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Verlustschmerz einer Volkspartei Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt - CDU im Laschet-Sog

Bei der CDU in Sachsen-Anhalt gibt es nur wenige Gewinner und einige Verlierer. Woran hat es gelegen?

Von Hagen Eichler und Kai Gauselmann Aktualisiert: 28.09.2021, 06:10
Wurde in Halle nur Zweiter: Christoph Bernstiel auf seiner Wahlparty
Wurde in Halle nur Zweiter: Christoph Bernstiel auf seiner Wahlparty Foto: Jonas Nayda

Halle/Wittenberg/MZ - - Sepp Müller ragt heraus. Der 2,03-Meter-Hüne kennt das schon - aber noch nicht auf diese Weise. 23,5 Prozent der Wähler im Wahlkreis Wittenberg haben an diesem Abend für die CDU gestimmt. Der CDU-Direktkandidat persönlich kommt aber auf 34,3 Prozent - diesen Aufschlag kann sich Müller persönlich zuschreiben.

Es ist die größte Differenz zwischen Erst- und Zweitstimmen in ganz Ostdeutschland. „Ich bin demütig“, sagt der 32-Jährige noch in der Wahlnacht. „Für mich ist das der Auftrag, weiter fest in der Mitte zu stehen.“

Konnte jubeln: Sepp Müller (CDU) holte in Wittenberg ein außerordentlich gutes Ergebnis
Konnte jubeln: Sepp Müller (CDU) holte in Wittenberg ein außerordentlich gutes Ergebnis
Foto: Thomas Klitzsch

Die Mitte verortet Müller aber anderswo als viele Parteifreunde. Seinen Wahlkampf hat er nicht im SUV bestritten, sondern mit einer 16-tägigen Fahrradtour. Noch am vergangenen Freitag diskutierte er mit den Klimaschützern von Fridays for Future. Und als der Großteil der sachsen-anhaltischen CDU-Abgeordneten im November gegen Bundesbefugnisse zur Pandemiebekämpfung votierte, stimmte Müller mit Ja. Zudem steht Müller für eine strikte Abgrenzung zur AfD. In einem alten Gutshaus feiert er in der Wahlnacht mit Freunden und Unterstützern, dass dieser Politikstil angekommen ist. „Wenn wir Volkspartei bleiben wollen, müssen wir ein Angebot für alle machen“, sagt Müller.

Wenn wir Volkspartei bleiben wollen, müssen wir ein Angebot für alle machen.

Sepp Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter

Ob es an seinen Positionen gelegen hat, dass der 32-Jährige sich gegen den Trend behauptet hat? Er hatte jedenfalls als einer der wenigen CDU-Direktkandidaten gut lachen am Sonntagabend. 2017 hatte die Union noch alle neun Wahlkreise gewonnen - diesmal sind es lediglich drei. Dabei war die politische Karte Sachsen-Anhalts noch zur Landtagswahl im Juni schwarz wie die Nacht - bis auf Zeitz, wo die AfD gewann, hatte die Union alle Wahlkreise geholt.

Gewinner lachen - Verlierer lächeln. So wie Christoph Bernstiel am Wahlabend, etwas tapfer, leicht verkniffen - die klassische gute Miene zum bösen Wahlausgang. Es ist ja auch nicht so, dass der Wahlausgang vollkommen unerwartet war. Die Angst ging ja schon länger um, in den „Laschet-Sog“ des unglücklich agierenden Spitzenkandidaten zu geraten und aus dem Parlament gespült zu werden.

Man kann nicht behaupten, dass Bernstiel sich nicht mit aller Macht dagegen gestemmt hätte. Kurz vor der Wahl bemühte er sich in Halle sogar um rote Leihstimmen: Der - spätere Wahlkreissieger - Karamba Diaby habe sein Bundestagsmandat dank Listenplatz eins der Landes-SPD ja sicher, argumentierte Bernstiel. Da solle man doch lieber ihn wählen: „Wenn wir beide in den Bundestag kommen, ist das besser für die Stadt, weil wir mehr Fördermittel einwerben können.“

Eine pragmatische Logik, die nur bedingt verfing. Der 37-Jährige holte 20,7 Prozent der Erststimmen - 8,1 Prozentpunkte weniger als Diaby. Es ist auch eine Zäsur. Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung wird kein Christdemokrat aus Halle im Bundestag sitzen.

Die Menschen in Ostdeutschland wollten Armin Laschet nicht als Kanzler.

