Kontroverse KontrolleSachsen-Anhalt: Poggenburg leitet Kommission gegen Linksextremismus

Magdeburg - Selten dürfte ein Gremium in Sachsen-Anhalt bundesweit für so viele Diskussionen gesorgt haben - noch ehe es überhaupt die Arbeit aufgenommen hat: Am Mittwoch startet die Enquete-Kommission gegen Linksextremismus im Landtag.
Den Vorsitz übernimmt mit André Poggenburg ein prominenter Scharfmacher. Er könne sich nach seinem Rücktritt als Partei- und Fraktionschef der AfD ganz auf diese Aufgabe konzentrieren, kündigte er an.
Worum geht es?
Die Kommission soll linksextreme Strukturen im Land untersuchen. Nach Angaben Poggenburgs soll sie bis zum Ende der Wahlperiode, also bis 2021, arbeiten. Dabei soll es auch darum gehen, ob linksextreme Strukturen direkt oder indirekt von öffentlicher Förderung profitieren. Auch die Gewerkschaften will die AfD in den Blick nehmen. Als größte Oppositionsfraktion initiierte sie die Kommission.
Was sagen die anderen?
Sebastian Striegel, für die Grünen in der Kommission vertreten und Innenexperte seiner Fraktion, kritisierte das Gremium als „Diffamierungskampagne der AfD“. Die Rechtspopulisten wollten damit Akteure der Zivilgesellschaft gezielt in die Nähe zu Linksextremismus rücken. „Das ist durchsichtig und durchschaubar und das werden wir zurückweisen.“ Striegel sagte, die tatsächliche Gefahr für die Demokratie gehe von Menschen wie Poggenburg aus, die immer wieder durch Hetz-Reden auffielen.
Ein Bündnis aus Kulturschaffenden, Gewerkschaften, Jugendhilfe, Wohlfahrt und Kirchen monierte im März, dass die AfD seit ihrem Einzug in den Magdeburger Landtag ein Klima der Angst und Denunziation verbreite. Dabei bezog sie sich neben Redebeiträgen auch explizit auf die durchgesetzte Enquete-Kommission gegen Linksextremismus.
Es gehe nicht um eine sachliche Auseinandersetzung, sondern darum, zivilgesellschaftliche Träger und staatliche Institutionen anzugreifen und zu verunglimpfen, argumentierten sie.
Warum sorgte die Einsetzung des Gremiums bundesweit für Aufsehen?
Enquete-Kommissionen sind wie Untersuchungsausschüsse Instrumente, für die man keine Landtagsmehrheit braucht. So soll sichergestellt werden, dass die Regierungsfraktionen eine Kontrolle ihrer Arbeit nicht einfach blockieren. Ein Viertel der Parlamentarier kann eine Enquete-Kommission initiieren.
Die AfD-Fraktion verfügt trotz drei Austritten mit 22 Mitgliedern auf den Kopf genau über die benötigte Anzahl. Trotzdem stimmte auch ein großer Teil der CDU-Abgeordneten der Einsetzung zu - mit der AfD und gegen die mit ihnen regierenden SPD und Grünen. Das sorgte für bundesweite Schlagzeilen.
Man habe garantieren wollen, dass die AfD ihr Minderheitenrecht durchsetzen könne, hatte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt gesagt. Ein Argument, dass selbst die Bundeskanzlerin und Bundesparteichefin nicht überzeugt zu haben scheint. Auf die Abstimmung angesprochen rüffelte Angela Merkel ihre sachsen-anhaltischen Parteikollegen und erklärte, das verstehe sie nicht unter „nicht mit der AfD zusammenarbeiten“.
Wie funktioniert die Kommission genau?
Die Kommission arbeitet wie ein ständiger Fachausschuss, kommt allerdings seltener zusammen. Nach bisherigen Planungen soll sie etwa alle zwei Monate tagen. Ihr gehören zwölf Abgeordnete an. Die Fraktionen entsenden sie nach Größe. Die CDU schickt vier, die AfD drei, SPD und Linke jeweils zwei und Grüne einen Abgeordneten. Zudem kann jede Fraktion einen Sachverständigen benennen, der das Gremium berät. Es soll Handlungsempfehlungen für das Parlament erarbeiten und mindestens einmal im Jahr einen Zwischenbericht abgeben.
In der Geschichte des Landtags ist sie die 9. Enquete-Kommission und die zweite in der aktuellen Wahlperiode. Zuvor hatten sich die Parlamentarier bereits damit beschäftigt, wie sich die Bürgerbeteiligung auf politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene und im Land stärken lässt. Andere Kommissionen beschäftigten sich in der Vergangenheit vor allem mit der Verwaltung und dem Öffentlichen Dienst oder Verwaltungsfragen. Eine Kommission zu politischem Extremismus gab es bisher noch nicht.
Wie hat sich der politische Extremismus in Sachsen-Anhalt entwickelt?
Die Polizei hat voriges Jahr 2331 Taten als politisch motiviert eingestuft. Das waren knapp 5,5 Prozent weniger als 2016. Vor allem die Gewalttaten gingen nach einem Höchststand im Vorjahr um knapp ein Viertel zurück. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor. Linksextreme Taten stiegen im Vergleich zum Vorjahr leicht an und haben einen Anteil von elf Prozent an allen politischen Taten. 60 Prozent der Fälle gelten als rechtsextrem motiviert. Im Vergleich zu 2016 ging die Zahl der Delikte in diesem Feld zurück.
Der Verfassungsschutz rechnet etwa 490 Sachsen-Anhalter der linksextremen Szene zu, fast vier Mal so viele Anhänger gebe es in der rechtsextremen Szene. Für den Verfassungsschutz bleibt der Rechtsextremismus Schwerpunkt seiner Arbeit. (Simon Ribnitzky und Franziska Höhnl, dpa)