Der Tote von nebenan Der Tote von nebenan: Immer mehr Sachsen-Anhalter sterben unbemerkt in ihren Wohnungen
Halle/Sangerhausen - Ein Mensch stirbt und lange Zeit bekommt es keiner mit. Immer wieder - und vielerorts sogar zunehmend - sterben Menschen, deren Tod tage- oder wochenlang unbemerkt bleibt. Das geht aus einer Umfrage der MZ in mehreren Städten und Kreisen hervor.
In Quedlinburg (Harz) wurden 2018 elf solche Fälle gezählt. In Sangerhausen (Mansfeld-Südharz) blieben sogar 34 tote Menschen lange Zeit unentdeckt. „Die Tendenz ist leider steigend und zwar in erheblichem Maße“, sagt Udo Michael, Fachbereichsleiter bei der Stadtverwaltung Sangerhausen (Mansfeld-Südharz). Experten sehen eine wachsende Vereinsamung als Grund für diese Entwicklung. „Es fehlen engmaschige soziale Netze“, sagt Angelika Zander, Vorsitzende der Landesseniorenvertretung.
Vor allem Senioren sterben oft unbemerkt
Obwohl auch jüngere Menschen sterben, ohne dass jemand das mitbekommt, handelt es sich beim Großteil der Toten um Senioren. So wie in einem Fall aus dem Saalekreis, der 2018 für Aufsehen sorgte. In Weißenschirmbach starb ein pensionierter Polizeibeamter. Da er allein lebte und wenige soziale Kontakte hatte, blieb sein Tod zunächst unentdeckt.
Erst als die Mitarbeiter des lokalen Einkaufsmarktes bemerkten, dass er lange kein Katzenfutter im Laden gekauft hatte, informierten sie den Ortsbürgermeister. Der veranlasste eine Notöffnung der Wohnung durch die Feuerwehr. Tage nach seinem Tod wurde dann die Leiche des Manns gefunden.
Das soziale Umfeld fehlt
Für Seniorenvertreterin Angelika Zander sind solche Beispiele typisch. „Menschen, die unbemerkt versterben, fehlt ein nahes Umfeld.“ Oft sei der Partner bereits tot und die Familie wohne weit weg. Mitunter ist die Beziehung zu Kindern oder anderen Angehörigen auch zerrüttet. Und einen festen Freundeskreis gebe es auch nicht mehr.
„Solche Personen leben dann in einer Vereinsamung, die sie auch zusätzlich krank macht“, sagt Zander. Sie habe Fälle erlebt, in denen Betroffene nicht einmal mehr zum Einkaufen nach draußen gegangen sind. „Die sind dann geradezu verhungert.“
Dabei gibt es laut Zander durchaus ein großes Angebot für Senioren, mit dem sie am Gesellschaftsleben teilnehmen können und in Kontakt mit anderen Menschen bleiben. Oft seien solche Angebote wie Seniorennachmittage oder Nachbarschaftstreffs auch mit keinerlei oder nur geringen Kosten verbunden. „Denn Armut ist ein wichtiger Grund dafür, dass Ältere nicht mehr am sozialen Leben teilhaben“, sagt Zander.
Anonymes Wohnen - Nachbarn kennen sich nicht mehr
Vor allem aber mangele es an den täglichen Begegnungen und Bindungen in der unmittelbaren Lebenswelt. Es gebe Wohnhäuser, in denen 40 Parteien wohnen und keiner kenne den anderen. „Früher gab es da mehr Miteinander und nicht so viel Vereinzelung.“ Sie wolle daher bei den großen Wohnungsunternehmen dafür werben, wieder mehr Begegnungsräume innerhalb der Häuser zu schaffen.
Mehr Kontakte zu ermöglichen und so einer Vereinsamung entgegenzuwirken, sieht auch Angelika Heiden von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die mehrere Pflegeheime im Land betreibt, als Schlüssel. „Wir merken immer wieder, dass der größte Wunsch der Senioren ist, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben.“
Um sie dort nicht alleinzulassen, könnten auch bei nur geringer Pflegebedürftigkeit regelmäßige Besuche vereinbart werden. „Schon der Hausarzt kann verschreiben, dass jemand täglich beim Waschen oder der Einnahme von Medikamenten hilft.“ So wäre zumindest jemand da, der bemerkt, dass jemand die Tür nicht öffnet, obwohl er eigentlich zu Hause sein müsste. (mz)