Molekulare Zellbiologie in Halle. „Kekulé füllt seinen Lehrstuhl nicht aus. Er hat seit über einem Jahrzehnt keine signifikante wissenschaftliche Leistung mehr erbracht.“ Das Institut erhalte so viel Grundausstattung wie andere Lehrstühle. Aber der Virologe müsse sich auch um Drittmittel bemühen - also Forschungsprojekte einreichen, die förderungswürdig sind.

Für Kekulé-Anhänger in den sozialen Netzwerken steht derweil fest: Da soll ein Kritiker mundtot gemacht werden. Auch der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider (AfD) äußert in einer Mitteilung den Verdacht, die Dienstenthebung hänge damit zusammen, dass der Virologe mit seinen Äußerungen für die Regierung zunehmend unbequem werde. Dem widerspricht Dekan Gekle: „Es wurde sorgfältig abgewogen, es gibt keine Willkür.“ Geht es nach dem AfD-Politiker, wird der Vorgang Thema in einem Landtagsausschuss.

Jetzt dürften vor allem die Juristen das Sagen haben. Kekulé hat bereits rechtliche Schritte angekündigt. Eine vorläufige Dienstenthebung kann nach dem Beamtenrecht mit Beginn des Disziplinarverfahrens ausgesprochen werden. Laut Bundesinnenministerium ist die Maßnahme vor allem für solche Fälle vorgesehen, in denen damit zu rechnen ist, „dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen werden wird“.