Haseloff im Interview Reiner Haseloff im Interview: "Es gibt hier so viele tolle Dinge!"

Wittenberg - Wie, in der Stadtkirche war man noch nicht? Da muss man dann nach der Schlosskirche natürlich auch noch hin mit Reiner Haseloff. Da zeigt der Ministerpräsident, wo einst Luther predigte und der kleine Reiner als Messdiener saß.
Bei dem CDU-Politiker und Wittenberg liegen Persönliches und Historisches eng beieinander. Kein Wunder: Der CDU-Politiker kann seine Ahnen bis 1423 herunterbeten, bis hin zu Mattes Haseloff. Der war Stadtrat - Politik liegt bei den Haseloffs im Blut.
Über Privates und Politisches, über Probleme und Grund zur Freude sprachen mit Haseloff in Wittenberg die MZ-Redakteure Hartmut Augustin und Kai Gauselmann.
Herr Ministerpräsident, wann steigen Sie aus der Politik aus?
Reiner Haseloff: Wahrscheinlich nie. Als Bürger, der die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung mitgemacht hat, werde ich immer politisch aktiv sein. Ob in einer Funktion, in welcher und wie lange – das wird von meiner Gesundheit, dem lieben Gott und den Wählerinnen und Wählern abhängen. Jetzt mache ich erst einmal meinen Job in einer Koalitionskonstellation, die es so noch nie gegeben hat.
Politiker zu sein, ist das für Sie Beruf oder mehr?
Haseloff: Das ist nicht nur Beruf. Es gibt Teile meiner Tätigkeit, die machen nur große Freude. Wenn ich mit Freunden oder Gästen aus aller Welt durch die Städte der Reformation, nicht nur Wittenberg, auch Halle, Eisleben und Mansfeld, gehe, dann bin ich einfach begeistert von unserem Land. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als in meiner Heimat, in der ich seit 63 Jahren lebe, mithelfen zu können. Das ist echte Freude.
Es gibt ja auch ein Leben neben der Politik, Sie sind gerade zum fünften Mal Großvater geworden…
Haseloff: Das ist richtig, aber kein Widerspruch. Meine Kinder und Enkelkinder merken doch, wofür ihr Opa und auch ihre Oma – meine Frau ist ja Stadträtin in Wittenberg - brennen. Mit den Enkeln haben wir gerade hier in Wittenberg wunderbare Tage erlebt.
Treten Sie also bei der nächsten Landtagswahl an?
Haseloff: Darüber habe ich mir ehrlich noch keine Gedanken gemacht. Ich bin jetzt 63. In vier Jahren endet die Wahlperiode. Nach Vorstellungen der Bundesregierung hat man bis 67 zu arbeiten, das kann ich mir vorstellen.
Ihr fleißiger Vorgänger Wolfgang Böhmer ist überhaupt erst mit 66 Ministerpräsident geworden.
Haseloff: Eben, das ist eine große Vorlage. Als Option muss das auch stehen können, weiterzumachen. Das hängt aber von vielen Faktoren ab. Neben den genannten auch von meinem CDU-Landesverband. Ich bin ein glühender Verfechter der Demokratie. Deshalb ist es gut zu wissen, dass es in unserer Partei eine größere Zahl Jüngerer gibt, die das Potenzial haben, den Staffelstab übernehmen zu können.
Als glühender Demokrat hätten Sie bei der neuen Enkelin einen Namensvorschlag wie „Angela“ durchsetzen müssen, stattdessen geht es royal zu.
Haseloff: Ja, zur Demokratie in einer Familie gehört auch, dass die Großeltern so etwas nicht vorschreiben können. Dass die Kleine Amalia Maxima heißen soll, ist mir bis zur Geburt verheimlicht worden. Meine Schwiegertochter ist von der niederländischen Königin als Person eben so beeindruckt gewesen und hat deshalb das Kind nach der Königin und ihrer ältesten Tochter benannt.
Reiner Haseloff ist trotz aller Luther-Begeisterung: ein bekennender Katholik. Der zweifache Vater und fünffache Großvater aus Bülzig (Kreis Wittenberg) ist in erster Ehe mit Gabriele Haseloff verheiratet, einer Zahnärztin - das Paar kennt sich seit mehr als 40 Jahren.
Nach der Wende hat der Physiker in der Kreisverwaltung in Wittenberg und dann dort als Arbeitsamtsdirektor gearbeitet. 2002 ging Haseloff als Arbeits-Staatssekretär nach Magdeburg, wurde dann 2006 Landes-Wirtschaftsminister und folgte schließlich 2011 Wolfgang Böhmer (CDU) als Ministerpräsident nach.
Einer Ihrer Söhne lebt mit seiner Familie in Wittenberg, der andere in Bayreuth. Ist das gelebte Einheit oder zeigt es, dass der Osten nach wie vor nicht allen jungen Leuten ausreichende Perspektiven bietet?
Haseloff: Ich weiß genau, dass die Lohnentwicklung in der Wirtschaft noch dem Westen hinterherhinkt, wenn wir auch unter den ostdeutschen Ländern ganz gut dastehen. Deshalb liegt hier ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Im öffentlichen Dienst sind die Unterschiede nicht mehr sehr groß. Mein Sohn in Bayreuth ist Richter. Der hat neulich festgestellt, dass er derzeit hier in Sachsen-Anhalt mehr verdienen würde als in Bayern. In einigen Jahren nivelliert sich das aber wieder. Unterm Strich wäre es für ihn hier nicht schlechter. Er wollte sich und uns das aber nicht antun, dass er versucht, hier Richter zu werden und ihm dann nachgesagt würde, der Alte hat da geschoben.
Ist das der Preis Ihres Amtes?