Christoph Bernstiel, Noch-Bundestagsabgeordneter der CDU

Warum es nicht gereicht hat? „Es gibt keinen Zweifel daran: Die Menschen in Ostdeutschland wollten Armin Laschet nicht als Kanzler“, sagt Bernstiel. Einen solchen Trend aus Berlin könne man vor Ort „nur bedingt kompensieren“. Im Unterschied zu Sepp Müller muss man den Innenpolitiker eher zum rechten Flügel der Landes-CDU rechnen. „Die Spitzenkandidaten sind bei der Bundestagswahl entscheidender als das Programm oder Positionen“, meint Bernstiel. Im Wahlkampf sei er auch oft an den Infoständen gefragt worden, warum die CDU ausgerechnet Laschet aufgestellt habe - statt Friedrich Merz oder wenigstens Markus Söder. „Die Leute trauen ihm das Staatsmännische nicht zu“, sagt Bernstiel. Ob sein Bundesparteichef jetzt trotzdem Kanzler werden soll, wenn es doch irgendwie geht? „Nein“, sagt der Hallenser bestimmt, „das ist eine Frage des Anstands.“ Im Gegenteil müsse Parteichef Laschet nun Verantwortung übernehmen: „Wenn man so ein Ergebnis einfährt, bleibt nur eine Konsequenz: Rücktritt.“

Mitarbeiter verlieren ihren Job

Nach einer Wahlniederlage geht es für den Verlierer um ganz praktische Dinge: Hauptberufliche Politiker verlieren dann eben ihren Job, und nicht nur die. Jeder Abgeordnete unterhält ja auch Büros und beschäftigt Mitarbeiter. Im Falle Bernstiels sind das unter anderem vier Festangestellte. „Das Wichtigste ist jetzt, dass mein Team nicht auf der Straße steht.“ Er schaue nun, wie er die Leute in andere Beschäftigung bringe. Und er selbst? „Ich nehme mir jetzt erstmal Zeit, um mich neu aufzustellen“, so Bernstiel. Vor dem Mandat war er als PR-Berater tätig - als Stadtrat ist er noch ehrenamtlicher Politiker.

Mit dem Verlust von sechs Direktmandaten droht die CDU auch an Wirkung vor Ort zu verlieren. „Weniger Wahlkreise bedeuten auch weniger Leute vor Ort“, sagt der CDU-Landesvorsitzende Sven Schulze. Der frisch vereidigte Landeswirtschaftsminister sitzt auch im CDU-Bundesvorstand und formuliert vielleicht deshalb etwas vorsichtiger. „Das Ergebnis ist abhängig von den richtigen Themen und den richtigen Personen. Vor Ort hatten wir die richtigen Leute“, sagt Schulze. Bernstiel zum Beispiel sei extrem fleißig und viel im Wahlkreis gewesen. „Der Trend in Berlin hat uns das beschert“, ist sich Schulze sicher. Dem Ruf nach Konsequenzen für Armin Laschet mag er sich nicht anschließen. Die Union solle durchaus versuchen zu regieren, weder CDU/CSU noch SPD haben mehr als 30 Prozent der Stimmen geholt. „Deshalb gibt es kein eindeutiges Votum, wer die Regierung bilden soll“, meint der 42-Jährige.

Fordert einen Neustart: Detlef Gürth (CDU) aus Aschersleben
Fordert einen Neustart: Detlef Gürth (CDU) aus Aschersleben
Foto: Frank Gehrmann

Einige in der CDU machen die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Niederlage verantwortlich. „Armin Laschet war ihr Wunschkandidat, um Friedrich Merz zu verhindern“, sagt Detlef Gürth, der am längsten dienende Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt. Unter Merkel habe die CDU viele Anhänger aus dem Mitte-Rechts-Lager an die AfD, die Freien Wähler und die Nichtwähler verloren. „Die richtige Schlussfolgerung wäre daher, sich inhaltlich neu aufzustellen“, fordert Gürth. Vor allem in den Bereichen Wirtschaft und innere Sicherheit müsse ein Neustart kommen.

Sorry Herr Laschet, aber machen Sie jetzt den Weg frei und treten Sie gemeinsam mit dem Bundesvorstand zurück.

Guido Heuer, CDU-Landtagsabgeordneter

Einen schnellen Abgang des gescheiterten Unions-Kanzlerkandidaten fordert er nicht. Für die nun anstehenden Verhandlungen mit FDP und Grünen habe Laschet durchaus das Geschick, sagt Gürth. Andere fordern einen schnellen personellen Wechsel.

Die Auswahl Laschets sei eine „Katastrophe“ gewesen, kritisiert der Landtagsabgeordnete Guido Heuer aus der Börde. „Sorry Herr Laschet, aber machen Sie jetzt den Weg frei und treten Sie gemeinsam mit dem Bundesvorstand zurück.“