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Kulturerbe Ländliche Geräusche als Kulturerbe? Das wollen Geflügelzüchter aus Sachsen-Anhalt erreichen

Falknereien sind es, Skat spielen und Bierbrauen auch – all das ist in Deutschland Immaterielles Kulturerbe. In die Liste soll nun auch das Krähen von Hähnen aufgenommen werden. Zumindest wollen das zahlreiche Geflügelzüchter aus Sachsen-Anhalt. Aber welche Vorteile soll das für Hähne und Züchter bringen? Und was bedeutet das für Nachbarn, die sich vom Krähen gestört fühlen?

Von Lena Bellon Aktualisiert: 17.12.2021, 18:50
Wenn der Hahn in der Morgendämmerung kräht, fühlen sich manche Nachbarn gestört. Geflügelzüchter und Selbstversorger wollen jetzt klare Richtlinien und die ländlichen Geräusche schützen, damit die Hühner frei und artgerecht leben können.
Wenn der Hahn in der Morgendämmerung kräht, fühlen sich manche Nachbarn gestört. Geflügelzüchter und Selbstversorger wollen jetzt klare Richtlinien und die ländlichen Geräusche schützen, damit die Hühner frei und artgerecht leben können. Foto: Silvia Stengel

Könnern - Der Hahn kräht, die Schafe blöken und die Glocke einer Kuh klingelt aus der Ferne – was an einen romantischen Film vom Lande erinnert, ist in einigen Dörfern im Land die Realität.

Manche Menschen würden das als wohltuend oder sanftes Wecken beschreiben, für andere sind die Geräusche ein lauter und nerviger Alltagsbegleiter. Doch kann man den Hähnen das Krähen verbieten? Oder kann es demnächst sogar Kulturerbe werden?

Fast 65.000 Menschen haben in Deutschland unterschrieben, dass die „ortsüblichen Emissionen des Landlebens“ als Kulturerbe geschützt werden sollen. Zu diesen Emissionen gehört auch das Krähen von Hähnen, das derzeit nicht nur in Sachsen-Anhalt diskutiert wird.

Immer weniger Selbstversorger

„Die Menschen demonstrieren für Naturschutz, kaufen Bio-Eier und wollen mehr Nachhaltigkeit. Gleichzeitig sollen Hähne in der Früh nicht krähen dürfen, das widerspricht sich“, sagt Dieter Kuhr.

Der 64-Jährige ist Geflügelzüchter und Vorsitzender des Landesverbands der Rasse-Geflügelzüchter Sachsen-Anhalt.

„Als sich in einem Dorf noch jeder selbst versorgt hat, war das Krähen kein Problem“, sagt er. Seit die Supermärkte Produkte wie Eier und Hühnerfleisch zu billigen Preisen anbieten, sei die Zahl der Züchter in Sachsen-Anhalt deutlich gesunken.

Rassenvielfalt stirbt durch Wirtschaftsgeflügel aus

„Die Rassenvielfalt muss aber erhalten bleiben. Sonst gibt es irgendwann nur noch Wirtschaftsgeflügel, das fürs Eierlegen und die Schlachtung gezüchtet wird“, erklärt der Vorsitzende. „Diese Tiere werden in Massen und nicht artgerecht gehalten, sind anfälliger für Krankheiten und müssen deswegen viele Medikamente bekommen.“ Um die diversen Rassen zu erhalten, sei der Schutz durch ein Kulturerbe wichtig.

„Ich erlebe oft, dass Kinder kaum Wissen über Heimatrassen haben. Da fehlt die Aufklärung. Dadurch entsteht dann auch das Unverständnis, wenn Städter in Dörfer ziehen und sich an dem Krähen der Hähne stören“, erklärt der 64-Jährige.

