Wege aus der Kohle Wege aus der Kohle: Schkopaus Energieriese soll in Rente

Schkopau - Das höchste begehbare Gebäude Sachsen-Anhalts ist nicht der Magdeburger Dom oder eines der Punkthochhäuser in Halle. Der Rekordhalter steht in der Gemeinde Schkopau (Saalekreis). Mit dem Fahrstuhl geht es 136 Meter rasant nach oben auf eine Aussichtsplattform.
„Wir haben hier auf dem Kesselhaus eine fantastische Sicht“, sagt Arne Köhler. „Auf der einen Seite die Chemieanlagen in Schkopau und Leuna und auf der anderen die Saale-Elster-Aue und die Stadt Halle.“ Köhler leitet das Braunkohlekraftwerk Schkopau, das nicht nur aufgrund seiner Höhe hervorsticht.
Kraftwerk Schkopau könnte ganz Sachsen-Anhalt versorgen
Die 1996 in Betrieb genommene Anlage ist auch mit Abstand der größte Stromerzeuger Sachsen-Anhalts. „Wir könnten alle Haushalte im Bundesland mit Strom beliefern“, erklärt Köhler. Die beiden Kraftwerksblöcke liefern eine Leistung von jeweils 450 Megawatt. Doch Schkopau liefert nicht nur Strom für das öffentliche Stromnetz, sondern auch für die Chemieindustrie und die Bahn. Fünf Prozent des deutschen Bahnstroms kommen aus dem mitteldeutschen Kraftwerk.
Als Anfang der 90er Jahre das Chemiedreieck Bitterfeld-Wolfen, Leuna und Schkopau (ehemals Buna) neu aufgebaut wurde, stand auch fest, dass ein modernes Kraftwerk notwendig ist. „Ursprünglich war am Standort ein Steinkohlekraftwerk geplant“, erzählt Köhler. Doch sei es Wunsch der damaligen Landespolitik gewesen, weiter auf die heimische Braunkohle zu setzen.
Wie eng das Kraftwerk mit der Chemie verbunden ist, zeigt Köhler von der Aussichtsplattform aus: Über eine Rohrbrücke versorgt das Kraftwerk den angrenzenden Dow-Chemiepark mit Dampf und Strom. „Mehr als 20 Prozent unserer Energie liefern wir direkt an Dow und andere Chemiefirmen“, sagt der Kraftwerksleiter. Um die Dimension anschaulich zu machen: Der Dow-Chemiepark benötigt mehr Energie zur Kunststoff- und Chlorherstellung im Jahr als die Stadt Halle.
Täglich landen 22.000 Tonnen Kohle in Schkopau
Am Verladebahnhof des Kraftwerks kommen täglich etwa 18 Züge an, die 22.000 Tonnen Kohle aus dem Tagebau Profen (Burgenlandkreis) anliefern. Über Förderbänder gelangt die Braunkohle zunächst in Bunker und anschließend in sogenannte Kohlemühlen, in denen sie gemahlen und getrocknet wird. Anschließend wird der Kohlestaub in den Feuerraum der 130 Meter hohen Kesselanlagen geblasen und bei 1 150 Grad Celsius verbrannt.
Durch die erzeugte Hitze wird in einem Rohrleitungssystem Wasserdampf erzeugt, der unter hohem Druck drei große Turbinen zur Stromerzeugung antreibt. „Das Prinzip kennt jeder von seinem Fahrraddynamo“, sagt Köhler über den Prozess.
Beim Rundgang durch das Kraftwerk trägt er einen grauen Arbeitsanzug und einen weißen Schutzhelm. Das dient der Arbeitssicherheit. Doch gearbeitet in dem Sinne, dass rußverschmierte Arbeiter an den Kesselanlagen hantieren, wird in Schkopau nicht. Fast alle Prozesse laufen vollautomatisch - nur elf Mitarbeiter sind pro Schicht notwendig, um eine der modernsten Anlagen dieser Art weltweit zu betreiben.
