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U-Ausschuss nach Amokfahrt von Taleb A. Anschlag in Magdeburg: Polizei-Expertin sieht Staat bei Terrorabwehr in der Verantwortung

Beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt starben sechs Menschen: Wer war damals für die entscheidenden Sicherheitsfragen verantwortlich? Im Untersuchungsausschuss des Landtags zeigen Sachverständige nun Lücken auf.

Von Jan Schumann Aktualisiert: 15.05.2025, 16:40
Eigentlich sollten Betonblocks den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt verhindern. Im Landtag  läuft nun die Aufklärung zu Sicherheitslücken.
Eigentlich sollten Betonblocks den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt verhindern. Im Landtag läuft nun die Aufklärung zu Sicherheitslücken. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Magdeburg/MZ - Im sachsen-anhaltischen Landtag hat die Aufarbeitung von Sicherheitsmängeln im Vorfeld des Anschlags von Magdeburg begonnen. Im Untersuchungsausschuss befragten Abgeordnete am Donnerstag erstmals hochrangige Experten zu möglichen Sicherheitslücken, die die Amokfahrt des saudischen Staatsbürgers Taleb A. begünstigt haben könnten.

Der Täter hatte im Dezember sechs Weihnachtsmarktgäste getötet und 300 verletzt. Im Kern wollen die Politiker die Frage klären: Lag die Verantwortung für die Sicherheit bei den Veranstaltern des städtischen Weihnachtsmarkts? Oder bei der Polizei?

Als Sachverständige bezog die Hochschulprofessorin Kristin Pfeffer Stellung, sie lehrt an der Polizeiakademie in Hamburg. Für die Abwehr terroristischer Taten sei die Polizei zuständig, bekräftigte sie am Donnerstag im Ausschuss. Das gelte auch für „Überfahrttaten“ wie die Amokfahrt in Magdeburg – einen ähnlichen Auto-Anschlag hatte es bereits 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz gegeben. „Die Frage, ob ein Veranstalter polizeirechtlich verantwortlich ist, würde ich verneinen“, bekräftigte die Professorin.

Expertin sieht Polizei in der Terrorabwehr in Verantwortung

Denn nur die Polizei habe konkrete Antiterror-Pläne und „Zwangswaffen“, um gegen Täter vorzugehen. Eine solche Ausbildung hätten Mitarbeiter in Kommunen nicht. „Das scheint mir Ordnungskräfte zu überfordern, so werden sie nicht ausgebildet.“

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Pfeffer räumte aber ein, dass zum Schutz von Großveranstaltungen ein Zusammenspiel nötig sei – neben der Polizei seien auch Kommunalbehörden und andere Stellen gefragt. Pfeffer deutete gegenüber den Abgeordneten an, wie schwierig die Absicherung solcher Großveranstaltungen sei. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man jeden Markt terrorsicher machen kann.“ In anderen Staaten sei dafür das Militär zuständig.

Mittlerweile sind Sicherheitslücken auf dem Weihnachtsmarkt bekannt

Schon in den ersten Tagen nach der Todesfahrt waren Sicherheitslücken auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg bekannt geworden. Eigentlich sollte das Areal mit tonnenschweren Betonsperren geschützt werden – allerdings konnte der 50-jährige Taleb A. für seine Tat eine Feuerwehrzufahrt nutzen, die entgegen dem schriftlich festgelegten Sicherheitskonzept der Stadt etwa sechs Meter breit war. Eigentlich waren nur vier Meter vorgesehen. Anders als im schriftlichen Konzept beschrieben hingen auch keine Stahlketten zwischen den Betonsperren.

Chronik: Die Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt und was danach geschah

Mehr noch: Nach MZ-Recherchen standen im fraglichen Straßenzug nur elf statt 13 vorgesehenen Betonblocks. Zudem war ein eigens abgestelltes Polizeiauto nicht am vereinbarten Platz an der Zufahrt positioniert, sondern in einer nahen Taxibucht. „Warum dies so war, ist Gegenstand der weiteren Aufarbeitung“, hatte das für die Polizei zuständige Landesinnenministerium nach der Tat erklärt.

Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen Strafanzeigen

Diese Aufarbeitungen laufen noch. Parallel gibt es laufende Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, weil Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Stadt, der Polizei und Organisatoren der Magdeburger Weihnachtsmarkt-GmbH vorliegen.

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Der U-Ausschuss am Donnerstag zeigte aber: Wenn es ums Detail geht, sind sich selbst Experten nicht restlos über Verantwortlichkeiten einig. Wer genau ist etwa dafür zuständig, dass Betonsperren wie in Magdeburg an der richtigen Stelle und in ausreichender Zahl aufgebaut werden? Ist es die Polizei oder die Stadt? „Maßnahmen des Zufahrtsschutzes werden durch Veranstaltende verlangt“, erklärte der Sachverständige Thomas Sakschewski mit Blick auf die geltende Rechtslage in Deutschland im Ausschuss. Der Wissenschaftler ist Professor für Veranstaltungsmanagement an der Berliner Hochschule für Technik – seiner Einschätzung nach stehen also auch die Weihnachtsmarkt-Organisatoren stark in der Pflicht, vor Ort für Sicherheit zu sorgen.

Sicherheitsexperte äußert sich über zu breite Feuerwehrzufahrt

Auf der Nachfrage der CDU-Abgeordneten Kerstin Godenrath erklärte Sakschewski zudem: Dass eine Zufahrt zu einem eigentlich geschützten Weihnachtsmarkt fünf Meter oder größer sein dürfe, könne er „nirgendwo ableiten“. Klartext: Solch eine breite Zufahrt sei für ihn als Sicherheitsexperten ungewöhnlich. Er kritisierte aber auch Gesetzeslücken bei der Vor-Ort-Abnahme von Sicherheitskonzepten durch Polizei- und Kommunalvertreter. „Dafür gibt es keine Regelung oder Gesetz“, legte er dar. „Es wird in der Regel eine Plausibilitätsprüfung gemacht.“