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Notstand im Klassenzimmer Lehrermangel: Es herrscht Notstand im Klassenzimmer

Von Walter Zöller 16.05.2017, 08:00
Sachkunde-Unterricht an der Grundschule Alsleben
Sachkunde-Unterricht an der Grundschule Alsleben Engelbert Pülicher

Halle (Saale) - Die Martin-Luther-Universität Halle (MLU) wird mit Beginn des Wintersemesters die Ausbildung von Lehrern zurückfahren. Statt 700 - wie im laufenden Semester - werden dann nur 550 Erstsemester aufgenommen. Das entspricht vor Jahren geschlossenen Vereinbarungen mit dem Land.

Dem Bildungs- und dem Wissenschaftsministerium ist es bisher nicht gelungen, verbindlich zu sagen, wie viele Pädagogen in den kommenden zehn bis 15 Jahren gebraucht werden. Was bedeutet das für Lehrermangel und Unterrichtsausfall? Die MZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie ist die Lage an den Schulen?

Auf jeden Fall angespannt. Es häufen sich Berichte von Unterrichtsausfall. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) können schon jetzt zwei Prozent des Unterrichts im Land nicht abgedeckt werden. Krankheitsfälle oder Fortbildungen bei Lehrern kämen erschwerend dazu. Nach Zahlen des Bildungsministeriums gibt es aktuell über alle Schulformen hinweg eine Unterrichtsabdeckung von 99,5 Prozent. Im Koalitionsvertrag sind allerdings 103 Prozent als Ziel formuliert, um beispielsweise Krankheitsfälle kompensieren zu können. Viele Lehrer gehen in den Ruhestand. Nach Angaben der GEW könnten es jährlich bis zu 1.000 sein. Zum 1. Januar 2017 gab es 14.023 Vollzeit-Lehrerstellen, Ende des Jahres sollen es 14.237 sein.

Könnten mehr Lehramts-Studenten in Halle die aktuellen Probleme lösen?

Die Regelstudienzeit dauert vier Jahre, die meisten Studierenden brauchen ein bis zwei Semester länger. Dann folgt die anderthalbjährige Referendarzeit. Die Lehramtsstudenten, die jetzt anfangen, können also frühestens 2023/24 eingestellt werden.

Warum also dann die ganze Aufregung?

Jetzt müssen die Weichen mindestens für die nächsten zehn Jahre gestellt werden. Mit den festgeschriebenen 550 neuen Studierenden pro Semester wird man den Bedarf nicht decken. Es macht aber keinen Sinn, einfach „nach Gefühl“ mehr Pädagogen „auf Halde“ auszubilden. Die Planung muss zwingend berücksichtigen, wie viele Referendar- und Lehrerstellen es zukünftig gibt, betont das Wissenschaftsministerium.

Warum haben die zuständigen Ministerien nicht längst den Bedarf ermittelt?

Kritiker sagen, die Probleme seien schon vor Jahren absehbar gewesen. Man habe sich schlichtweg zu wenig darum gekümmert. Fachleute erwarten, dass der große Bedarf an neuen Lehrern in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2030 anhalten könnte - und es danach zu einem Bruch kommt.

Was bedeutet das für die Lehramtsausbildung an der Uni in Halle?

Auch das Wissenschaftsministerium geht davon aus, dass mehr Lehrer ausgebildet werden müssen. Offen ist wie viele und wie lange. Und muss die Universität ihre Strukturen langfristig erweitern - also mehr unbefristete Stellen für Dozenten schaffen? Oder reicht es, dass die vorhandenen Strukturen nur zeitweise gestärkt werden - durch befristete Neueinstellungen?

Wie ist die Position der Landesregierung?

Das Wissenschaftsministerium rechnet bislang damit, dass es „auf die Absicherung eines nur zeitweilig bestehenden Mehrbedarfs hinausläuft“. Und für diesen Fall müsse die Universität die zusätzlichen Kosten in Millionenhöhe tragen. Geld sei, so das Ministerium, vorhanden, schließlich habe die Uni aus den Hochschulpaktmitteln Rücklagen von rund 20 Millionen Euro gebildet.

Teilt die MLU diese Sicht der Dinge?

Nein. Für Thomas Bremer, Direktor des Zentrums für Lehrerausbildung, handelt es sich nicht um eine zeitlich begrenzte Herausforderungen. „Für die Lösung eines dauerhaft andauernden Problems braucht man auch entsprechendes Personal.“ Bremer spielt damit auf die Tatsache an, dass für einen beträchtlichen Teil der Lehramtsausbildung Dozenten mit Zeitverträgen zuständig sind. Das werde, so heißt es an der Uni, nicht mehr funktionieren, sollte die Lehramtsausbildung über längere Zeit deutlich hochgefahren werden. Die Schlussfolgerung: Ohne mehr fest angestellte Dozenten wird es nicht gehen.

Wann steht fest, wie viele zusätzliche Lehrer notwendig sind?

Die Landesregierung hat im Dezember 2016 eine Expertenkommission eingerichtet, Ende Juni sollen erste Ergebnisse vorliegen. Für das Wintersemester ist es dann aber schon zu spät.

Können Eltern hoffen, dass die Unterrichtsversorgung kurzfristig verbessert wird?

Das ist schwierig. Das Bildungsministerium könnte die Zahl der Lehrerstellen stark erhöhen. Das kostet viel Geld - und es ist fraglich, ob sich kurzfristig genügend Interessenten vor allem aus anderen Bundesländern finden. Möglich wäre, die Arbeitszeit der Lehrer um wöchentlich eine Stunde zu erhöhen. Das entspräche zwar einigen hundert zusätzlichen Stellen, ist aber politisch nur schwer oder gar nicht durchsetzbar. Das gilt auch für Überlegungen, Schulen zusammenzulegen und so beim Personal zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.

(mz)