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"Faktisch herrenlos" Sachsen-Anhalt will Tausende Hektar Land enteignen

Von Hagen Eichler 02.08.2019, 08:00
Sachsen-Anhalt will tausende Hektar an die Kommunen übertragen, weil Eigentümer nicht zu ermitteln sind.
Sachsen-Anhalt will tausende Hektar an die Kommunen übertragen, weil Eigentümer nicht zu ermitteln sind. ZB

Magdeburg - Sachsen-Anhalts schwarz-rot-grüne Koalition will eine jahrhundertealte Form gemeinschaftlichen Landbesitzes per Gesetz abschaffen. Zum 1. Januar 2021 sollen Grundstücke mit insgesamt tausenden Hektar Land entschädigungslos enteignet werden.

Es geht um Flächen, die im 19. Jahrhundert als Gemeinschaftseigentum von Bauern in die Grundbücher eingetragen wurden. Nach all der Zeit sei es „nahezu ausgeschlossen“, die Nachfolger der ursprünglich Berechtigten zu ermitteln, heißt es zur Begründung. Die Grundstücke seien „faktisch herrenlos“.

Enteignung: 14.500 Hektar sind betroffen

45.000 Flurstücke mit einer Gesamtfläche von 14.500 Hektar sind in Sachsen-Anhalt als Eigentum sogenannter „altrechtlicher Personenzusammenschlüsse“ registriert. Nur ein sehr geringer Teil dieser Eigentümergemeinschaften nimmt seine Rechte tatsächlich wahr. Laut Gesetzentwurf bekommen sie bis Ende des nächsten Jahres eine letzte Chance, die Übernahme zu beantragen. Geschieht das nicht oder wird der Antrag rechtskräftig abgelehnt, sollen die Flächen und alles Vermögen an die jeweilige Gemeinde fallen.

In den anderen ostdeutschen Bundesländern sind die altrechtlichen Personenzusammenschlüsse längst aufgelöst. Der sächsische Landtag etwa beschloss das bereits 1948, der brandenburgische 1951. In Sachsen-Anhalt hingegen besteht dieses alte Recht bis heute fort - meist jedoch nur auf dem Papier.

Es geht um Flächen, die früher von allen Hofbesitzern gemeinschaftlich genutzt wurden, vor allem Feldwege. Nach der Enteignung der Landwirte in der DDR und der Zusammenlegung ihres Eigentums zu riesigen Flächen wurden die meisten Wege überpflügt, genauso wie viele Gräben und Bachläufe. Zum gemeinschaftlichen Besitz gehörten aber auch Viehweiden, Wälder, Sandgruben und Steinbrüche.

Enteignung: Flächen waren früher Gemeinschaftseigentum

Im 19. Jahrhundert waren diese Grundstücke als sogenannte Separationsflächen festgeschrieben worden, also als gemeinschaftliches Eigentum der Hofbesitzer. Theoretisch könnten die heutigen Besitzer der Höfe einen Vorstand wählen und die Separationsflächen für sich beanspruchen.

Praktisch ist das meist unmöglich: Viele alte Akten sind verschwunden, Hofstellen wurden vielfach geteilt. „Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass eine ununterbrochene Legitimationskette zu den ursprünglichen Mitgliedern des Personenzusammenschlusses so gut wie nie gelingt“, urteilt das Landwirtschaftsministerium unter Claudia Dalbert (Grüne) in der Gesetzesbegründung.

Mit der Enteignung haben auch CDU und SPD kein Problem. „Das Wort Vergesellschaftung wäre treffender“, sagt Rüdiger Erben, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Die Kommunen haben ein Interesse an der Aufhebung des alten Rechts - laut Gesetzentwurf sollen sie die Flächen erhalten. Bislang verfügen sie darüber provisorisch und kassieren auch Pachten. So hat es der Einigungsvertrag als „vorläufige Regelung“ bestimmt.

Enteignung: Einige Flächen haben hohen Wert

Teilweise geht es um erhebliche Vermögenswerte. Ein Streit um 30 Hektar Wald wurde 2007 bis zum Oberverwaltungsgericht Magdeburg getragen. Die Klage der heutigen Hofinhaber von Velsdorf (Landkreis Börde) scheiterte jedoch. Es sei nicht auszuschließen, dass durch die Teilung von Hofstellen weitere Berechtigte Anrecht auf den Forst haben könnten, urteilte das Gericht.

Die CDU-Fraktion will den Gesetzentwurf der Landesregierung in einem Punkt noch verändern. Für Pachteinnahmen aus den Flächen müsse es eine Zweckbindung geben, fordert der CDU-Agrarpolitiker Bernhard Daldrup: „Das Geld darf ausschließlich in den Wegebau fließen.“ (mz)