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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Sprengmeister haben noch für Jahrzehnte Arbeit

Von Annette Schneider-Solis 29.09.2010, 13:59
Dieter Schwarz vom Kampfmittelbeseitigungsdienst inspiziert bei Haldensleben in einem Lager des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Sachsen-Anhalt 54 Zentimeter Sprenggranaten. (FOTO: DAPD)
Dieter Schwarz vom Kampfmittelbeseitigungsdienst inspiziert bei Haldensleben in einem Lager des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Sachsen-Anhalt 54 Zentimeter Sprenggranaten. (FOTO: DAPD) dapd

Haldensleben/dapd. - Vor allem den kleineren Geschossensieht man die Gefahr nicht an. "Es kommt immer wieder zu Unfällen."Seit 20 Jahren ist Schwarz beim Kampfmittelbeseitigungsdienst undhat selbst Hunderte der gefährlichen Hinterlassenschaften desKrieges unschädlich gemacht - wieviele genau, kann er nicht sagen.Am Donnerstag (30. September) feiert der Dienst in Sachsen-Anhaltsein 60-jähriges Bestehen.

Gründung nach dem Zweitem Weltkrieg

Gegründet wurde der Kampfmittelbeseitigungsdienst, weil Bombenund Granaten nach dem Weltkrieg zu Abermillionen in Deutschlandherumlagen. "Anders als im Ersten Weltkrieg wurde im ZweitenWeltkrieg der Krieg in die Städte getragen", sagt Schwarz. "Diealliierten Bomber flogen Angriffe, und zum Kriegsende marschiertendie Truppen ein. Das gab es im Ersten Weltkrieg nicht." Bereitswährend des Krieges machten von der Wehrmacht ausgebildeteBombenentschärfer nicht detonierte Munition unschädlich. NachKriegsende suchte zunächst ein Betrieb unter sowjetischer Aufsichtdie Flächen in den Städten ab. Später wurde daraus derKampfmittelbeseitungsdienst, der heute zur Polizei gehört.

1.000 Tonnen Munition jährlich in Sachsen-Anhalt vernichtet

Nach den Städten wurden umliegende Gemeinden, Äcker und Wiesensystematisch abgesucht. Für die ersten Jahre nach dem Krieg ist dieVernichtung von 700 Bomben und 68.000 Kampfmitteln aller Art belegt.Nach der Wende, als die sowjetischen Truppen die Übungsplätzeverlassen hatten, begann auch dort die Suche nach Blindgängern. DieFundmengen stiegen wieder an. Noch heute werden Jahr für Jahr rund1.000 Tonnen Fundmunition in Sachsen-Anhalt vernichtet. Wenn esmöglich ist, wird der Sprengstoff entfernt, dann das Metall zersägtund eingeschmolzen. Wenn nicht, wird gesprengt.

Die Hauptarbeit der zehn Sprengmeister und ihrer Mitarbeiterbesteht darin, Flächen vorsorglich abzusuchen oder Munition imZwischenlager zu sortieren, zur Sprengung beziehungsweise zumTransport vorzubereiten. Allein im Zwischenlager in derColbitz-Letzlinger Heide werden jährlich 250 Tonnen Munitiongesprengt. "Derzeit haben wir auch wieder eine große Räumstelle inAltengrabow. Auf dem Truppenübungsplatz finden Privatfirmen imSchnitt 30 Tonnen pro Woche." Neben der Colbitz-Letzlinger Heide alsgrößtem Fundort gibt es noch viele kleine Stellen. Vor allem imHarz, wo schwere Kämpfe stattfanden und bislang nicht geräumt wurde.Blindgänger werden vor allem entlang der Elbe nördlich von Magdeburgbis Havelberg entdeckt, aber auch in den stark bombardiertenBallungsgebieten Magdeburg, Merseburg, Leuna und Zeitz.

Doch Kampfmittelfunde können im gesamten Land nichtausgeschlossen werden. "Und wir entdecken noch immer viel Munitionin den Städten", sagt Dieter Schwarz. "Bei der Rekonstruktion vonHäusern tauchen auf Dachböden versteckte Waffen und Munition auf,selbst Handgranaten." Mitunter steht der Sprengmeisterkopfschüttelnd davor. "Mein ausgefallenster Fund war ein Waffenlagerin Zeitz mit Waffen und Munition. Das war ein ganzer LKW voll."Dreihundertmal wurden die Sprengmeister 2009 gerufen. Sie schätzenein, ob eine Bombe gefahrlos abtransportiert werden kann oder ob sievor Ort entschärft werden muss.

Chemische Langzeitzünder am gefährlichsten

"Am gefährlichsten sind chemische Langzeitzünder", verrätSchwarz. "Man weiß nie, ob eine Baggerschaufel die Ampulle mit derSäure zerstört und den Zünder damit aktiviert hat. So ein Zünderkann nach einer Stunde auslösen oder nach 144 Stunden. So wie imJuni in Göttingen." Dort starben drei Mitarbeiter desKampfmittelbeseitigungsdienstes bei einem Einsatz. Dabei hatten siein dem Moment nicht einmal an dem Zünder gearbeitet und wollten denFundort gerade verlassen, als die Bombe detonierte. Für die nächstenJahre haben die Kampfmittelbeseitiger genug Arbeit. "Es gibtErhebungen, dass wir noch mindestens 100 bis 150 Jahre zu tun haben,bis Deutschland munitionsfrei ist", sagt Dieter Schwarz.