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Nach Anschlag in Halle  Nach Anschlag in Halle : Landtag fasst Beschluss, AfD weist Schuld von sich

Von Hagen Eichler 23.10.2019, 17:53
Reiner Haseloff (CDU, r), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, steht im Plenarsaal des Landtages am Rednerpult. Dort gab der er eine Regierungserklärung ab.
Reiner Haseloff (CDU, r), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, steht im Plenarsaal des Landtages am Rednerpult. Dort gab der er eine Regierungserklärung ab. dpa

Magdeburg - Die Debatte ist erst wenige Minuten alt und schon liegt offen zutage, was die AfD an diesem Tag plant. Am Rednerpult im Landtag steht Ministerpräsident Reiner Haseloff. Der Christdemokrat hat die Aufgabe, zum Terroranschlag von Halle die richtigen Worte zu finden.

Haseloff spricht zunächst den Angehörigen der Toten das Mitgefühl aus, der gesamte Landtag applaudiert. „Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rechtsextremismus-Problem“, sagt der Ministerpräsident wenig später und erntet erneut Zustimmung - allein bei der AfD rührt sich keine Hand.

Es geht jetzt um die politische Einordnung des mutmaßlichen Mörders, und die Rechtsaußenpartei schiebt Stephan B. so weit von sich, wie sie nur kann.

Vorwurf an Muslime

„Es gab in Halle keinen rechten Terrorismus“, behauptet AfD-Chef Oliver Kirchner wenig später. Antisemit sei der Mann gewesen, aber nicht rechts. Im Plenarsaal gibt es ungläubige Blicke, Zwischenrufe. Tatsächlich hat der Attentäter sein rechtsextremes Weltbild selbst dargelegt.

Kirchner hingegen beharrt darauf, die Gefahr des Antisemitismus in Deutschland stamme „zum großen Teil aus dem muslimischen Kulturkreis“.

Die AfD will sich an diesem Tag als Verteidiger der Juden präsentieren. „Wir haben selbst welche in der Partei“, sagt Kirchner. Viele Juden seien staatstragender „als so mancher Landsmann“, ergänzt der Fraktionschef – und offenbart mit dieser Formulierung, dass er zwischen Juden und „echten“ Landsleuten unterscheidet.

Haseloff: „Gewalt beginnt mit der Sprache“

Trägt die AfD indirekt Mitverantwortung für das Hassverbrechen, das sich gegen die jüdische Gemeinde richten sollte und dem eine Passantin und der Besucher einer türkischen Imbissstube zum Opfer fielen? Ja, sagen die anderen Parteien von der CDU bis zur Linken.

„Gewalt beginnt mit der Sprache“, urteilt Ministerpräsident Haseloff und erinnert an eine Kurznachricht bei Twitter, die der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner verbreitete. Die Opfer seien Deutsche gewesen, hieß es darin und wörtlich: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Synagogen und Moscheen herum?“

Haseloff, der selbst betroffen in die Synagoge geeilt war, stellt Antisemitismus ins Zentrum seiner Regierungserklärung. Juden müssten heute wieder Angst haben, sagt er. „Dafür schäme ich mich.“ Vorsichtig übt er Kritik. „Lange waren wir zu zögerlich. Jetzt müssen wir umfassend handeln“, sagt er und kündigte eine bessere Bewachung gefährdeter Orte an, aber auch mehr Einsatz für politische Bildung.

Vorwurf: AfD-Tillschneider verbreitete antisemitische Verschwörungstheorie

SPD-Fraktionschefin Katja Pähle setzt in ihrem Beitrag auf Attacke und konfrontiert die AfD mit einer Rede ihres Abgeordneten Hans-Thomas Tillschneider. Dieser habe Anfang 2018 in Bayern den Zentralrat der Juden und andere bezichtigt, mit Hilfe des Islam „die Zersplitterung und letzten Endes die Abschaffung unseres Volkes“ anzustreben. Das sei die antisemitische Verschwörungstheorie schlechthin, ruft Pähle und erntet den längsten Applaus dieser Debatte.

Die Linke nimmt nicht nur die AfD, sondern auch die Landesregierung in Mitverantwortung - vor allem Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Dass der die besondere Schutzbedürftigkeit der Synagoge - insbesondere am Feiertag Yom Kippur - nicht erkannt habe, bleibe „ein nicht zu tilgender Makel“, sagt Lippmann.

Hinzu komme der öffentlich ausgetragene Streit darum, ob die Jüdische Gemeinde nun um mehr Schutz gebeten habe oder nicht. „Man ist betroffen vom Krisenmanagement der Landesregierung und schämt sich dafür“, sagt der Linken-Vormann.

Kampf wie gegen die RAF?

Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann sagt, die Bluttat von Halle sei „für alle, die mit offen Augen und Ohren durch unser Land gehen“, absehbar gewesen. Siegfried Borgwardt, Chef der CDU-Fraktion, fordert ein hartes Vorgehen des Staates, so wie in der alten Bundesrepublik gegen die RAF.

Der Beschluss, den der Landtag am Ende fasst, attestiert dem Land gleich mehrere Schwachpunkte. Bei Straftaten mit antisemitischem und rassistischem Hintergrund sei „eine konsequentere Strafverfolgung“ nötig, heißt es in dem Papier, das CDU, SPD und Grüne gemeinsam vorgelegt haben. Auch müssten Landesbedienstete besser über Hassideologien aufgeklärt werden. Konkret genannt sind Sozialarbeiter, Polizei und Justiz, aber auch Lehrer.

Ein Team von Spiegel TV hatte aufgedeckt, dass auch die Mutter des Attentäters antisemitische Vorstellungen teilt. Die Frau ist Grundschullehrerin. (mz)