Praxislerntage wie zu DDR-Zeiten Praxislerntage wie zu DDR-Zeiten: Sachsen-Anhalt schickt Schüler in die Produktion

Magdeburg - Um den zunehmenden Fachkräftemangel zu stoppen, setzt Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) auf eine engere Verzahnung von Schule und Wirtschaft. Mit Beginn des neuen Schuljahres an diesem Donnerstag können Sekundar- und Gemeinschaftsschulen ein neues Element in Stundenpläne eintragen: die Praxislerntage.
In zweiwöchigem Rhythmus verbringen Acht- und Neuntklässler einen Schultag in einem regionalen Unternehmen, einer sozialen Einrichtung oder einer Berufsschule. Es geht um Lernen in der Praxis, angelehnt an die regulären Schulfächer. Ziel der Praxislerntage ist es, „Handwerk, Industrie und Schule einander näherzubringen“, sagte Tullner der MZ.
„Produktive Arbeit“ gegen Nachwuchsprobleme
Gegen Nachwuchsprobleme in der Wirtschaft soll damit ein Instrument helfen, das es so ähnlich auch schon in DDR-Schulen gab: Produktive Arbeit. Das Ministerium in Magdeburg hat eigens eine Abteilung in der Landesverwaltung geschaffen, die den Kontakt zu Kooperationspartnern in der Wirtschaft halten soll. Die Deutsche Bank und der Bauriese Papenburg gehören nach Angaben des Ministeriums bereits zu den Partnern, aber auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO), das Kaliwerk von K+S in Zielitz (Börde) und das Elisabeth-Krankenhaus in Halle.
Die Einführung der neuen Unterrichtsform ist für die Schulen freiwillig - sobald sie sich dafür entscheiden, wird der Praxistag für alle Acht- und Neuntklässler zur Pflicht. Laut Tullners Ministerium starten zunächst 30 Schulen im Land, in einem Jahr sollen es 50 sein. Eine flächendeckende Etablierung ist das Ziel der Landesregierung. Insgesamt 100 von rund 140 Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sollen das neue Element in Zukunft nutzen. Das Land bezahlt anfallende Fahrtkosten und Zuschüsse für Arbeitsmaterial in Höhe von bis zu 40 Euro pro Schüler.
Der Vorstoß der Landesregierung wird von Wirtschaftsvertretern gelobt - vor allem angesichts zuletzt 5 800 unbesetzter Ausbildungsplätze in Sachsen-Anhalt. „Wir haben das lange gefordert“, sagte Thomas Keindorf, Chef der Handwerkskammer Halle und Landtagsabgeordneter der CDU.
Chance für Unternehmen, Nachwuchs für sich zu interessieren
„Die teilnehmenden Betriebe haben so eine deutlich verbesserte Chance, Nachwuchs für sich zu interessieren.“ Zudem setze er darauf, dass Acht- und Neuntklässler bereits zu Schulzeiten ein besseres Gefühl für handwerkliche und technische Arbeit bekämen und berufliche Interessen austesten können. „So können wir im besten Fall auch die Abbrecherquoten senken“, sagte Keindorf der MZ. „Über Jahre“ habe er die nun umgesetzte Forderung gegenüber der Landesregierung vorgetragen.
Auch die Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) unterstützt das Projekt. „Ich weiß, viele Unternehmen bewerten Praktika als das entscheidende Instrument für die Berufsorientierung“, sagte Simone Danek, IHK-Geschäftsführerin für Aus- und Weiterbildung. „Jugendliche können die Arbeitswelt real erleben und sich ausprobieren, Unternehmen kommen in Kontakt mit potenziellen Nachwuchskräften.“ Alle Branchen könnten von dem neuen Instrument profitieren. Auch der Sekundarschulverband sieht darin eine „Bereicherung“.
Trotz Lob für die Neuerung gehen Pädagogen, Schüler und Eltern mit Sorgen ins neue Schuljahr. Es fehlen Lehrer. Bildungspolitiker und die Lehrergewerkschaft GEW prognostizieren, dass nur noch 96 bis 97 Prozent des Unterrichts im Land abgedeckt werden können (die MZ berichtete). Hintergrund ist, dass nicht genug junge Pädagogen gefunden werden, um die Altersabgänge zu kompensieren. Das Ministerium nennt dazu noch keine konkreten Zahlen. (mz)