Kraftwerk Schkopau muss heute flexibel sein
Gesteuert wird das Kraftwerk von zwei sogenannten Operatoren in der Leitwarte. In dem fensterlosen Raum sieht es aus wie in der TV-Serie „Raumschiff Enterprise“. Auf 14 Monitoren an der Wand werden alle Prozesse im Kraftwerk schematisch dargestellt. Die beiden Mitarbeiter sitzen an ihren Pulten und regeln den Energiefluss.
Drei bis sieben Jahre müssen Mitarbeiter vorher im Kraftwerk lernen, um diese Stellen besetzen zu können. Die Hauptaufgabe der Leitwarte besteht heute in der Steuerung der Leistung. Vom ostdeutschen Netzbetreiber 50 Hertz bekommt das Kraftwerk für jede Viertelstunde bestimmte Einspeisemengen zugewiesen.
Vereinfacht gesagt: Laufen die Windräder im Osten Deutschlands auf Hochtouren, wird die Produktion gedrosselt. Herrscht Flaute, laufen die Turbinen am Anschlag. „Wir können hier ähnlich wie Gaskraftwerke flexibel unsere Produktion steuern“, berichtet Köhler.
Kraftwerk Schkopau mit hohem CO2 -Ausstoß
Dass das Kohlekraftwerk im klassischen Sinn schmutzig ist, lässt sich von Schkopau nicht behaupten. Über eine Rauchgaswäsche werde unter anderem mehr als 96 Prozent des Schwefeldioxids abgeschieden, sagt der Immissionsschutzbeauftragte Michael Rost.
Ende 2018 ging eine Aktivkohle-Anlage in Betrieb, die Quecksilber weitgehend herausfiltert. „Aus unserem Schornstein kommt fast nur Wasserdampf“, sagt Rost. Das sei kein Vergleich zu DDR-Zeiten als die Menschen in der Region ihre Wäsche zum Trocknen nicht nach draußen hängen konnten.
Dass Umweltschützer das Kraftwerk dennoch als „schmutzig“ bezeichnen, liegt am hohen Kohlendioxid-Ausstoß (CO2 ) bei der Verbrennung von Braunkohle. 4,7 Millionen Tonnen CO2 bläst Schkopau im Jahr in die Luft. Das entspricht dem Ausstoß von etwa 1,7 Millionen Pkw im Jahr mit einer Fahrleistung von 15.000 Kilometern.
Ausstieg aus der Braunkohle - was wird aus Schkopau?
Kohlendioxid wird von Klimaforschern für die Aufheizung der Erdatmosphäre verantwortlich gemacht. Technologien, CO2 abzuspalten und einzulagern oder chemisch zu nutzen, sind hierzulande - auch wegen eines fehlenden politischen Willens - gescheitert oder stecken in den Kinderschuhen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll der letzte Kohleblock 2038 vom Netz.
Und was passiert mit Schkopau? Das Kraftwerk auf Erdgas umzurüsten, ist nach Ansicht des Kraftwerkschefs weder technisch noch finanziell sinnvoll. Ein neues Gaskraftwerk könnte gebaut werden. Köhler sieht aber die Funktion als „Chemie-Kraftwerk“ gefährdet. Die Braunkohle liefere günstig und planbar Strom. Die Kunden würden heute schon abschätzen können, was sie im nächsten Jahr zahlen müssten. „Bei einem Kraftwerk auf Erdgasbasis sieht das anders aus“, sagt Köhler. Man sei dann abhängig von schwankenden Weltmarktpreisen.
Die Betreiber des Kraftwerks Schkopau, der Energiekonzern Uniper und die tschechische EPH-Gruppe, haben sich noch nicht zur Perspektive des Standortes geäußert - dazu ist die Entscheidung zum Kohle-Aus auch zu frisch. Von der Aussichtsplattform sieht Köhler auf all die Chemie-Anlagen in der Region unter sich. Tausende Menschen arbeiten dort.
Auch deren Wohl hängt davon ab, dass in den nächsten Jahren ein ebenbürtiger Ersatz für das Kohlekraftwerk gefunden wird. Gingen schon heute im Kraftwerk die Lichter aus, würde es wohl auch bei vielen Nachbar-Firmen dunkel. (mz)
