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Rotes Netz im grünen Haus Was die alte SED-Funkzentrale auf dem Petersberg heute noch verrät

18.04.2021, 17:06

Halle (Saale) - Die Farbe blättert, der Putz ist sichtlich angeschlagen, die grüne Farbe aber auch drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR noch von weithin zu sehen. Hoch oben auf dem Petersberg bei Halle, der höchsten Erhebung bis zum Ural, wie ein beliebter Superlativ zu DDR-Zeiten hieß, thront ein achtstöckiges Hochhaus von äußerst schlichter Architektur. Quadratisch, praktisch, 25Meter hoch, mit einem großen weißen Tor, Fenstern wie Schießscharten und umgeben von ein paar Resten eines militärischen Hochsicherheitszauns.

Kaum einer der vielen Besucher, die zum Petersberg pilgern, beachtet das Gebäude. Auf dem 250 Meter hohen Gipfel zwischen den Saalekreis-Gemeinden Ostrau und Wallwitz. Nebenan stehen schließlich mit Kloster, Kirche, Bismarck-Turm und dem hoch aufragenden Fernsehturm einige sehr viel spektakulärere Bauten.

Ein Hauch von Geheimnis

Doch nicht die sind es, die bis heute ein Hauch von Geheimnis umweht, sondern der schnörkellose lindgrüne Klotz, den Anwohner zu DDR-Zeiten das „grüne Ungeheuer“ nannten. Joachim Kampe, der aus Holleben im Saalekreis stammt und heute in Brandenburg lebt, hat sich in den Jahren seit dem Ende des Arbeiter- und Bauernstaates intensiv mit der Geschichte des geheimnisumwitterten Bauwerks beschäftigt.

Kampe weiß heute alles über das ausgedehnte Netz gleichartiger Gebäude in der ganzen ehemaligen DDR, die das Rückgrat eines bis heute weitgehend unbekannt gebliebenen Datennetzwerkes bildeten. Dezentral und abgeschirmt lässt es sich am ehesten mit dem Geflecht aus Nachrichtenverbindungen vergleichen, das die Infrastruktur des Internets bildet.

Funkzentrale statt Stasi-Gebäude

Der Mythos aber, dass es sich beim grünen Ungeheuer auf dem Petersberg um ein Stasi-Gebäude handelte, aus dem heraus gelauscht und spioniert wurde, sei falsch, erklärt Joachim Kampe. Als NVA-Offizier verantwortete der Ruheständler einst selbst die Nutzung einer der sogenannten Doppelendstellen. „Aber was sollten die Leute auch sonst über den Turm denken, angesichts der schwer bewaffneten Volkspolizisten, die ihn bewachten.“ Selbst heute, viele Jahre nach der Wende, hielten sich diese Gerüchte hartnäckig.

Dabei ist die Wahrheit viel einfacher. Der Turm auf dem Petersberg verdankt seine Existenz wie seine Brüder in anderen DDR-Bezirken etwa auf dem Kickelhahn bei Ilmenau oder am Harthaer Kreuz bei Döbeln dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Damals stellte die Führung der SED fest, dass ihr die Kontrolle über das Land beinahe entglitten wäre - nicht nur wegen protestierender Arbeiter, gestürmter Gefängnisse und belagerter oder von Demonstranten eingenommener Parteizentralen. Sondern weil die Nachrichtenverbindung des Politbüros in die Bezirke zusammengebrochen war.

In Halle, Karl-Marx-Stadt und Erfurt hatten die SED-Bezirksleitungen in den Stunden des Aufstands auf Anweisungen gewartet. Doch aus Berlin kam nichts. Die Fernmeldeleitungen, die über Stationen der Deutschen Post liefen, funktionierten nicht, weil Protestierer etliche Fernsprechämter besetzt hatten.

SED setzt auf unabhängiges Nachrichtennetzwerk

Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste durch sowjetische Truppen zog die Sicherheitskommission des SED-Politbüros Konsequenzen. Eilig erfolgte der Aufbau eines besonders geschützten und völlig unabhängigen Nachrichtennetzes, das das Zentralkomitee in der Hauptstadt per Richtfunk mit den 15 Bezirksleitungen der Partei verband. „In einer späteren Ausbaustufe spannte sich das Netz noch weiter hinunter bis auf die Ebene der SED-Kreisleitungen“, beschreibt Joachim Kampe. In den einzelnen Funkzentralen hat allein die SED das Sagen, Chef sind ihre Techniker selbst dann noch, als die NVA in den 70ern quasi als Untermieter beginnt, in Technik zu investieren, um sich ein eigenes Netz aufzubauen.

