Der Sprung ins kalte Wasser Der Sprung ins kalte Wasser: Ex-Schwimmstar Antje Buschschulte wechselt in die Politik

Magdeburg - Die Bewerberin ist jung und schlagfertig. Als promovierte Biologin ist sie glänzend ausgebildet, und die Magdeburger Regierungszentrale kennt sie durch langjährige Berufserfahrung von innen. Normalerweise sind das gute Voraussetzungen für jeden, der sich in einer Partei um die Nominierung für die Landtagswahl bewirbt. Bei dieser Kandidatin aber kommt noch etwas hinzu: Sie ist ein früherer Sportstar. Antje Buschschulte, Weltmeisterin a.D., eine Handvoll Olympiamedaillen im Schrank. Ob das aber ein Vor- oder Nachteil ist – das muss sich erst noch zeigen.
An diesem Freitag wird die frühere Spitzenathletin beim Landesparteitag der Grünen ans Mikrofon treten und um Unterstützung bitten. Vor zwölf Jahren hat sie ihre Sportkarriere beendet, jetzt möchte sie auf die Kandidatenliste der Ökopartei. Wer die Magdeburgerin in diesen Tagen trifft, erlebt eine hellwache Frau, die lebhaft redet und auch selbstironisch auf ihr Leben zurückblickt. Jene Jahre, in denen sie in gechlortem Wasser Bahn um Bahn zurücklegte. „Kacheln zählen“, wie sie selbst sagt.
Als Grundschülerin in ihrer Geburtsstadt Berlin steigt Buschschulte erstmals in ein Schwimmbecken. 1995 bekommt sie im Hamburger Olympiastützpunkt erstmals professionelles Training. Auf dem Gelände wohnt sie auch, in einer früheren Umkleidekabine. Ein Jahr später, da ist sie 17, wechselt sie an das Magdeburger Sportgymnasium. Ihre Eltern bleiben in Hamburg. Schule, Training, Wettkampf, Internat – das ist ihr Alltag. „Elternzoff während der Pubertät ist bei mir ausgefallen“, sagt sie, „ich war da schon von zuhause weg.“
Landtagswahl: Antje Buschschulte beginnt neues Kapitel
Für den SC Magdeburg schwimmt sie in den Folgejahren ganz vorn mit. Der Weltmeistertitel über 100 Meter Rücken im Jahr 2003 wird zum Höhepunkt ihrer Karriere. „Da wusste ich: Das ist er, dieser eine Moment im Leben“, sagt Buschschulte heute.
Jetzt soll ein neues Kapitel beginnen. 112 grüne Delegierte wählen ihre Kandidaten für die Landtagswahl im nächsten Jahr. Buschschulte tritt für Platz 9 an, eine Position, die für den Einzug in den Landtag reichen könnte. 2016 hatten sich die Grünen mit 5,2 Prozent und fünf Mandaten nur knapp ins Parlament gerettet. Bei Umfragen in diesem Jahr erzielte die Partei allerdings Werte zwischen acht und elf Prozent. Bliebe es so, könnte sich die Zahl der Landtagssitze verdoppeln.
Als Kandidatin würde die 41-Jährige den Grünen zusätzliche Aufmerksamkeit bescheren. „Ich glaube, dass ich schnell ins Gespräch komme mit Leuten, die nicht zu unserer Kernwählerschaft gehören“, sagt sie. „Auf der Straße werde ich erkannt, vor allem von älteren Leuten.“ Parteitagsdelegierte entscheiden jedoch nach vielen Kriterien. Sachkenntnis bringt Punkte, Leidenschaft und rhetorisches Talent, Regionalproporz. Auch alte Rechnungen werden bei den Abstimmungen beglichen. Die Stimmung auf einem Parteitag ist schwer vorherzusehen. Für Buschschulte wird es ein Sprung ins kalte Wasser.
Die Neu-Grüne Buschschulte kommt aus CDU-geführter Staatskanzlei
Mit jahrelangem Engagement für die Grünen kann sie nicht punkten. Zu Beginn dieses Jahres erst ist Buschschulte der Partei beigetreten. Der Stallgeruch fehlt ihr, man merkt das an der Sprache. Sie nennt sich selbst „Sportler“ oder „Referent“ – bei den feministisch geprägten Grünen fällt so etwas auf.
