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MZ-Gespräch (Video MZ-Gespräch (Video): FDP-Spitzenkandidat Frank Sitta will mehr Wirtschaftskraft

Von Hendrik Kranert-Rydzy 01.03.2016, 17:07
FDP-Spitzenkandidat Frank Sitta aus Halle
FDP-Spitzenkandidat Frank Sitta aus Halle Alexander Baumbach

Magdeburg - Der Mann tanzt wie ein Berserker über die Bühne: Vor, zurück, nach links, nach rechts. Mal wild mit den Händen gestikulierend, mal beschwörend nach oben haltend. Hin und wieder greift er zum Gürtel, um zu testen, ob noch alles sitzt. Es passiert wohl unbewusst. Der Mann mit den stechend braunen Augen redet rasch, akzentuiert, pointiert. Wie eine Mischung aus Lama-Decken-Verkäufer und amerikanischem Fernsehprediger. Dass passt auch auf Frank Sitta, dem Vortänzer auf der Bühne: Er hat etwas zu verkaufen. Und er hat eine Mission.

Es ist Neujahrsempfang bei der FDP in Sachsen-Anhalt. Wer nach fünf Jahren außerparlamentarischer Opposition erwartet hat, dass man dafür in den kleinen Saal eines Dorfgemeinschaftshauses ausweichen müsste, sieht sich getäuscht. Die Liberalen im Land machen auf selbstbewusst. Sie haben in Magdeburg eine angesagte Partylocation gebucht. Der Laden ist rappelvoll, es gibt elegante Weißweine und Fingerfood. Sage und schreibe 400 Gäste sind erschienen, davon 160 ohne Parteibuch.

Frank Sitta, seit knapp einem Jahr Landeparteichef, strahlt. Aber das macht er eigentlich immer. Auch wenn eine aktuelle Umfrage die Liberalen nur bei vier Prozent sieht und der Wiedereinzug in den Landtag noch mehr als fraglich ist: Sitta wirbelt weiter über die Bühne und bekommt Szenenapplaus. Der 37-jährige Hallenser als neuer Heiland – kann das gutgehen?

Wie es Sittas Vorgänger Veit Volpert bei der Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt erging, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Die FDP im Bund und mit ihr die in Sachsen-Anhalt stecken seit Jahren in einer schweren Krise: Partei der Besserverdienenden, 18-Prozent-Überheblichkeit und das Gefasel von „spätrömischer Dekadenz“ haben die Partei peu á peu in eine Abwärtsspirale gezogen. Der vielzitierte Bundestrend war es 2011, der den sachsen-anhaltischen Spitzenkandidat Veit Wolpert untergehen ließ. Mit 3,7 Prozent flogen die Liberalen 2011 aus dem sachsen-anhaltischen Landtag. Die Partei lag am Boden, inhaltlich leer und finanziell ausgeblutet.

Als ob das nicht genug gewesen wäre: Wolpert und die wohl bundesweit bekannteste liberale Sirene aus Sachsen-Anhalt, Cornelia Pieper, zofften sich monatelang öffentlich. Pieper hatte zugunsten Wolperts nach dem Wahldebakel auf den Parteivorsitz verzichtet. Doch Wolpert war ein Wahlverlierer, den Makel wurde er nicht los. Das bekam er zu spüren, als er im Dezember 2012 versuchte, Pieper vom Listenplatz 1 für die kommenden Bundestagswahl zu verdrängen. Pieper bezichtigte Wolpert des Wortbruchs. Und obwohl die FDP in Sachsen-Anhalt oft mit ihrer krawalligen Spitzenfrau haderte und ihr miese Wahlergebnisse bescherte - das war auch für die Liberalen im Land zu viel. Wolpert fiel durch und trat wenig später als Landesvorsitzender zurück. Pieper übernahm wieder - für gut ein Jahr.