Zuchtrichter Dieter Kuhr (links) und Fritz Drüen bei der Bewertung einer Rassegeflügelschau.
Zuchtrichter Dieter Kuhr (links) und Fritz Drüen bei der Bewertung einer Rassegeflügelschau.
Dieter Kuhr

„Richter beschließen im schlimmsten Fall, dass die Hähne in abgedunkelten Ställen untergebracht werden müssen und erst ab acht Uhr ins Freie dürfen“, weiß Dieter Kuhr.

Richter beschließen keine artgerechte Haltung

Ein Hahn, der in einem Wohngebiet gehalten wird, dürfe erst ab acht Uhr krähen, am Wochenende und an Feiertagen erst ab neun Uhr. „Das ist keine artgerechte Haltung“, sagt der Geflügelzüchter.

Erfolgreiche Petition ins Leben gerufen

Die Französische Nationalversammlung hat im Januar dieses Jahres das „sinnliche Erbe der Landschaft“ und damit die typischen Geräusche und Gerüche der ländlichen Gebiete in einem Gesetzentwurf unter Schutz gestellt. Silvia Stengel aus Hofheim (Hessen) besitzt selbst Hühner, hat sich an Frankreich ein Beispiel genommen und die Petition „Ortsübliche Emission des Landlebens als kulturelles Erbe schützen“ gegründet.

Silvia Stengels Petition soll Krähen der Hähne schützen.
Silvia Stengels Petition soll Krähen der Hähne schützen.
Foto: S.Thomsen

„Mit diesem Schutz würde die Existenz von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben gesichert werden, ebenso die private Nutztierhaltung. Außerdem würden die Gerichte entlastet werden, wenn es eine eindeutige Regelung gäbe“, begründet Stengel ihre Aktion. „Was zunächst eine Idee war, hat Anklang gefunden. Im Januar wird die Petition dann eingereicht.“

Unterschriften auch aus Sachsen-Anhalt

2.680 der insgesamt knapp 66.000 Unterschriften, die das Krähen von Hähnen unterstützen, kommen aus Sachsen-Anhalt. Eine der Unterschriften gehört Reno Nerling. Der Genthiner ist Geflügelzüchter und stand selbst lange vor Gericht, weil seine Nachbarin die Abschaffung seiner krähenden Hähne erklagen wollte.

„In Zitz, wo ich meine Hühner halte, haben schon immer Hühner gelebt. Meine Großeltern waren auf diesem Grundstück schon Geflügelzüchter. Niemand hat sich daran gestört, bis diese eine Nachbarin zugezogen ist“, erzählt er. Nach einem langen Prozess sollten dann Kompromisse gefunden werden. „Ich habe einen Sichtschutz aufgebaut, die Hähne sollen bis acht Uhr morgens im dunklen Stall sein, damit sie nicht krähen. Im Winter, wenn ich nicht züchte, darf ich nur bis zu fünf Hähne halten“, sagt Nerling. Die Stimmung zwischen ihm und der Nachbarin sei aber weiterhin angespannt. Manchmal erwische er sie dabei, wie sie Steine auf die Hühner wirft.

„Niemand sonst aus der Nachbarschaft fühlt sich davon gestört. Im Dorf gibt es eben solche Geräusche. Es fahren ja auch Traktoren durch die Straßen und sind laut, das gehört dazu“, sagt der Züchter.

Kulturerbe würde Schutz bieten

Wenn ländliche Geräusche und Gerüche Kulturerbe werden würden, ständen sie unter Schutz. Für geplagte Nachbarn hieße das, dass die gesetzlichen Richtlinien klarer wären und gegen das Krähen der Hähne nicht mehr geklagt werden könnte. „In Städten gibt es auch Geräusche, im Dorf ist es ja auch nicht immer stumm. Das muss man wissen, bevor man aufs Land zieht“, sagt Dieter Kuhr. Die Aufnahme als Immaterielles Kulturerbe solle auch dazu führen, dass die Zucht und Haltung von Geflügel erhalten und weitergegeben werden kann.