Und dann ist da noch ihr jetziger Job: Buschschulte arbeitet in der Magdeburger Staatskanzlei, der CDU-geführten Regierungszentrale. Sie ist dort schon fast so lange wie der Hausherr Reiner Haseloff. 2011 hatte Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU) sie als Büroleiterin engagiert. Damals erregte das Aufsehen. Eine Oppositionspolitikerin rümpfte die Nase: Auch bei Stellungen mit einem besonderen Vertrauensverhältnis müsse die Qualifikation stimmen, rügte sie, „und hier darf bei der Personalie Buschschulte Erstaunen erlaubt sein“. Der Name der Kritikerin: Claudia Dalbert, damals Fraktionschefin der Grünen und jetzt Ministerin.
Aktuell ist Buschschulte in der Staatskanzlei als Digitalreferentin beschäftigt. Dennoch ist es ein Spagat. Hält sie Haseloff für einen guten Ministerpräsidenten? Buschschulte denkt lange nach. „Wie soll ich es sagen?“, antwortet sie irgendwann. „Ich würde mir wünschen, dass einige Dinge im Land anders laufen.“ Der Breitbandausbau und die Digitalisierung müsse eine höhere Priorität bekommen. „Wenn man von der Wirtschaft Modernisierung erwartet, dann muss man das auch vorleben.“ Bei schnellem Internet ist Sachsen-Anhalt bundesweit das Schlusslicht.
Ex-Schwimmerin Antje Buschschulte sammelte Medaillen bei vier Olympischen Spielen
Die Digitalisierung ist ihr Herzensthema. Wenn Antje Buschschulte erzählt, was sie als Mutter in der andauernden Corona-Krise erlebt hat, schlägt sie sich vor Ärger mit der Faust aufs Knie. Ihre Tochter im Grundschulalter habe wochenlang Zettel abgearbeitet, erzählt sie, für eine Videokonferenz mit Lehrern habe es an allem gefehlt. „Da hätten wir uns als Land doch an die Spitze der Bewegung setzen müssen. Da hätten wir so modern sein müssen, wie das Land in der Bauhaus-Zeit einmal war.“
Der erhoffte Wechsel in die Politik wäre nicht das erste radikale Wendemanöver in Buschschultes Leben. Zwischen 1996 und 2008 hatte sie an vier Olympischen Spielen teilgenommen, 54 Medaillen sammelte sie bei internationalen Meisterschaften. „Ein Leben zwischen Chlorwasser und rotem Teppich“, wie sie sagt. Bei den Spielen in Peking verabschiedet sie sich von dieser Welt. „Im Ausschwimmbecken habe ich ein bisschen geweint, aber dann meinen Frieden gemacht.“
Buschschulte beginnt in Halle ein Biologiestudium, in Magdeburg promoviert sie. Als sie Mutter wird, merkt sie, dass eine akademische Karriere mit einer Familie kaum kompatibel ist. Durch eine Bewerbung im Wirtschaftsministerium wird Staatskanzleichef Robra auf sie aufmerksam. „Es gehört auch Mut dazu, jemanden zur Büroleiterin zu machen, die bekannter ist als man selbst“, sagt Robra später. Die Büroleiterin wiederum lobt Robra öffentlich als „sehr guten Chef“.
Kein geradliniger Lebensweg: Buschschulte kennt Reibereien und Niederlagen
Welche Chancen hat sie bei den Grünen? Buschschulte hat mit vielen in der Partei gesprochen. Sie habe ein gutes Gefühl, sagt sie. Sollte es nicht funktionieren: Mit Niederlagen umzugehen dürfte sie gelernt haben.
Mit Medieninteresse auch. Jahrelang berichteten Journalisten nicht nur über Medaillen und Titel, sondern auch über das nicht störungsfreie Verhältnis zu einer anderen großen Schwimmerin, Franziska van Almsick. Hinzu kamen Reibereien zwischen Sportfunktionären aus Ost und West, Doping-Vorwürfe und Lagerkämpfe. Buschschulte, im Westteil Berlins geboren, von Hamburg nach Magdeburg gewechselt, wurde von einigen fast als Deserteurin wahrgenommen.
Und dann waren da noch die Berichte über Buschschulte und ihre erste große Liebe, den Leichtathleten Ingo Schultz. Erst strahlte das Paar in die Kameras, dann trennte sich Schultz direkt im Anschluss an eine Goldmedaille von seiner Freundin. Die Boulevardpresse schilderte das Drama in allen Einzelheiten, ihre Wohnung wurde belagert. Eine schreckliche Zeit.
Ihre Sportkarriere komme ihr heute selbst unendlich weit entfernt vor, sagt Buschschulte. Wie ein anderes Leben. Bei der Politik, zitiert sie Max Weber, gehe es um das Bohren harter Bretter. „Wir werden ja sehen, ob ich auf die Schnauze falle.“ (mz)