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Skelettfund bei Sandau Skelettfund bei Sandau: Polizeitaucher erzählt von seinem Beruf - "Das schlimmste ist Leichen zu entdecken"

Von Nicolas Ottersbach 10.09.2016, 15:36
Jedes Fundstück könnte ein wichtiges Beweismittel sein: Polizeitaucher Eric Beutler sucht den Grund der Elbe ab bei Sandau im Landkreis Stendal ab. Dort war vor einer Woche ein Autowrack mit einem menschlichen Skelett entdeckt worden.
Jedes Fundstück könnte ein wichtiges Beweismittel sein: Polizeitaucher Eric Beutler sucht den Grund der Elbe ab bei Sandau im Landkreis Stendal ab. Dort war vor einer Woche ein Autowrack mit einem menschlichen Skelett entdeckt worden. Nicolas Ottersbach

Sandau - Polizeitaucher Eric Beutler ist in zwei Metern Tiefe auf etwas gestoßen. Er tastet den schmalen und etwa 30 Zentimeter langen Gegenstand ab. Der fühlt sich fest an, ist aber kein Stein. Für ein Stück Holz ist die Form zu ungewöhnlich. Dann ist klar: Es ist der Knochen eines Menschen, den er gerade in der Hand hält. Er packt den Kochen in einen Beutel und bringt ihn an den Fähranleger.

Eine Woche nachdem in der Elbe bei Sandau im Landkreis Stendal ein Auto und darin ein Männerskelett gefunden wurde, sucht die Polizei erneut nach Beweismitteln. Dafür hat sie die Technische Einsatzeinheit (TEE) der Landesbereitschaftspolizei angefordert. Sie ist das „Mädchen für alles“: Gitteraufbauen bei Fußballspielen, Bereitstellen von Wasserwerfern bei Großdemonstrationen oder die Dokumentation von Einsätzen.

Eines der Spezialgebiete der knapp 50 Personen starken Truppe: das Tauchen. Dadurch Beweismittel sichern und in Notlagen Menschenleben retten. Kein Polizeibeamter in Sachsen-Anhalt ist im Tauchen so gut ausgebildet wie sie. Um ausgewählt zu werden, müssen die Bewerber körperlich und psychisch extrem belastbar sein.

Eric Beutler kam vor neun Jahren zu den Tauchern. „Anfangs wusste ich gar nicht, dass es so eine Abteilung gibt“, erzählt er. Der 38-Jährige ist kräftig gebaut, hat einen durchtrainierten Körper. Den braucht er, um die mehr als 20 Kilogramm schwere Ausrüstung herumzuschleppen und gegen die Strömung anzukämpfen. „Meine Fitness kommt eben vom vielen Schwimmen“, sagt er. Das hat er auch schon gemacht, als er noch ganz normaler Bereitschaftspolizist war.

Nach einem Tauchurlaub reifte dann die Überlegung, auch im Beruf den Sachen auf den Grund zu gehen. Er ließ sich von der normalen Hundertschaft in die TEE versetzen und machte die achtwöchige Taucherausbildung. Was nicht nach viel Zeit für eine Spezialisierung klingt, wie er zugibt.

Blind in zehn Metern Tiefe

Aber es ist auch nur ein Grundlehrgang. Die Beamten bekommen das wichtigste vermittelt: Beispielsweise, dass sie nur langsam auftauchen dürfen, wenn sie in großen Tiefen von bis zu 50 Metern waren. Sonst kann der Körper den Stickstoff nicht verarbeiten, der sich durch den hohen Druck im Blut anreichert. Es geht darum, die eigene Ausrüstung zu prüfen und zu warten. Erst wenn das alles sitzt, machen die Polizisten ihre ersten Tauchgänge. Im klaren Schwimmbad, in trüben Seen und Flüssen mit Strömung. „Ein guter Taucher wird man erst mit wachsender Erfahrung“, sagt Beutler. Deshalb gibt es jede Woche einen Übungstauchgang, in dem Szenarien geprobt und Handgriffe einstudiert werden.

Doch alles kann man nicht lernen. Ein Polizeitaucher braucht auch eine Portion Talent. Wenn Eric Beutler in einen See abtaucht, an dessen Grund in zehn Metern Tiefe ein Tresor liegt, sieht er nichts. „Dann kann ich mich nur mit meinen zehn Augen, meinen Fingern, vorantasten“, erzählt er. Eine Schwierigkeit ist, Gegenstände unter solch widrigen Bedingungen zu finden. Die andere ist, sie sicher an die Oberfläche zu bringen. Für schwere Tresore haben sich robuste Spanngurte bewährt. „Wer schonmal im Hellen versucht hat, ihn richtig zu befestigen, kann sich vorstellen, wie kompliziert das in absoluter Dunkelheit ist“, sagt Beutler.