Haseloff: Das ist so, man zahlt auch einen Preis für ein öffentliches Amt. Allerdings sind wir auch gerne in Bayreuth. Am Ende ist das gelebte Einheit und es hilft mir bei vielen Problemen auch schneller eine Bundesperspektive zu bekommen. So schlecht stehen wir nicht da.
Sagen Sie das den Schülern, die das neue Schuljahr beginnen – und den Lehrermangel zu spüren bekommen.
Haseloff: Von der Ausstattung her stehen unsere Schulen gut da. Die meisten wurden in den vergangenen Jahren in Ordnung gebracht, da hängt manches Land im Westen 30 Jahre hinterher. Das gilt auch für die Klassengrößen. In Niedersachsen liegt die Unterrichtsversorgung bei 98 Prozent. Ich habe mit Bildungsminister Marco Tullner gesprochen: Wir liegen im Schnitt bei 101 Prozent. Wir brauchen uns überhaupt nicht zu verstecken.
Sie glauben also dem Bildungsminister, dass in diesem Schuljahr alles besser wird?
Haseloff: Wir werden eine Verbesserung haben. Natürlich werden wir noch nicht zufrieden sein können. Aber Sie müssen auch mal sehen: Die Zahlen, die wir vor einigen Jahren der Personalentwicklung im Landesdienst zugrunde gelegt haben, basierten auf der alten Bevölkerungsprognose. Die verändert sich nun durch die Migration und die steigende Geburtenzahl. Herr Tullner muss fast 6 000 Kinder mit Migrationshintergrund aus den vergangenen Jahren zusätzlich im Schulsystem versorgen. Bedingt durch die Bevölkerungsentwicklung werden beispielsweise im Jahr 2025 die Schülerzahlen nicht sinken, sondern stabil bleiben, damit haben wir etwa 22 000 Schülerinnen und Schüler mehr als vor Jahren gedacht. Gott sei Dank, muss man sagen. Was Marco Tullner machen konnte, hat er gemacht. Wir sehen gemeinsamen Handlungsbedarf bei den unbesetzten Stellen. Er wird auch noch weiter Stellen ausschreiben. Der Markt ist aber bundesweit ziemlich abgeräumt. Lesen Sie mal die Zeitungen in anderen Bundesländern, die haben dort mindestens die gleichen Probleme.
Ihr Koalitionspartner SPD hat große Zweifel an Tullners Arbeit angemeldet und Nachbesserungen verlangt.
Haseloff: Ich glaube, wir sind gut beraten, uns als Mannschaft zu verstehen und Probleme gemeinsam zu lösen. Die Probleme sind nicht vom Himmel gefallen und haben objektive Ursachen, die hätte jeder Bildungsminister zu bewältigen. Wir arbeiten gut zusammen und sollten uns nicht gegenseitig vermeintliche Defizite unter die Nase reiben. Sonst kommt in der CDU-Fraktion auch mal einer auf die Idee zu fragen, ob die Integrationsquote der Migranten ausreichend ist, warum die Eingliederung der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt so schleppend läuft, wie die Investitionsquote der Wirtschaft sich darstellt oder wie es mit der Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit aussieht und so weiter. Das will ich nicht, weil wir als Mannschaft unterwegs sind. Deshalb sollten wir die Probleme gemeinsam lösen. Da hat jede Partei auch ausreichend Gelegenheit zur Profilierung, das geht nämlich am besten durch eine gute Arbeit.
„Kenia“ krachen lassen, Neuwahlen, bei denen die AfD kleiner wird, die Grünen aus dem Landtag fliegen und die CDU wieder nur mit der SPD regieren kann: Stimmt es, dass in der Landes-CDU dieses Szenario kursiert für den Fall, dass es nach der Bundestagswahl eine schwarz-gelbe Regierung in Berlin gibt?
Haseloff: Nein, das ist völliger Quatsch. Diese Landesregierung ist stabil und eine solche stabile Struktur stellt man nicht für ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang in Frage. Das wäre verantwortungslos.
Wie gut tut Luther Wittenberg und Sachsen-Anhalt?
Haseloff: Es kommen viele Gäste in die Lutherstädte und man sieht auch schon an Buchungen für 2018: Das wird nachwirken und anhalten. Zumal wir weitere Jubiläen haben werden wie das Bauhaus-Jubiläum.
Na ja, die Weltausstellung auf den Wallanlagen hier in Wittenberg sieht nicht überlaufen aus.
Haseloff: Das ist unterschiedlich. Die religiösen Angebote im engeren Sinne haben einen geringeren Zulauf, das ist klar. Dafür ist aber die EKD zuständig – sie hat das auch selber bezahlt - und sie hat die Zugkraft vielleicht überschätzt. Das ist hier nicht Nordrhein-Westfalen mit einem Einzugsgebiet von 18 Millionen Menschen – wobei wir hier in Sachsen-Anhalt auch anteilig weniger Menschen haben, die für diese religiösen Angebote ansprechbar sind. Das hätte vermutlich säkularer angelegt werden müssen. Bei so einem Jubiläum klappt eben nicht alles. Aber es gibt so viele tolle Dinge hier!
Was ist ihr Favorit?
Haseloff: Da gibt es so viel! Hier in der Nationalen Sonderausstellung 95 Schätze – 95 Menschen wird zum Beispiel der Messplatz von Otto Hahn und Lise Meitner ausgestellt, an dem sie die erste Atomspaltung nachgewiesen haben, der steht sonst in München im Deutschen Museum. Wenn ich den alten Apparat aus den 1930er Jahren sehe, dann bin ich als Physiker begeistert. Ich habe scherzhaft gesagt, ohne diese Apparatur – wodurch die Nutzung der Atomkraft erst möglich wurde - gebe es heute die Grünen nicht. (mz)