Schnell raus aus der Krise Schnell raus aus der Krise: Bundeswehr übt Luftevakuierung in Stendal

Stendal - Die Sonne scheint über Aquilanien, als das gedrungene Flugzeug heranschwebt. Es ist eine Transall der Bundeswehr, besetzt mit Eliteeinheiten. Denn in Aquilanien herrscht eine politische Krise. Aufständische haben Teile der Hauptstadt eingenommen.
Es gibt Straßensperren und Häuserkämpfe. Das Funk- und Telefonnetz ist zusammengebrochen. Die Zustände ähneln einem Bürgerkrieg. Daher hat das Auswärtige Amt beschlossen, die deutschen Staatsbürger auszufliegen, ein Fall für die Division Schnelle Kräfte der Bundeswehr (DSK).
Bundeswehrübung: Mehrere Einsätze mit fast 2.000 Beteiligten
Dieses Szenario, der Krisenfall in Aquilanien, ist natürlich nur erdacht. Das Land gibt es nicht. Und der Flugplatz, auf dem die Transall gerade landet, liegt in Stendal (Altmark). Es handelt sich um eine Simulation der Bundeswehr, die Teil einer Großübung ist. Über zwei Wochen probt die DSK mit fast 2.000 Beteiligten mehrere Einsätze: Chemieunfall, Marine-Evakuierung, Fallschirmeinsatz.
„Heute spielen wir eine militärische Evakuierungsmission durch“, sagt Sascha Zierold. Er ist Abteilungsleiter im Stab der DSK. Die ist, vereinfacht gesagt, immer im Einsatz, wenn deutsche Staatsbürger irgendwo im Ausland gerettet werden müssen. Innerhalb von 96 Stunden müssen sie überall auf der Welt verfügbar sein. Die Transall hängt dem Zeitplan aber etwas hinterher. „Das Flugzeug hat eine halbe Stunden Verspätung“, sagt Zierold und scherzt dann: „Ich habe bei der Bundeswehr allerdings schon deutlich Schlimmeres erlebt.“
„Das wichtigste in unbekanntem Terrain ist immer die Selbstsicherung“
Dröhnend schiebt sich die Maschine nach der Landung über das Rollfeld. Noch im Fahren springen die ersten Soldaten aus dem Bauch des Flugzeugs: Fallschirmjäger, Sanitäter, Militärpolizei. Manche haben Hunde dabei. Andere große Materialkoffer. Sie verteilen sich überall über das Flughafengelände. „Das wichtigste in unbekanntem Terrain ist immer die Selbstsicherung“, sagt André Forkert.
Der Presseoffizier begleitet die Mission. „Sobald man mit dem Flugzeug den Boden erreicht hat, muss man flexibel sein“, erklärt der 46-Jährige. Man wisse nicht, welche Macht die lokalen Autoritäten noch haben und wie sie die Bundeswehr unterstützen können. „Verlassen kann man sich erst einmal nur auf die eigenen Leute.“
Bei der Übung probiert die Bundeswehr so nah wie möglich an die reale Situation heranzukommen. Ein bis zwei Einsätze hat die DSK pro Jahr, vor nicht allzu langer Zeit etwa im Südsudan. Die letzte große Rettungsaktion, bei der auch militärische Einheiten ausländischen Boden betreten haben, war 2011 in Libyen.
Damals wurden über 200 Personen aus dem Bürgerkriegsland gerettet. 120 davon waren deutsche Staatsbürger, die unter anderem für Öl- und Gasfirmen arbeiteten. „Die Abläufe, die damals gut funktioniert haben, müssen immer wieder neu trainiert werden“, sagt André Forkert. Denn von den Soldaten, die in Libyen landeten, sei heute fast keiner mehr in den operativen Einheiten.