Über die FDP in Sachsen-Anhalt lohnte es nach 2011 daher nur noch zu reden, wenn die nächste Personalie anstand. Im Frühjahr 2015 war es soweit: Sitta kam. Über Nacht, aus dem Nichts. Mehr Verlegenheitslösung denn absichtsvolle Platzierung seines halleschen Stadtverbandes. Ein Politikwissenschaftler ohne politische Erfahrung. Einer, der einen Technoclub führte und daraus sein wirtschaftliches Standbein schuf - eine Kongressagentur. Einer, der keine Krawatten mag und öfter mal vergisst, den Dreitagebart zu stutzen. Der bei einem Termin in einem Kindergarten in Wörlitz freimütig erklärt, er wäre lieber Lobbyist geworden, statt nun in Richtung Berufspolitik zu stiefeln. Sitta gibt in Diskussionsrunden mit anderen Spitzenkandidaten auch mal zu, von diesem oder jenem Thema keine Ahnung zu haben. Er bespricht sich nicht dreimal mit Beratern, bevor er einen Satz in Blöcke diktiert und Kameras sagt. Sitta ist anders. Und war daher vermutlich genau das, was diese Partei im tiefsten Tal am meisten brauchte.

Wörlitz-Grießen, einer dieser Schwarzbrot-Termine, die es in diesen Wochen zuhauf gibt. Der örtliche Direktkandidat ist gekommen und die Generalsekretärin. Wo andere Spitzenkandidaten mit Fahrer und Limousine vorrollen, steuert Sitta selbst den Wagen einer Car-Sharing-Firma vor die Freiwillige Feuerwehr. Die Wahlkampfhelfer Laura und Benjamin sind schon da und filmen und fotografieren, was das Zeug hält. Sitta ist auf allen Kanälen im Netz präsent, Facebook, Instagram - eine große Fangemeinde schätzt seine Landschaftsbilder - und Twitter macht er selber.

Es ist der Versuch, dem medialen Desinteresse an einer „Partei aus dem Untergrund“, wie es Sitta nennt, mit einer massiven Internetoffensive zu begegnen. Snapchat und Youtube übernehmen die Wahlkampfhelfer Laura und Benjamin. „Die machen das für ein Schulterklopfen, selbstmotiviert und engagiert“, sagt Sitta. Die Partei der Besserverdienenden ist angekommen im Ehrenamt.

Sitta selbst hat einige seiner beruflichen Projekte auf Eis legen müssen, um Zeit für den Wahlkampf zu haben. Mehr schmerzt ihn aber, dass die Parteibasis noch immer nicht wieder auf die Beine gekommen ist: „Es ist schwierig, Direktkandidaten für den Landtag zu finden und noch schwieriger, 100 Unterstützerunterschriften zu organisieren.“ Sitta ist Feuer und Flamme, doch er brennt auf dem dürrem Reisig der Parteibasis. Er gibt den einsichtigen Optimisten: „Ich glaube schon, dass man die Leute wieder begeistern kann. Es geht voran.“ Andererseits seien aber gerade auch die eigenen Leute die größten Kritiker. „Das ist die Mentalität in diesem Land, das macht mir gelegentlich schon zu schaffen“, sagt Sitta.

Die geballte Ladung Mentalität gibt es am Nachmittag dieses nasskalten Wahlkampftages. Vorm Bäcker in Vockerode stehen zwei Mitglieder der Bürgerinitiative, die seit Wochen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im Ort protestiert. Der Herr und die Dame sind nicht das Problem, wohl aber eine Sympathisantin. „Sie wissen schon, dass sie nur gewählt werden, wenn sich hier was ändert“, schnoddert die Dame mit Leinenbeutel. Sitta versucht den Widerspruch in diesem Satz aufzuklären - vergebens.

Wer hier gewählt werden soll, ist schnell klar, Sitta bittet fast flehentlich, sich das genau zu überlegen. Es bringt nichts, die Diskussion artet aus. Und Sitta zeigt, dass er auch anders kann - und hält mit Vehemenz dagegen. Die Frau als Wählerin hat er wohl verloren, das Rückgrat nicht. Draußen, beim Spaziergang Richtung Flüchtlingsheime, atmet er durch. „Wir sind nicht Protest, aber uns kann man auch so wählen. Wir haben wenigstens einen Plan.“ (mz)