Gastronomen vermissen hektischen Arbeitsalltag Wirte im Saalekreis sind auf „Entzug“
Gastronomen vermissen ihren hektischen Arbeitsalltag. Von der Politik erwarten sie Perspektiven, wann sie wieder loslegen dürfen.

Merseburg - „Wenn du als Gastronom ein halbes Jahr lang zu Hause Abendbrot isst, dann läuft etwas verkehrt“, sagt Steffen Warias. Der Wirt aus Braunsbedra befindet sich wie so viele Kollegen seit fast einem halben Jahr in der Zwangspause – oder zumindest in einem sehr gebremsten Arbeitsmodus, in dem er nur Gerichte vorkocht, um sie vakuumverpackt außer Haus zu verkaufen und die wenigen Geschäftsreisenden in seinem Hotel versorgt. „Der erste Monat ist noch Entspannung, danach ist es Entzug“, sagt Warias auf die Frage, ob ihm der hektische Alltag fehlt.
Katja Wendt, Wirtin des „Raben“ in Merseburg lacht als Antwort: „Natürlich. Was willst du denn die ganze Zeit machen? So viel Fernsehen wie im letzten halben Jahr habe ich noch nie geguckt.“ Gastronomische Arbeit gibt es für sie nur am Wochenende für den Außer-Haus-Verkauf. Gewinn bringt der nicht. „Es geht darum, den Kontakt zu den Gästen nicht zu verlieren.“ Die trifft die Merseburgerin auch in der Stadt. Doch auf die Frage, wann sie wieder aufmache, kann sie noch immer keine Antwort geben. Es liegt nicht in ihrer Hand, sondern in der der Politik. Und die gibt den Gastronomen mit dem neuen Infektionsschutzgesetz wenig Hoffnung auf einen baldigen Restart. Nach Weihnachts- und Ostergeschäft, droht nun auch die Spargelsaison komplett im Lockdown unterzugehen. „Uns fehlt die Perspektive“, sagt Warias.
Warnungen vor einer Pleitewelle unter den Gastwirten
Immerhin hat Michael Schmidt, Präsident des Branchenverbands Dehoga in Sachsen-Anhalt und Betreiber des „Hotels zur Henne“ bei Naumburg eine positive Nachricht. Die nach der Zwangsschließung sehr schleppend angelaufenen Hilfen für die Gastronomen würden mittlerweile funktionieren. Nach der jüngsten Überarbeitung der Überbrückungshilfe III würden sie nun 100 Prozent der Fixkosten erhalten. „Für viele ist das ein Anker, sonst wäre die Branche tot.“
Die Warnungen vor einer Pleitewelle unter den Gastwirten kamen schon im ersten Lockdown. Konkrete Zahlen zu Kollegen, die wegen der Pandemie das Handtuch geschmissen haben, hat Schmidt allerdings nicht. Viele seien Einzelunternehmer, keine GmbHs, die Insolvenzen anzeigen müssten, begründet er und prognostiziert: „Es werden definitiv viele nicht mehr öffnen.“ Warias vermutet, dass gerade ältere Kollegen, deren Kinder den Betrieb nicht übernehmen wollen, nun vorzeitig das Handtuch werfen.
„Würde es im Herbst eine dritte Schließung geben, wäre das tödlich“
Dehoga-Chef Schmidt sieht die Branche vor einem nachhaltigen Umbruch. Hotelketten, die auf das Konferenzgeschäft setzen, seien die Verlierer, weil sie teils zu groß für Hilfen seien und viele Kongresse in Zukunft wohl nur noch virtuell stattfinden werden. „Der Mittelstand, der Touristen und Hochzeiten hat, wird vielleicht gestärkt aus der Sache rausgehen, weil der Deutschlandtourismus stabil hoch bleibt.“
Von dem könnte auch Warias profitieren, wenn er im Sommer öffnen darf. Touristische Buchungen nimmt er entgegen mit der Option auf kostenlose Stornierung. Doch für die Gäste braucht er Personal. Das zu akquirieren sei durch Corona noch schwieriger geworden. Eine Mitarbeiterin mit drei Kindern habe sich im Vorjahr schon etwas anderes gesucht. „Würde es im Herbst eine dritte Schließung geben, wäre das tödlich, weil die Leute keine Planungssicherheit mehr sehen.“ Auch Schmidt sagt: „Die Perspektive muss sein, dass die Branche öffnen kann und geöffnet bleibt.“
„Eine solche Öffnung macht für uns keinen Sinn.“
Die Gastronomie hat ohnehin seit Jahren mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Einen nachweislichen Bewerberschwund für Ausbildungen gibt es laut Schmidt durch die Pandemie noch nicht. Einfacher hat sie die Suche aber definitiv nicht gemacht. Bei Warias stellte sich lediglich ein Bewerber vor. Immerhin sind seine bisherigen vier Azubis geblieben.
Wann sie wieder im großen Stil Gäste betreuen dürfen, steht noch in den Sternen. „Im Idealfall frühestens zum 1. Juni“, mutmaßt Wendt und hofft, dass dann nicht, wie jetzt bei Modellversuchen etwa im Harz, eine Testpflicht für Kunden vorgeschrieben wird: „Eine solche Öffnung macht für uns keinen Sinn.“ Sie zweifelt daran, dass viele Gäste dazu bereit wären, sich extra für den Restaurantbesuch testen zu lassen. Mit Hygieneauflagen wie im vergangenen Sommer könnten die Wirte leben. Wendt versprüht sogar Optimismus: „Wenn es wieder losgeht, dann gibt es einen Boom. Die Leute lechzen danach.“ Dann müssten auch die Gastronomen endlich nicht mehr daheim essen. (mz/Robert Briest)