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Gegen Verschwendung Lebensmittelverschwendung: Bäckerei Möhring aus Barleben verkauft alte Brote und Kuchen per Internet

Von Steffen Höhne 16.12.2018, 07:21
Bäcker Marcus Ostendorf zeigt Waren, die am Ende des Tages übrig sind und noch per App verkauft werden.
Bäcker Marcus Ostendorf zeigt Waren, die am Ende des Tages übrig sind und noch per App verkauft werden. Höhne

Barleben - Die Regale sind fast leer: Es ist kurz vor 18 Uhr, die Bäckerei Möhring schließt gleich. Marcus Ostendorf packt noch zwei Pakete mit Mischbrot, Brötchen und Apfelkuchen zusammen. „Die werden von Kunden gleich noch abgeholt“, sagt der 28-jährige Bäckermeister. „Dann sind wir für heute ausverkauft.“

Früher landete abends nicht selten eine ganze Kiste mit frischen Backwaren in der Biotonne. Doch die Zeiten sind vorbei. Eine simple Smartphone-App hat die Lebensmittel-Verschwendung in dem kleinen Familienbetrieb beendet.

Bäckerei Möhring aus Barleben ist Vorreiter in Sachsen-Anhalt

Die Bäckerei aus Barleben vor den Toren Magdeburgs besteht seit 1843 und wird in sechster Generation von Kerstin Ostendorf (54) geführt. Ihr Sohn Marcus will den Betrieb mit 13 Mitarbeitern weiterführen. Der Verkaufsladen ist 15 Quadratmeter klein, eine Tür weiter stehen ein moderner Ofen und Edelstahltische, auf denen Teig geknetet wird.

Um 2 Uhr nachts beginnt der Arbeitstag der Ostendorfs, die nicht nur das klassische Backwaren-Sortiment von Brot, Brötchen und Blechkuchen anbieten. Die Bäckerei ist bekannt für ihre Brotspezialitäten. Aktuell werden Rosmarin- und Spinatbrote angeboten.

Geärgert hat sich die Bäckerin stets darüber, dass nach Ladenschluss Backwaren auf dem Müll landeten. „Wir haben versucht, ältere Produkte verbilligt anzubieten, doch das funktionierte nicht“, erzählt sie. Die Kunden wollten nur frische Waren. Dann hatte ihr Sohn die Idee mit der Smartphone-App der dänischen Startup-Firma „Too good to go“ (zu deutsch: „Zu schade zum Wegwerfen“) aus Kopenhagen. Es handelt sich um eine Art Vermittlungsbörse im Internet, um Essen zu retten.

Bäckerei Möhring aus Barleben verkauft alte Backwaren per Internet

Als die Bäckermeisterin ihrer Steuerberaterin von dem Vorhaben erzählte, war die zunächst skeptisch und meinte: „Backwaren über das Handy zu verkaufen, funktioniert vielleicht in Berlin - aber in der Börde?“ Auch Ostendorf war sich nicht sicher, ob das klappt. Doch die Investition beschränkte sich auf ein Smartphone für 100 Euro.

In Deutschland gehen laut einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF pro Jahr zwischen 16 und 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel verloren. Dafür werden umgerechnet rund 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche für die Mülltonne bewirtschaftet. Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt werden insgesamt rund 1,2 Millionen Hektar Ackerfläche bewirtschaftet. Allein die Privathaushalte kommen auf rund sieben Millionen Tonnen. Das sind pro Kopf etwa 85 Kilogramm pro Jahr.

Der WWF hat die 16 Bundesländer nach ihrer Verschwendungssucht und entsprechender Gegenmaßnahmen untersucht. Sachsen-Anhalt gehört laut Studie zu den „Nachzüglern“. Die fünf Pioniere sind: Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Sie haben die Vermeidung von Lebensmittelabfällen konkret im Abfallwirtschaftsplan verankert. So erhebt Bayern die Lebensmittelverluste genau. Weitere Handlungsfelder sind unter anderem Gesetze zur Müllvermeidung, Vernetzung der Akteure, Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit.