In manchen Situationen wird ihm auch nach Jahren noch mulmig. „Das schlimmste ist, Leichen zu entdecken“, erzählt Beutler. Dieser grausige Moment, wenn man sich Zentimeter für Zentimeter ertastet und plötzlich etwas findet, das sich wie ein Körperteil anfühlt

Weil es oft so dunkel und die Orientierung unter Wasser schwierig ist, bekommt jeder Taucher einen Leinenführer. Er steht am Ufer und hält über ein Seil, in das eine Telefonleitung eingearbeitet ist, Kontakt. „Dadurch werden neben der Sicherung mehrere Zwecke erfüllt“, sagt Tauchgruppenführerin Kerstin Peter, die diesmal diejenige ist, die Beutler lotst. Die Leine, die er mit einem Karabinerhaken an sich befestigt hat, ist immer auf Spannung. Nur so kann er die Kommandos zuverlässig spüren.

Peter und Beutler haben sich auf das Halbkreis-Suchverfahren verständigt. Durch die Länge der Leine wird der Suchradius eingeschränkt. „Ich gebe die Zeichen, wenn der Taucher wenden soll“, sagt Kerstin Peter. So geht es im Halbkreis zwei Stunden lang immer hin und her. Dann ist die Luft in den Flaschen aufgebraucht, die Erik Beutler auf seinen Rücken geschnallt hat.

Mehr als 20 Teile aus der Elbe gefischt

Eine weitere Möglichkeit ist das Parallel-Verfahren: Dann geht der Leinenführer das Ufer entlang. Der Taucher macht das gleiche - nur im Wasser. In Seen, wie beispielsweise beim Leichenfund in Leipzig-Thekla vor einigen Wochen, teilen die Polizisten das Gewässer in Sektoren ein. Ein Boot fährt dann das Raster ab. Von dort aus steigen die Taucher senkrecht in die Tiefe.

Der Job an Land ist an diesem Morgen in der Elbe trotz oder gerade wegen der Strömung für den Leinenführer anstrengender als für den Taucher. Kerstin Peter nimmt Beutler viel Arbeit ab, weil sie ihn nicht nur steuert, sondern auch durch das Wasser zieht. Sonst müsste er ständig gegen die Strömung schwimmen, was dafür sorgen würde, dass er nicht mehr gründlich genug suchen könnte.

Was an Land gebracht werden soll, hat die Kriminalpolizei vorher genau abgesteckt: Auto- und Knochenteile, die noch vermisst werden. So fehlten nach der Bergung des Wracks und des Skeletts am 1. September beide Hände des Toten. „Alles kann ein Puzzleteil sein, das wichtig für den gesamten Sachverhalt ist“, sagt Kriminalpolizist Carsten Weschke. Die Identität des Mannes, der seit vermutlich sieben Jahren am Grund der Elbe lag, ist noch nicht endgültig geklärt. Und auch die Umstände, wie es zu dem Unglück kam, sind den Ermittlern ein Rätsel.

Eric Beutler und seine Taucherkollegin Jenny Schneider schauen deshalb auch nach Kleinigkeiten. Sie finden Glassplitter, die zu einer Autoscheibe gehören könnten. Ein Stück Stoff, das nach dem Fetzen einer Decke aussieht. Und ein langes Plastikteil, das vermutlich von einer Stoßstange stammt. „Das sind immer nur erste Vermutungen“, sagt Kriminalpolizist Carsten Weschke. Am Ende hat die Tauchergruppe mehr als 20 Teile aus der Elbe gefischt. „Aber wie sich jetzt schon herausgestellt, sind weniger als zehn aussagekräftig“, so Weschke. Am interessantesten seien die Knochen: In der Gerichtsmedizin werden sie nun genauer auf DNS-Spuren untersucht. (mz)

Eric Beutler ist seit neun Jahren Polizeitaucher in der Technischen Einsatzeinheit.
Eric Beutler ist seit neun Jahren Polizeitaucher in der Technischen Einsatzeinheit.
Nicolas Ottersbach
Ein Kriminaltechniker untersucht ein Stück Decke aus der Elbe.
Ein Kriminaltechniker untersucht ein Stück Decke aus der Elbe.
Nicolas Ottersbach