Pendler in Sachsen-Anhalt Pendler in Sachsen-Anhalt: Ein Land auf Achse - Ein Erfahrungsbericht von unterwegs
Halle (Saale) - Ich muss jetzt mal etwas gestehen: Ich fahre gerne Zug. Sollen doch die anderen Bahn-Bashing betreiben, mit den Augen rollen wegen lächerlicher fünf Minuten Verspätung, schimpfen. Ich dagegen freue mich auf meine tägliche Zugfahrt! Zugegeben, das ist jetzt etwas übertrieben. Aber Bahnfahrer sind leidensfähig.
Ich gehöre zu 18,4 Millionen Deutschen. Das sind nicht die, die täglich im Zug sitzen, sondern die Pendler in Deutschland. Immer mehr Menschen nehmen zum Teil lange Wege auf sich, um zur Arbeit zu kommen, egal ob mit dem eigenen Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. 18,4 Millionen, das ist ein neuer Rekord.
Immer mehr Pendler in Sachsen-Anhalt
Auch in Sachsen-Anhalt pendeln immer mehr Menschen. Im vorigen Jahr waren es rund 142.000, die zur Arbeit in ein anderes Bundesland fuhren, 7.000 mehr als vor fünf Jahren. Aber das Land zieht auch immer mehr Pendler an: 2016 kamen fast 67.000 Beschäftigte von auswärts nach Sachsen-Anhalt. 2012 waren es erst 59.000. Die Arbeitsagentur, die die Daten erhebt, erklärt den Anstieg mit einem erhöhten Fachkräftebedarf.
Aber ab wann gilt man als Pendler? Die Arbeitsagentur fängt auf der Kreisebene an zu zählen: Erfasst wird, wer in einen anderen Landkreis pendelt, oder in ein anderes Bundesland. Wenn Sie also täglich von Querfurt nach Merseburg ins Büro fahren, oder von Bernburg nach Aschersleben, fallen Sie raus aus der Statistik.
Ich pendele. Das schreibt sich so leicht hin. Aber Pendeln, das ist, wenn der Kollege, der nur zehn Minuten ins Büro braucht, morgens zu Hause mehr Zeit hat. Pendeln ist, seine Kinder bestenfalls abends nur noch kurz beim Ins-Bett-Bringen zu sehen. Pendeln, das sind verstopfte Straßen und überfüllte Züge. Versiegelte Böden und zersiedelte Landschaften.
8,4 Millionen Menschen pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort
Pendeln, das ist dem Job hinterherfahren, aber auch die Konsequenz des ersehnten Häuschens im Grünen. Pendeln ist, nicht zuletzt, gesundheitsgefährdend: Es drohen Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Erschöpfung. Pendeln, das ist aber auch das, was man daraus macht. Womit wir wieder bei der Bahn wären. Im Zug kann ich dösen, lesen, telefonieren, und ja: auch arbeiten. Im Auto könnte ich Musik hören oder ein Hörbuch. Ich bin bloß nicht so der Hörbuch-Typ. Zugfahrer sind grundsätzlich friedlich und entspannt, sie machen in der vollen S-Bahn noch Platz für das elfte Fahrrad und halten auch mal eine Tür auf.
Pendler legen immer längere Wege zurück - durchschnittlich 16,9 Kilometer für eine Strecke, sagt die Statistik. Da liege ich mit rund 35 Kilometern zwischen der Wohnung in Leipzig und dem Büro in Halle schon über dem Durchschnitt. Aus Leipzig kommen übrigens 3.700 Menschen nach Halle zum Arbeiten. Die Saalestadt ist, nun ja, beliebt bei Pendlern, sie hat die zweithöchste Einpendlerquote, 43,2 Prozent. Nur in den Salzlandkreis pendeln noch mehr Menschen. Dort kommt jeder zweite Arbeitnehmer (48,5 Prozent) von außerhalb. Bei den Auspendlern liegt der Saalekreis an der Spitze - 56,8 Prozent der Beschäftigten arbeiten außerhalb des Kreises. Dahinter rangiert die Börde (47,4 Prozent).
Die meisten Pendler aus Sachsen-Anhalt arbeiten übrigens nicht in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg. Sondern in Niedersachsen, nämlich 42.000. Sie fahren aus der Börde nach Helmstedt, aus dem Harz nach Goslar oder Salzgitter, aus der Altmark nach Wolfsburg oder Hannover.
Ja, Pendeln bedeutet Stress. Manchmal aber verschafft es auch unverhoffte Auszeiten. Da war dieser Sommerabend vor ein paar Jahren. Die S-Bahn aus Halle fuhr nur bis Schkeuditz, unangekündigt: „Bitte aussteigen, dieser Zug endet hier!“ Es war die Zeit, in der sie es bei der Bahn gar nicht erst versuchten, ihre Fahrgäste über mehr als das Nötigste zu informieren. Es war also nicht klar: Geht es weiter nach Leipzig? Wann? Wie? Ich schob mein Fahrrad aus dem Zug und radelte einfach los, die Abendsonne im Rücken. Selten hatte ich einen so entspannten Feierabend. (mz)