Da Richtfunk zwingend auf Sichtverbindungen angewiesen ist, befand sich eine sogenannte Bezirksrichtfunkzentrale jeweils in der Nähe der Bezirksstadt. „Dazu gab es Relaisstationen und große Parabolantennen auf den Parteizentralen und bei den Druckhäusern der Parteiblätter.“ Dorthin seien abends beispielsweise die Druckvorlagen des Parteiorgans „Neues Deutschland“ gesendet worden, um vor Ort gedruckt zu werden. Die technische Lösung für diese Übertragungen war eine Eigenentwicklung der DDR, die es schaffte, eine Zeitungsseite innerhalb von nur etwa zehn Minuten zu senden.

Netz trotzt jeder Witterung

Die Logik des Netzaufbaus folgte der, nach der Ende der 60er Jahre in den USA das Arpanet entworfen worden war, das später zum Internet wurde. Allerdings vermochten die Richtfunkgeräte RVG 903 aus dem VEB Rafena Radeberg, eine Weiterentwicklung des im Zweiten Weltkrieg gebauten Funkgeräts „Stuttgart II“, anfangs nur Sprechfunkverbindungen herzustellen, wie Joachim Kampe sagt. Später seien sie durch die Weiterentwicklungen RVG 924 und 934 ersetzt worden, die im Selbstwählverkehr das Herstellen von Fernsprech- und Fernschreibverbindern ermöglichten.

„Der Personenkreis für die Nutzung war eingeschränkt, die Teilnehmer nutzten ein spezielles Fernsprechverzeichnis mit einer Nummernübersicht.“ Die Gesprächsqualität im Richtfunknetz habe sich aber überhaupt nicht von der einer drahtgebundenen Fernsprechverbindung unterschieden. Als das Telefonnetz der Post im Extremwinter 1978/79 ausfällt, funktioniert das ZK-Netz tatsächlich weiter, weil mit Diesel betriebene Generatoren die Stromversorgung sicherten.

Bald aber wurden westliche Geheimdienste aufmerksam auf den ZK-Funkverkehr, der nicht verschlüsselt war. Zwar hatte die Einheitspartei für den sicheren Betrieb ihres Sondernetzes Spezialisten aus der Wirtschaft und von der Post für ihre ZK-Abteilung Fernmeldewesen abgeworben. Auch wurden die Bezirksrichtfunkzentralen rund um die Uhr von bewaffneten Posten der Volkspolizei bewacht.

Wie ein offenes Buch

Die sensible Kommunikation zwischen den Parteiorganisationen vor Ort und der Berliner Zentrale aber ist für den BND, den britischen MI6 und die US-Dienste NSA und CIA ein offenes Buch. „Die bauten an der Grenze überall Horchposten, das bekam das MfS mit und dann erging die Weisung, die Nutzung des Richtfunknetzes für den dienstlichen Gebrauch einzuschränken“, wie sich Joachim Kampe erinnert.

Als Ende der 70er Jahre die sogenannte obere Netzebene eines neuen Stabsnetzes namens „Sondernetz 1“ als drahtgebundenes Netz in Betrieb geht, verliert das Richtfunknetz endgültig an Bedeutung. Die NVA bleibt Nutzer, „vor allem mit Blick auf den eventuellen Verteidigungsfall“, wie Kampe sagt. Den Betrieb der sogenannten A1-Stellen aber übernimmt die Deutsche Post, ohne dass die VP-Posten deshalb abgezogen werden. Deren Einsatz endet erst im Frühjahr 1990, wenig später fallen die Anlagen an die Bundespost und die Geschichte des roten Funks aus den grünen Häusern endet genauso ohne jedes Aufsehen wie sie begonnen hat. (mz/Steffen Könau)

>> Weitere Infos unter: www.fesararob.de und www.hauptnachrichtenzentrale.de