Das Prinzip: Über die App „Too good to go“ kann der Kunde beispielsweise am Donnerstagabend eine Backwarentüte voranmelden. Preis: 3,50 Euro. Bei der Abholung am kommenden Tag zwischen 17.45 und 18 Uhr in der Bäckerei weiß er nicht, was drin ist. „Wir füllen die Tüte mit Brot, Brötchen und Kuchen, die übrig sind“, erklärt Marcus Ostendorf. Der Kunde kaufe damit „eine Art Wundertüte“. Deren Warenpreis liege jedoch zwischen zwölf und 17 Euro.

Als die Bäckerei mit dem App-Verkauf angefangen hat, warb sie mit Handzetteln in normalen Brötchentüten dafür. „Wir waren von der Resonanz selbst überrascht“, sagt der Bäcker. Angemeldet hätten sich nicht nur junge Menschen, sondern auch viele Rentner. 1262 Tüten habe die Bäckerei seit Anfang 2017 so schon verkauft.

Nur wenige Läden machen bei der Anti-Verschwendungs-App mit

Damit sind die Ostendorfs in Sachsen-Anhalt Vorreiter. Nach Angaben von „Too good to go“ haben sich hierzulande bisher erst 26 Restaurants, Hotels oder Bäckereien für das Konzept registriert. Hauptsächlich befinden sich diese in Halle und Magdeburg. Vertreten sind aber auch Geschäfte in Köthen, Wittenberg, Leuna, Bitterfeld und Dessau. „Es konnten bereits 6000 Portionen Essen gerettet werden“, sagt Firmensprecherin Franziska Lienert.

Zum Vergleich: Allein in Leipzig gibt es mehr als 90 Betriebe, die beteiligt sind. In Deutschland nutzen die App den Angaben zufolge inzwischen 2400 Partnerläden - vorwiegend sind es Gaststätten - und eine Million Nutzer haben sich angemeldet.

Bäckerei Möhring aus Barleben - App ändert nichts an den Umsätzen

Bäcker Ostendorf betont, dass es sich bei der App nicht um einen zusätzlichen Absatzkanal handelt: „Unsere Umsätze haben sich dadurch nicht verändert.“ Dazu sei die überproduzierte Menge zu gering. An einigen Tagen seien es drei Tüten und an anderen sechs. Sollten an einem Tag mehr oder weniger Backwaren verfügbar sein, kann die Anzahl der Tüten per App entsprechend angepasst werden.

Finanziell lukrativ dürfte das Modell für die Start-up-Firma sein. Pro verkaufter Portion bekommt „Too good to go“ 1,09 Euro. Bei Durchschnittspreisen von drei bis 3,50 Euro ist das immerhin ein Drittel der Einnahmen.

Bei Höhle der Löwen gescheitert - kein Geld von TV-Investoren

Die Gründer hatten sich 2017 mit ihrem Geschäftsmodell auch bei der TV-Investoren-Show „Die Höhle der Löwen“ beworben und wollten eine Million Euro Kapital. Doch ein Deal kam nicht zustande. Geschadet hat es dem jungen Unternehmen nicht. Es bietet die App bereits in neun europäischen Ländern an und hat sechs Millionen Nutzer - Tendenz stark steigend.

Indirekt profitiert auch die kleine Bäckerei Möhring über die Müllvermeidung hinaus. „Für uns ist die App auch ein wenig ein Marketing-Instrument geworden“, sagt Bäcker Ostendorf. „Da die Kunden keinen Einfluss auf die Wahl der Backwaren haben, probieren sie neue Produkte.“ Nicht wenige würden Tage später in die Bäckerei kommen und nachfragen, um welches „leckeres dunkles Baguette“ es sich gehandelt habe.

Die Bäckerei sammelt auch Erfahrungen mit neuen Bezahlmodellen. „Es ist doch absehbar, dass bald auch kleine Geschäfte Handybezahlungen anbieten müssen“, ist die Chefin Kerstin Ostendorf überzeugt.

Zudem hat sich die Bäckerei in der Region einen guten Ruf erarbeitet. Sie beliefert auch mehrere Hotels in Magdeburg. Aus Restprodukten der Bier-Herstellung einer lokalen Brauerei werden Chips gebacken. Diese werden dann wieder im Brauerei-Lokal angeboten werden. Der Gedanke der Müllvermeidung und der Rohstoffkreisläufe setzt sich also fort. Marcus Ostendorf sagt: „Jeder ist gegen Lebensmittelverschwendung. Wir haben nun auch Wege gefunden zu handeln.“

(mz)