Alle Zivilisten müssen Sicherheitscheck durchlaufen
In Aquilanien sind die Einsatzkräfte am Sammelpunkt, einer Hangar-Halle, angekommen. Überall stehen schwer bepackte Wachposten: Helm, Sicherheitsweste und das Maschinengewehr im Anschlag. Den Sammelpunkt leitet Kai Ullmann. „Wir haben hier labile Personen. Einige, die schnell aus dem Land wollen und andere, die sich noch etwas wehren und überzeugt werden müssen“, erklärt der Oberstleutnant.
Alle Zivilisten, die ausgeflogen werden sollen, müssen erst registriert werden und einen Sicherheitscheck durchlaufen. Ein bisschen sieht es in der Halle wie in einem Flughafenterminal aus. Pässe und Ausweise werden kontrolliert, die Passagiere mit Metalldetektoren untersucht und abgetastet.
„Die wichtigste Frage vor Ort ist: Darf diese Person mitfliegen“, sagt Ullmann. Denn nicht nur Deutsche werden von der Bundeswehr transportiert. Es gebe auch Abkommen mit anderen Ländern, die eine Mitnahme regeln. „Die internationale Zusammenarbeit wird da sehr ernst genommen“, sagt der Leiter des Sammelpunktes, der auch abseits der Bundeswehr-Übung in politisch instabilen Ländern unterwegs ist. „Ich berate für das Auswärtige Amt deutsche Botschaften in Krisenregionen“, erklärt Ullmann.
Er bespricht dort verschiedene Szenarien und trifft mit den Auslandsvertretungen vorbeugende Maßnahmen. Und manchmal tritt auch der Ernstfall ein, wenn sich die Lage verschlechtert, es Aufstände gibt. „Meine Arbeit kann durchaus auch gefährlich werden“, sagt Ullmann. „Aber wenn wir damit nicht umgehen könnten, wären wir nicht beim Militär.“
Handlungsschnelligkeit der Soldaten wird getestet
In der Gruppe der Zivilisten, die aus Aquilanien ausgeflogen werden sollen, gibt es derweil Unruhe. Einigen geht die Abfertigung nicht schnell genug, andere monieren die Sortierung der Passagiere. „Wann geht es denn endlich los“, ruft eine Frau. Die Statisten, Laienschauspieler aus ganz Deutschland, sollen für Stress sorgen. Matthias Weihrich kommt aus Karlsruhe (Baden-Württemberg).
Der Student hat schon viele Krisensituationen mit Soldaten durchgemacht. Für den 26-Jährigen ist das ein Nebenjob. „Zuletzt war ich Chef einer Polizei-Miliz in einem Bürgerkriegsland.“ Die Arbeit mit der Bundeswehr beeindrucke ihn, sagt er. „Man lernt viel über die Einsätze der Soldaten und wie diszipliniert sie in Krisensituationen sein müssen.“
Die Zivilisten in Aquilanien werden in mehren Paketen ausgeflogen. Das erste Paket besteht aus 60 Personen. Sie laufen in drei Reihen, auch eine Frau im Rollstuhl ist dabei. Im Hintergrund dröhnt bereits die Transall. Doch erst muss noch das Rollfeld gesichert werden. Einheiten schwärmen aus. Was für den Laien wie ein wildes Durcheinander aussieht, ist genau konzertiert. Und alles wird beobachten. „Es gibt Schiedsrichter, die den Einsatz im Nachhinein bewerten“, sagt Presseoffizier Forkert.
Besonderes Augenmerk gilt dabei auch unvorhergesehenen Situationen, die bewusst eingestreut werden, um die Handlungsschnelligkeit der Soldaten zu testen. So hat kurz vor dem Betreten des Flugfeldes, auf dem die Transall bereits wartet, eine Frau einen Schwächeanfall. Schnell muss ein Feldbett organisiert werden. Ein Sanitäter eilt herbei, versorgt die Frau. Alles läuft reibungslos. Wenige Minuten später steht die Frau wieder. Gestützt von zwei anderen Zivilisten schleppt sie sich zum Flugzeug. Etwa eine Stunde nachdem sie gelandet ist, verlässt die Maschine aquilanischen Boden. Die Evakuierung ist geglückt.