Wird Pflegegrad 1 gestrichen? Verlust von Leistungen: So viele Menschen in Sachsen-Anhalt wären betroffen
Die Bundesregierung sucht Wege, die steigenden Kosten der Pflegeversicherung einzudämmen. In der Diskussion ist dabei auch der mögliche Wegfall des Pflegegrades 1.

Magdeburg/Halle (Saale). – Die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung betrugen im vergangenen Jahr in Deutschland mehr als 68 Milliarden Euro, in den kommenden Jahren soll diese Zahl noch weiter steigen.
Der Bundesrechnungshof warnt zudem vor einer Deckungslücke von mindestens 3,5 Milliarden Euro in den kommenden Jahren. Grund genug, dass in Regierungskreisen über Einsparungen nachgedacht wird.
Besonders im Fokus: der Pflegegrad 1. Er gilt als niedrigste Stufe im System der Pflegeversicherung und unterstützt Menschen mit leichten Einschränkungen. Vertreter von Union und SPD haben nun bestätigt, dass eine Streichung dieses Grades geprüft werde.
Einteilung der Pflegestufen nach Schwere der Beeinträchtigung
Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen erhalten Unterstützung nach einem abgestuften System. Mittels einer Begutachtung wird festgelegt, in welchem Pflegegrad Betroffene eingestuft werden – dieser bestimmt, wie viel Hilfe ihnen zusteht.
Lesen Sie auch: Lohnt ein Pflegeantrag? Rechner hilft bei der Einschätzung
Die Einteilung reicht von leichten Einschränkungen im Alltag (Pflegegrad 1) bis hin zu sehr schweren Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Pflegeaufwand erfordern (Pflegegrad 5). Zuvor galt ein Modell mit drei Pflegestufen. Im Zuge einer Reform wurde dieses 2017 durch die heute gültigen fünf Pflegegrade ersetzt.
Mit der Reform von 2017 verfolgte die Politik das Ziel, auch Menschen mit einem geringen Unterstützungsbedarf frühzeitig Hilfe anzubieten. Dadurch sollte verhindert werden, dass sich ihre Situation verschlechtert und später kostenintensive Pflege, etwa in einem Heim, notwendig wird.
Zum Thema: Pflegebegutachtung steht an? So sind Sie gut vorbereitet
Geistige und körperliche Gebrechen im Pflegebegriff
Zugleich wurde der Pflegebegriff neu gefasst: Statt fast ausschließlich körperliche Einschränkungen zu berücksichtigen, werden seitdem auch geistige und kognitive Beeinträchtigungen einbezogen. Damit reagierte der Gesetzgeber auf die zunehmende Zahl von Menschen mit Demenz.
Der Pflegegrad 1 soll Betroffenen einen Einstieg in die Versorgung bieten. Dazu gehören vor allem finanzielle Hilfen wie ein monatlicher Entlastungsbetrag von bis zu 131 Euro für Haushaltshilfen oder Betreuung sowie Zuschüsse für barrierefreie Umbauten der Wohnung in Höhe von bis zu 4.180 Euro.
Lesen Sie auch: Neues zum Entlastungsbudget: Was sich zum 1. Juli für Pflegende ändert
Auch Beratungsangebote und Pflegekurse für Angehörige sind Teil der Leistungen. Im Unterschied zu höheren Pflegegraden gibt es jedoch weder Pflegegeld noch Sachleistungen oder Kurzzeitpflege.
Warum wird über die Abschaffung von Pflegegrad 1 diskutiert?
Zum Jahresende 2024 waren bundesweit rund 870.000 Menschen dem Pflegegrad 1 zugeordnet und erhielten entsprechende Leistungen. Der größte Anteil der Pflegebedürftigen entfiel aber auf die Grade 2 und 3 – zusammen knapp 4 Millionen.
Lesen Sie auch: Grundpflege: Leistungen und Kosten der Pflegedienstleistung
Eine Streichung des Pflegegrads 1 würde nach Berechnungen der Befürworter jährlich bis zu 1,8 Milliarden Euro einsparen. Ob dies tatsächlich so kommen würde, ist jedoch umstritten.
Kritiker weisen darauf hin, dass fehlende Unterstützung im frühen Stadium den Gesundheitszustand vieler Betroffener verschlechtern könnte – mit der Folge deutlich höherer Pflegekosten zu einem späteren Zeitpunkt.
Hinzu kommt eine Debatte über die Nutzung des Pflegegrads 1. Manche Experten sehen darin ein Instrument, das in der Praxis häufig ausschließlich wegen der finanziellen Zuschüsse beantragt werde.
Dem halten andere entgegen, dass auch hier eine Nachweispflicht besteht: Leistungen werden nur erstattet, wenn Ausgaben belegt und anerkannte Anbieter genutzt werden.
Auch interessant: Betrugsmasche mit Pflegeleistungen: So schützen Sie sich
Wie stark wären Menschen in Sachsen-Anhalt betroffen?
Nach Angaben des Statistischen Landesamts Sachsen-Anhalt gab es Ende 2023 mehr als 190.000 Pflegebedürftige in Sachsen-Anhalt. Davon waren etwas mehr als 28.000 Menschen dem Pflegegrad 1 zugeordnet.
Sollte dieser gestrichen werden, verlören sie ihren Anspruch auf Entlastungsleistungen. In Sachsen-Anhalt leben 86 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause, die Versorgung übernehmen meist Angehörige. F
achleute warnen deshalb, dass gerade hier die Belastung für Familien deutlich steigen könnte.
Lesen Sie auch: Bescheid von Pflege- oder Krankenkasse: So widersprechen Sie
Ob es tatsächlich zum Wegfall kommt, ist noch offen. Eine Kommission zur Reform der Pflegeversicherung soll bis Mitte Oktober konkrete Vorschläge vorlegen.
Klar ist schon jetzt: Die Debatte um den Pflegegrad 1 ist zum Prüfstein dafür geworden, wie der Sozialstaat mit den Herausforderungen des demografischen Wandels umgehen will.